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LANDWIRTSCHAFT/1394: Gespräch mit Hans Rudolf Herren - Wir müssen die Weichen neu stellen (DGVN)


Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)

"Wir müssen die Weichen neu stellen"
Gespräch mit Hans Rudolf Herren

Das Gespräch führte Frank Kürschner-Pelkmann.


"Landwirtschaft am Scheideweg" lautet der Titel des 2008 erschienenen Weltagrarberichts. Der Schweizer Landwirtschaftsfachmann Hans Rudolf Herren hat seit 2004 mit Kollegin Judi Wakhungu (Kenia) über den Weltagrarratbericht (IAASTD) präsidiert. Der Bericht wurde im April 2008 offiziell von der IAASTD-Plenarversammlung von 59 Ländern angenommen. Herren arbeitete von 1997 bis 2005 in Afrika, wo er ein großes und erfolgreiches biologisches Schädlingsbekämpfungsprogramm durchgeführt hat. Es folgten ähnliche Projekte im Bereich der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Gesundheit. Er ist seit 2005 auch Präsident des Millennium Institute (USA).


Ein-Welt-Presse: Ist nachhaltige Landwirtschaft ein "Luxus", den sich nur reiche Länder leisten können?

Hans Rudolf Herren: Nein, umgekehrt, wir können es uns nicht leisten, nicht so schnell wie möglich total und global auf nachhaltige Landwirtschaft umzustellen. Die Folgen einer Verzögerung würden die Nahrungsmittelsicherheit sehr stark gefährden und in vielen Gebieten die nötige Produktionssteigerung stark behindern. Auf uns kommen eine ganze Reihe neuer Herausforderungen zu wie Klimawandel, eine größere Weltbevölkerung, die dazu noch mehr und anders essen will, eine Umweltbelastung, die der Landwirtschaft schadet, und höhere Energiepreise. All dies zusätzlich zu den alten Problemen wie Hunger, Armut, Unterernährung, Abwanderung von Bäuerinnen und Bauern sowie ungleichmäßige Verteilung von Reichtum und Produktionskapital. Die Liste wäre eigentlich noch länger und wird dies sicher, falls wir nicht abkommen von heutigen Landwirtschaftsmodellen wie dem industrialisierten der Industriestaaten und ausbeuterischen in den Entwicklungsländern. Die Lösungen sind schon lange bekannt: Öko- und Bio-Landbau, die die Bodenfruchtbarkeit nicht nur erhalten, sondern auch aufbauen und so die Widerstandskraft gegen Klimawandel und biologischen Stress stark erhöhen. Wir müssen den Kurs ändern!

Ein-Welt-Presse: Behindern die gegenwärtigen internationalen Handelsbedingungen den Übergang zu einer nachhaltigen Landwirtschaft in Entwicklungsländern?

Hans Rudolf Herren: Ganz bestimmt. Wie in der Produktion, müssen wir auch hier die Weichen neu stellen. Wir müssen die Handelsabkommen so gestalten, dass sie den Entwicklungsländern einen Vorsprung beim Zugang zu den heimischen Märkten sowie beim Export von Nahrungsmitteln geben. Das gilt auch für die verarbeiteten Güter, da es sehr wichtig ist, dass mehr Wertschöpfung in diesen Ländern erfolgt. Das wird der Armutsbekämpfung sehr zugute kommen. Besserer Markzugang heißt auch, dass die Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern mehr Mittel zur Verfügung haben, um das Land nachhaltig zu bewirtschaften, statt es "auszubeuten". Zu den sehr marktverzerrenden Zuschüssen an die Landwirtschaft im Norden kommt hinzu, dass die Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern sehr stark den Risiken eines immer unvorhersehbareren Wetters ausgesetzt sind, ohne eine Versicherung zu besitzen. Das Problem muss ebenso gelöst werden wie gleichzeitig der Zugang zu Produktionskapital, besserer Information und Ausbildung.

Ein-Welt-Presse: Was bedeutet nachhaltige Landwirtschaft im Süden der Welt konkret?

