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LANDWIRTSCHAFT/1790: Mehr Bäuerinnen braucht das Land! (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 147, 1/19

Mehr Bäuerinnen braucht das Land!
Warum wir Rechte für Kleinbäuerinnen und -bauern brauchen

von Julianna Fehlinger


Wir leben in einer Welt der boomenden Städte, die ländlichen Regionen geraten zunehmend aufs Abstellgleis. Doch es rumort auf dem Land: Bäuerinnen und Bauern setzen sich für ihre Rechte ein, und sie haben jetzt eine starke Stimme bekommen.


Ich bin auf meinem Weg zur "Wir haben es satt!"-Demo in Berlin, der lautesten Stimme der Zivilgesellschaft für eine Agrarwende in Europa. Denn die Agrarpolitik der EU fördert das Höfesterben, statt vielfältige und ökologische Strukturen zu unterstützen. Dieses Jahr gibt es einen eigenen Block von Frauen aus der Landwirtschaft unter dem Titel: "Jungbäuerinnen an die Macht, dass es in den Dörfern lacht und kracht!" Die Frauen setzen sich für gerechte Arbeitsteilung sowie Anerkennung von Care-Arbeit ein und erklären sich mit Erntehelfer*innen und Kleinbäuer*innen weltweit solidarisch. Mit dem Traktor durch Berlin zu rollen setzt dafür auch ein klares Zeichen: Es sind nicht nur Männer, die am (Traktor-)Steuer sitzen können.


Das Land braucht seine Höfe

Jene Bäuerinnen und Bauern, die ihre Stimmen bei einer Demo wie "Wir haben es satt!" erheben, setzen einen mutigen Schritt. Sie machen ihrem Unmut über die Verhältnisse in der Landwirtschaft Luft und nehmen den Druck des "Wachsen oder Weichen" nicht als Schicksal hin. Auch in Österreich mussten in den letzten sieben Jahren mehr als 19.000 Höfe ihre Tore schließen, damit schließt alle drei Stunden ein bäuerlicher Betrieb. Unsere Agrarpolitiker*innen erklären das zu einem unausweichlichen Ergebnis des globalen Wettbewerbs in der Landwirtschaft.

Die Bevorzugung der Großbetriebe durch die EU-Agrarsubventionen wird dabei gerne verschwiegen. 80% der Agrarförderungen gehen an nur 20% der Betriebe. Mit jedem Betrieb, der geschlossen wird, geht aber auch ein Stück Leben auf dem Land verloren. Hinzu kommt die Konzentration von Verarbeitungsbetrieben wie Bäckereien, Fleischereien, Molkereien und des Einzelhandels - eine Konzentration, die längst den gesamten Markt erfasst hat und die regionalen Wirtschaftskreisläufe zerschneidet.


Warum wandern besonders die Frauen ab?

Gerade für junge Frauen in Europa wird es immer unattraktiver, nach einer Ausbildung aufs Land zurückzukehren oder sich für ein Leben am Land und in der Landwirtschaft zu entscheiden. Die Landflucht von Frauen ist vor allem den unzureichenden attraktiven Arbeitsplätzen und der mangelnden Infrastruktur geschuldet, wie Kinderbetreuungsplätzen (auch am Nachmittag) oder öffentlichen Verkehrsanbindungen, um nicht auf "Mama-Taxis" angewiesen zu sein. Frauen fliehen aber auch vor den traditionellen Rollenbildern am Land.


Mehr Bäuerinnen braucht das Land

Viele Studien zeigen jedoch, dass in einer vielfältigen und "enkeltauglichen" Landwirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden, die für Frauen besonders attraktiv sind. Da sich diese Form der Landwirtschaft an lokalen Wirtschaftskreisläufen orientiert, statt sich auf die Exportmärkte zu stützen, fördert sie auch die praktische Solidarität mit Bauern und Bäuerinnen aus Ländern des Globalen Südens. Durch diese kreislaufgebundene Landwirtschaft, die auf Futtermittelimporte verzichtet, werden Milch- und Fleischüberschüsse erst gar nicht produziert.

