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INTERNATIONAL/111: Brasilien - Bio-Bauern trotzen widrigen Bedingungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2014

Brasilien:
Mutige Minderheit - Bio-Bauern trotzen widrigen Bedingungen

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Gewächshaus im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Seropédica, Brasilien, 2. April (IPS) - Für die brasilianische Kleinbäuerin Isabel Michi beginnt der Tag schon vor dem Morgengrauen. Dann geht sie in den Bio-Garten ihrer fünf Hektar großen Farm, die sie gemeinsam mit ihrer Familie betreibt. Die 42-Jährige bereitet den Boden vor, sät aus, pflanzt, düngt, erntet und hegt die Pflanzen in ihrem Gewächshaus.

Michi erwarb das Grundstück 2002 in der Siedlung Mutirão Eldorado in der Gemeinde Seropédica, die zehn Jahre zuvor im Rahmen einer staatlichen Agrarreform gegründet worden war. In dem Gebiet etwa 70 Kilometer von der Metropole Rio de Janeiro entfernt leben rund 80.00 Menschen.

Vor sechs Jahren beschloss die aus Japan stammende Bäuerin, fortan nur noch biologischen Anbau zu betreiben und keinerlei Chemikalien einzusetzen. Experten schätzen, dass kleine Farmer in Brasilien etwa 70 Prozent ihres Einkommens für chemische Düngemittel und Pestizide ausgeben.

Michi ist Mitbegründerin der Gruppe 'Serorgânico', in der 15 Kleinbauern zusammengeschlossen sind und die chemiefreies Saatgut und Setzlinge liefert. Michi, Tochter japanischer Einwanderer, hatte der Tod eines Bruders schwer getroffen. Der, 37 Jahre, ein Nichtraucher, starb an Lungenkrebs.

Michi bringt seinen Tod mit dem intensiven Einsatz von Agrochemikalien auf dem Landgut ihrer Eltern in Verbindung, die in den 1960er Jahren nach Brasilien gekommen waren. "Meine Familie hat viele Pestizide verwendet. Wir waren damals jung, und über die schädliche Wirkung war noch nicht viel bekannt."


"Für mich ist die biologische Landwirtschaft die Zukunft"

Die neunköpfige Familie sei sehr arm gewesen, erinnert sich Michi, die seit ihrem 13. Lebensjahr auf dem Feld arbeitet. Als sie mit ihrem Mann nach Seropédica gezogen sei, habe sie bereits über biologische Landwirtschaft nachgedacht, sagt sie. "Für mich ist das die Zukunft."

Die Böden eignen sich gut für den Anbau von Maniok, Okraschoten, Kürbis, Süßkartoffeln und Bananen. Außer Gemüse und Obst zieht Michi in ihrem Gewächshaus auch rund 25.600 Setzlinge heran, die sie an die Mitglieder ihrer Kooperative liefert.

Als Verwalter einer Rinderfarm bringt ihr Mann ein regelmäßiges Einkommen nach Hause. In seiner freien Zeit packt er auf der Familienfarm mit an. Die drei Kinder im Alter zwischen 14 und 16 Jahren helfen nach der Schule aus.

Durchschnittlich produziert Serorgânico jeden Monat drei Tonnen Lebensmittel, die größtenteils auf den Bio-Märkten in den Reichen-Vierteln von Rio verkauft werden. Für Michi ist der ökologische Anbau Teil einer ganzheitlichen Philosophie, die auch die sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände der Bauern und das Wohlergehen der Verbraucher berücksichtigt.

Viele Bio-Bauern im Land können aufgrund der Konkurrenz preisgünstigerer konventioneller Agrarprodukte jedoch kaum überleben. Allerdings ist die Nachfrage nach Bio-Waren in Brasilien in den vergangenen Jahren um etwa 30 Prozent gestiegen, obwohl die Erzeugnisse zwischen 30 und 50 Prozent mehr kosten als die herkömmlichen, mit Chemikalien behandelten Produkte.

