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INTERNATIONAL/146: Brasilien - Kleinbauern beliefern Schulen mit Lebensmitteln (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2015

Brasilien: Kleinbauern beliefern Schulen mit Lebensmitteln

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Schüler der Joao-Baptista-Cáffaro-Schule beim Mittagessen
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Itaboraí, Brasilien (IPS) - Maiskolben und Okraschoten liegen in der Küche bereit. Zum Nachtisch gibt es statt Süßigkeiten frische Früchte. "Die Kinder essen alles. Sie wollen sogar Nachschlag bekommen", erzählt Penha Maria Flausina, Köchin der Joao-Baptista-Cáffaro-Schule in einem der ärmeren Stadtteile Itaboraís in Brasilien.

Die Zutaten kommen fast ausschließlich von Kleinbauern aus der Umgebung. Die Schule ist Teil eines Projektes, mit dessen Hilfe zum einen Schulkinder ein besseres Mittagessen bekommen, zum anderen Kleinbauern einen neuen Absatzmarkt erhalten sollen. Insgesamt liefern sie mittlerweile 40 Prozent aller Nahrungsmittel, die in Itaboraí für das Mittagessen in Schulkantinen benötigt werden.

Vor drei Jahren war das noch anders. Damals machte der Anteil kleinbäuerlicher Erzeugnisse am Schulessen lediglich sieben Prozent aus. Doch die neue Bezirksverwaltung wollte das ändern. Frisches Gemüse sollte einen größeren Anteil an den Mahlzeiten erhalten und das Angebot insgesamt vielfältiger werden. Zum Teil ist ihr das bereits gelungen.

Die Idee für die Initiative ist langsam gewachsen. Am Anfang stand die Erste Nationale Ernährungskonferenz im Jahr 1986. Darauf folgten weitere Konferenzen, zuletzt in den Jahren 2004, 2007, 2011 und in der ersten Novemberwoche dieses Jahres. An der bisher letzten Konferenz in Brasilia nahmen 2000 Menschen teil.

Im Laufe des Prozesses wurde in Brasilien 1993 der nationale Ernährungs-Rat (CONSEA) gegründet, der sich aus Vertretern der Regierung und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Nach vielen Verhandlungen wurde im Jahr 2006 schließlich das Gesetz für Ernährungssicherheit verabschiedet. Drei Jahre später wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, das vorsieht, dass 30 Prozent der Gelder, die Gemeindeverwaltungen aus dem nationalen Topf für die Weiterentwicklung der Schulbildung erhalten, in den Einkauf lokaler Nahrungsmittel für die Schulkantinen gehen.


Bild: © Mario Osava/IPS

Schulköchin Penha Maria Flausina an der Joao-Baptista-Cáffaro-Schule
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"Noch vor ein paar Jahren war der riesige Markt für Schulessen von nur wenigen Firmen besetzt", erzählt Francisco Menezes. Rund 45 Millionen Kinder werden mittags mit einer Mahlzeit versorgt. "Zum Teil hatten die Verwaltungen eine einzige Firma beauftragt, alle Schulen des Distriktes zu beliefern." Das Ergebnis der Monopolstellung seien hohe Preise und schlechte Qualität gewesen. Meneza war von 2004 bis 2007 Präsident von CONSEA und in der Funktion maßgeblich an der Formulierung des Gesetzentwurfs beteiligt.


Schleppender Prozess

Drei Jahre dauerte es, bis das Gesetz vom Kongress endlich verabschiedet wurde. Mehrere Abgeordnete stellten sich dagegen. Zum Teil hatten sie selbst Interesse an dem riesigen Markt, zum Teil wurden sie von Firmen geschmiert, um in deren Sinne abzustimmen. Am Ende setzten sie sich soweit durch, dass Kleinbauern zwar einen größeren Anteil am Markt erhielten, die großen Firmen aber immer noch 70 Prozent des Marktes kontrollierten.

Auch die Umsetzung des Gesetzes hat seine Tücken. "Manche Gemeindeverwaltungen halten sich an das Gesetz, andere nicht. In einigen Gemeinden vor allem im Süden des Landes wurden sogar 100 Prozent Kleinbauernerzeugnisse für Schulessen durchgesetzt", erzählt Menezes.

"Das Gesetz hätte schon im 19. Jahrhundert mit der Abschaffung der Sklavenhaltung eingeführt werden sollen", sagt der Kleinbauer Idevan Correa. Die Sklaven seien einfach auf die Straße geworfen worden, ohne ihnen Alternativen anzubieten, um selbst etwas anzubauen oder andere Arbeit aufzunehmen.

Jetzt freut er sich, dass das Gesetz eine Quote von mindestens 30 Prozent Kleinbauernerzeugnissen vorsieht. "Es ist ein erster Schritt. Die Bauern können ihre Produktion sowieso nicht über Nacht vervielfältigen, dafür brauchen sie Zeit." Correa besitzt eine 100 Hektar große Farm, die er von seinem Vater geerbt hat. Der hatte sie bei der Landreform in den 1950er Jahren zugesprochen bekommen.


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Der Bauer Idevan auf seiner Orangenplantage
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Der Präsident der Vereinigung von Kleinbauern des Vierten Distrikts von Itaboraí ist auch mit dem Limit einverstanden, dass jeder Produzent pro Jahr nur Nahrungsmittel mit einem Gegenwert von insgesamt 20.000 Real (rund 5.200 US-Dollar) an die Gemeindeverwaltung verkaufen kann. Er selbst hätte in diesem Jahr einen wesentlich höheren Anteil seiner Mais-, Bohnen-, Kartoffel- und Obsternte verkaufen können, die überdurchschnittlich gut ausgefallen war. "Aber so ist es besser, dann können sich mehr Bauern an dem Programm beteiligen."

Noch 2012 nahmen nur zehn Bauern am Schulessenprogramm teil. Jetzt sind es 54. Das ist immer noch ein kleiner Teil der Bauern in Itaboraí, deren Gesamtzahl bei 300 liegt. Allerdings sind die meisten von ihnen Viehzüchter.


Qualität vor Quantität

Damit sich mehr Bauern beteiligen konnten, brauchten sie zunächst technische Unterstützung, um auf Biolandbau umzustellen oder zumindest die Menge an Pestiziden und Herbiziden stark zurückzufahren, die sie auf ihre Felder ausbrachten. "Früher haben wir versucht, viel zu pflanzen, um viel ernten zu können. Heute geht es uns weniger um die Quantität als vielmehr um die Qualität", sagt Correa. Leisten können sich die Bauern das, weil die Gemeindeverwaltungen Einzelhandelspreise zahlen, außerdem fallen keine Transportkosten an, da die Stadtverwaltung eigene Lastwagen schickt.

Das Modell hat bereits Nachahmer in anderen lateinamerikanischen Ländern gefunden, darunter Bolivien. Auch in afrikanischen Ländern wie Mali, Mosambik und dem Senegal gibt es mittlerweile ähnliche Projekte. Es gilt außerdem als Modellprojekt der 'Parlamentarischen Front gegen Hunger in Lateinamerika und der Karibik', die 2009 mit Unterstützung der Welternährungsorganisation FAO entstanden ist.

Das Forum kommt vom 15. bis 17. November in Lima erneut zusammen. Dort soll das brasilianische Modell ausführlich untersucht werden. (Ende/IPS/jk/17.11.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/11/school-meals-bolster-family-farming-in-brazil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2015

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