Hans Rudolf Herren: Nachhaltige Landwirtschaft muss global eingeführt werden. Für den Süden heißt das vor allem höhere Produktion, vielfältige Qualitätsnahrung, Arbeitsbeschaffung für Millionen Arbeitslose, besseres Einkommen und auf längere Sicht eine gesunde Zukunft für Menschen, Land und Umwelt. Wir müssen solch ein Modell auch im Norden (wieder) einführen, da auch hier die Umwelt leidet, die Ökosystemdienstleistungen geschwächt sind und die hoch intensive, energie- und ressourcenverschlingende Landwirtschaft keine Zukunft hat. Arbeit brauchen wir ja auch bei uns wieder.

Ein-Welt-Presse: Können Sie uns ein Beispiel für eine nachhaltige Landwirtschaft im Süden geben?

Hans Rudolf Herren: Ein sehr schönes Beispiel ist das "Push-Pull"-System. "Push-Pull" - vertreiben und anlocken - ist ein grundlegendes Prinzip in der biologischen Schädlingsbekämpfung. Dabei werden natürliche Stoffe, etwa Pflanzendüfte oder Farben, eingesetzt, um Schädlinge zu vertreiben beziehungsweise anzulocken. Dr. Zeyaur Khan, Wissenschaftler in der Feldstation des internationalen Insektenforschungsinstituts "icipe" am Viktoriasee, hat im Kampf gegen den Stängelbohrer die wirksame "Push-Pull"-Methode entwickelt. Der Geruch von Desmodium, welches zwischen den Mais gepflanzt wird, vertreibt die Falter aus dem Feld. Um die Äcker herum wird das klebrige Napiergras angepflanzt, welches die Falter mit seinem Duft unwiderstehlich anlockt. Sie fliegen aus den Feldern, bleiben auf dem Gras haften und gehen ein. So wird der Mais geschützt - ohne Gentechnik, ohne Chemie und ohne Umweltbelastung.

Desmodium ist auch eine Wunderwaffe im Kampf gegen das Striga-Unkraut. Wo Desmodium wächst, verschwindet die gefürchtete Striga. Außerdem wird die Bodenfruchtbarkeit gesteigert, die Erde vor Erosion geschützt und die Feuchtigkeit zurückgehalten. Zudem sind Napiergras und Desmodium sehr nährstoffreiche Futterpflanzen und ermöglichen den Bauern die Haltung von Milchkühen oder Ziegen.

Ein-Welt-Presse: Was hat die oft vernachlässigte Bevölkerungsgruppe der Landarbeiterfamilien von einer nachhaltigen Landwirtschaft?

Hans Rudolf Herren: Die vielen Landarbeiter sind zum großen Teil das Resultat der industriellen Landwirtschaft und auch der "Grünen Revolution", die verursacht haben, dass die landwirtschaftlichen Betriebe immer größer wurden, um die Ausgaben niedrig zu halten angesichts der steigenden Kosten für Düngemittel, Pestizide und Herbizide, die alle für die "Grüne Revolution" unentbehrlich waren. Eine Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft wird vermehrt Arbeitskräfte erfordern und auch wieder eine Zunahme von kleinen und mittelgroßen Betrieben zur Folge haben.

Ein-Welt-Presse: Können Konsumenten zu einem Wandel beitragen?

Hans Rudolf Herren: Was zu diesem Thema gehört, ist die Notwendigkeit, die Nahrungsmittelpreise zu erhöhen. Es ist Zeit, dass die Konsumenten den vollen Produktionspreis an die Bauern zahlen. Die heutigen Produktionszuschüsse müssen in Zukunft für Ökosystem-Dienstleistungen ausbezahlt werden. Die industrielle Landwirtschaft, die billig produziert und enorme Nebenkosten verursacht, muss diese Kosten vollständig in den Preis integrieren, oder die Staaten müssen deren Produkte entsprechend der externen Kosten besteuern. Mit diesen Einnahmen können die nachhaltige Landwirtschaft und die nötige Forschung unterstützt werden. Höhere landwirtschaftliche Produktpreise bedeuten auch höhere Einkommen für die Bauern überall auf der Welt. Im Süden werden sie die Armut bekämpfen und die Wirtschaft stärken.


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Quelle:
Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009, 26. Jahrgang, Seite 7
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009