"Es gibt ein Wachstumspotenzial, doch wir haben noch einen weiten Weg vor uns", räumt José Antônio Azevedo Espíndola von der staatlichen Agrarforschungsbehörde 'Embrapa' ein. "Seit ein paar Jahren legt die Gesellschaft mehr Wert auf die Qualität von Lebensmitteln, einen umweltverträglichen Anbau und gesundheitsschonende Herstellungsverfahren."


Bio-Bauern dünn gesät

Laut Espíndola machen Bio-Bauern aber erst ein Prozent aller Landwirte in Brasilien aus. 2006, als der letzte Agrarzensus stattfand, wurden 5.000 zertifizierte Öko-Farmer erfasst, die meisten von ihnen Kleinbauern. Inzwischen seien es wahrscheinlich um die 12.000, die insgesamt rund 1,75 Millionen Hektar Land bewirtschafteten, schätzt der Experte.

Gefahren für die Öko-Projekte lauern aber hinter jeder Ecke. In der Nähe von Michis Grundstück liegen Steinbrüche, Rinderzuchtbetriebe und eine Mülldeponie. Nur zwei Kilometer entfernt ist dort zudem eine ringförmige Autostraße geplant. Bereits jetzt rumpeln viele Laster, mit Steinen und Schutt beladen, auf den unbefestigten Straßen an Michis Gehöft vorbei und wirbeln riesige Staubwolken auf. Von der Müllkippe kommen ein bestialischer Gestank und Schwärme von Fliegen herüber. Michis Familie leidet zudem an Hautreizungen durch die in der Deponie eingesetzten Chemikalien.

Angesichts dieser großen Probleme stehen immer wieder Diskussionen über einen Umzug im Raum. "Es besteht auch das Risiko, dass das Wasser belastet ist", meint sie sorgenvoll. An manchen Tagen halte sie es im Garten wegen des Gestanks und der Fliegen nicht mehr aus, sagt sie. All diese Unannehmlichkeiten seien erst entstanden, als sie schon längst am Ort gewesen sei.

Unternehmen setzen die Kleinbauern zudem unter Druck, weil sie auf deren Land Fabriken bauen wollen. "Sie haben mir ein Kaufangebot gemacht, doch ich habe abgelehnt", sagt Michi. "Ich gehe hier nur weg, wenn ich Ackerland von dieser Größe auch anderswo kaufen kann. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig."

Neben den Herausforderungen, die mit dem organischen Landbau verbunden sind, haben die Ökobauern mit einer Vielzahl weiterer Probleme wie dem fehlenden Zugang zu Krediten und zu der technischen Hilfe von Agrarforschungseinrichtungen zu kämpfen. Espínola hält es für notwendig, dass die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Akteure im Rahmen einer staatlichen Unterstützungsstrategie für Bio-Bauern zusammengebracht werden. "Wenn das nicht passiert, wird es immer wieder zu Engpässen kommen, die die Produktion hemmen", warnt er.

"Noch gibt es in Brasilien nicht die Voraussetzungen für eine hundertprozentig ökologische Nahrungsproduktionskette", sagt der Embrapa-Experte Nilton Cesar Silva dos Santos, der sich insbesondere mit der nachhaltigen Entwicklung von Siedlungen befasst, die im Zuge der Landreform entstanden sind. "Nicht nur der Bio-Anbau, sondern die gesamte Familienlandwirtschaft leidet unter einem Mangel an Ressourcen."

Auf Betreiben von dos Santos stattet Embrapa kleine Agrarbetriebe mit Gewächshäusern aus. Michi konnte als erste von dieser Maßnahme profitieren. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:
http://www.ipsnews.net/2014/03/organic-farmers-fight-elements-brazil/
http://www.ipsnoticias.net/2014/03/agricultores-organicos-luchan-contra-los-elementos-en-brasil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2014