Um ein gutes Einkommen für Bäuerinnen und Bauern in Nord wie Süd zu ermöglichen, braucht es jedoch solidarische Handelsbeziehungen, die den Standortwettbewerb und die Preisspirale nach unten durchbrechen. Um den zunehmenden Herausforderungen durch die Klimakrise zu begegnen, leisten die klein strukturieren Höfe einen ebenso wichtigen Beitrag: Sie setzen kaum energieintensive Düngemittel ein, bauen enge Beziehungen zu den Kund*innen auf und setzen auf klimaschonende Bewirtschaftungsmethoden.

Doch der Trend in der Landwirtschaft geht in eine andere Richtung. Die Erosion der bäuerlichen Strukturen und der damit verknüpften regionalen Wirtschaftskreisläufe trägt wesentlich zum Verlust von guten Lebensbedingungen auf dem Land bei.


Keinbäuerinnen und -bauern haben Rechte

Seit Dezember 2018 haben Kleinbäuerinnen und -bauern weltweit jedoch ein neues Instrument in Händen, das sie dabei unterstützt, für ihre Rechte einzutreten. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat für eine Deklaration(1) für die Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten, gestimmt. Dieser historische Erfolg ist der weltweiten Bewegung von Kleinbäuerinnen und -bauern La Via Campesina und anderen unterstützenden Organisationen wie FIAN (Menschrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung) zu verdanken. Gerade in ländlichen Regionen sind Menschenrechtsverletzungen häufig, da die Interessen der Agrarindustrie oder anderer mächtiger Akteure durchgesetzt werden, ohne auf die Lebenswelten der lokalen Bevölkerung Rücksicht zu nehmen.

Die weltweite Bewegung La Via Campesina macht es möglich, dass sich Bauern und Bäuerinnen aus dem Globalen Süden wie Norden begegnen und solidarische Formen des Austauschs finden. Im Rahmen dieser Diskussionsprozesse und Begegnungen ist bereits 1996 die Idee entstanden, eine Menschenrechtsdeklaration für die Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern zu verankern, um Kleinbäuer*innen vor Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung zu schützen. Bolivien hat auf Grundlage eines Entwurfs von La Via Campesina den Prozess für eine Deklaration innerhalb der UNO angestoßen, der nach zähen Verhandlungen und trotz teilweiser Ablehnung von europäischen Ländern und anderen Ländern des Globalen Nordens mit Dezember 2018 verabschiedet wurde.


... in Süd und Nord

In der Deklaration werden Rechte festgeschrieben, die es Menschen in der Landwirtschaft ermöglichen, sich politisch zu organisieren, ohne dafür angegriffen oder kriminalisiert zu werden. Ebenso fordert die Deklaration ein, dass Kleinbäuerinnen und -bauern ein Recht auf Land und Saatgut zugesichert sowie ein ausreichendes Einkommen aus der Landwirtschaft ermöglicht werden muss.

Die Deklaration schreibt auch die Rechte von Frauen fest, frei von Diskriminierung leben zu können, sowohl ökonomisch als auch sozial und politisch. Damit kann die Deklaration in Zukunft als Werkzeug für die Durchsetzung von besseren Lebensbedingungen für Menschen in ländlichen Regionen dienen - nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in Ländern des Globalen Nordens.

Von der österreichischen Politik wird immer wieder die Auffassung vertreten, die Verletzung der Rechte von Bäuerinnen und Bauern sei ausschließlich ein Phänomen des Globalen Südens. Gerade die Perspektive von Frauen in der Landwirtschaft zeigt jedoch, dass die Rechte von Kleinbäuer*innen im Globalen Süden nur dann respektiert werden können, wenn in Ländern wie Österreich eine Transformation hin zu einer vielfältigen, klein strukturierten und feministischen Landwirtschaft möglich gemacht wird.


ANMERKUNG:
(1) Text der Deklaration:
http://undocs.org/A/C.3/73/L.30

WEBTIPP:
Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern stärken,
https://www.viacampesina.at/inhalte/baeuerliche-rechte/

ZUR AUTORIN:
Julianna Fehlinger ist Geschäftsleiterin der ÖBV-Via Campesina Austria, sie arbeitet immer wieder selbst in der Landwirtschaft und ist aktiv in der Bewegung für Ernährungssouveränität.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 149, 1/2019, S. 14-15
Text: © 2019 by Frauensolidarität / von Julianna Fehlinger
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2019

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