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MARKT/1687: Alle Milchbauern sind in Not (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 320 - März 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Eine absolute Katastrophe"

Alle Milchbauern sind in Not. Jetzt haben auch Großbetriebe
die Landwirtschaftsministerin um Hilfe gebeten

Von Marlene Herzog


Die Grenze ist schon lange überschritten. Milcherzeuger produzieren bei den enorm gesunkenen Milchpreisen nur noch mit Verlusten. Der Deutsche Bauernverband (DBV) predigt derweil das Prinzip: Investieren, Optimieren und Wachsen. Jetzt wird deutlich, dass auch moderne, optimierte Großbetriebe mit dem niedrigen Milchpreis nicht leben können. Einige von ihnen forderten kürzlich in einem offenen Brief Agrarministerin Aigner auf, umgehend zu handeln. "Eine Anpassung des Angebots an die Nachfrage durch ein flexibles Mengensteuerungssystem" lautet ihre Forderung.

Einer von ihnen ist Jochen Aalberts, Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern mit 2.000 Hektar Ackerbaufläche und einer Milchquote von 9,7 Millionen Kilogramm. 1.100 Holstein-Friesen werden auf seinem Betrieb gemolken. In einer Stunde werden 150 der Hochleistungstiere durch den Melkstand geschleust. Zwischen den Melkzeiten bleibt gerade noch Zeit, die Reinigung laufen zu lassen.

All das nützt dem Betriebsleiter aus Priborn nichts. Der gebürtige Holländer kämpft ums Überleben seines Betriebs und die Arbeitsplätze seiner 20 Mitarbeiter. Im Januar bekam er für seine Milch gerade mal 22 Cent/kg. "Wenn der Milchpreis bis November nicht steigt, dann bleibt uns keine andere Wahl als aufzuhören". 40 Cent/kg ist seine Forderung.

Seit August 2008 ist der Milchpreis um bis zu 12 Cent/kg gesunken. Im Januar zahlten die Molkereien Viöl eG in Schleswig-Holstein und die Rückers Ostsee Molkerei Wismar in Mecklenburg-Vorpommern einen Rekord-Niedrigpreis von 19 Cent/kg Milch.


Von modernen Betrieben

Aalberts gehört zu jenen Landwirten, die in den letzten Jahren auf Modernisierung und Investition gesetzt haben und damit den Empfehlungen der Agarökonomen gefolgt sind. Seit 1993 hat der Familienvater von drei Kindern zwei Boxenlaufställe und einen Jungrinderstall gebaut. Er hat nach eigener Auskunft insgesamt mehr als 5,5 Mio. Euro investiert. Top Kuhkomfort. Tiefe Liegeboxen, mit einem Bett aus Sägespänen. Die Kühe sind sauber. Der Stall ist gut durchlüftet. Mit diesen Ställen kann Aalberts sich sehen lassen. Ein aufstrebendes, zukunftssfähiges Agrarunternehmen also. Als Solches würden es zumindest einige Vertreter der Landwirtschaft, Berater und Agarökonomen bezeichnen. An einen Ökonomen hat sich Aalberts auch gewandt, um ihn in der Krisenzeit um Rat zu fragen. "Ich müsse es schaffen, die Milch für 22 Cent zu produzieren, sagte mir ein Professor aus Weihenstephan. Das ist doch unmöglich! Ich sag ihm doch auch nicht, dass er für 500 Euro im Monat hinkommen muss."

Ein gut wirtschaftender Betrieb im Osten müsse allein für Lohnkosten (5-7 Cent/kg Milch), zugekauftes Futter (etwa 6 Cent/ kg) und eigen produziertes Futter (etwa 5 Cent/kg) mit etwa 17 Cent/kg Milch rechnen, so Alberts. Da sind noch keine Maschinenkosten, kein Unterhalt, keine Abschreibung, keine Grundsteuer und Sonstiges enthalten. Eine rentable Produktion mit einem Auszahlungspreis von 22 Cent/kg ist unmöglich.

Aalberts ist verärgert. "Die Betriebe müssen zukunftsfähig sein. Die Betriebe müssen wachsen. So hat man uns das immer verkauft." Er glaubt das nicht mehr und fordert alle Landwirte auf, die Professoren und führenden Leute in der Landwirtschaft nach Hause zu schicken. Falsche Versprechungen und schlechte Beratung sieht er als eine Ursache der momentanen Notlage deutscher Milcherzeuger.


Die Fördergeldfalle

Auf dem Hof Pfaffendorf in Sachsen-Anhalt ist die Situation ähnlich. "Zur Zeit ist es eine absolute Katastrophe." Birgit Meurer überwacht die Produktion von 6,4 Millionen kg Milch im Jahr. Auf ihrem Betrieb in Edderitz arbeiten 16 Mitarbeiter und versorgen rund 700 Kühe. Die Molkerei zahlt gerade mal 21,3 Cent/kg. Vor kurzem ist der Betrieb von 3 mal auf 2 mal täglich Melken umgestiegen. "Wir gucken jeden Tag, wo wir noch einen Cent sparen können. Aber irgendwann ist das Limit erreicht." Die Mutter von vier Kindern steht unter enormen Druck. Seit ihr Mann vor neun Jahren gestorben ist, leitet sie das Unternehmen, dem fünf weitere Landwirtschaftsbetriebe angegliedert sind, allein. Gemeinsam mit fünf weiteren Betrieben bewirtschaften sie eine Fläche von insgesamt 3.500 Hektar. Noch können die Rechnungen bezahlt werden, aber nur weil die Milchproduktion durch den Ackerbau quersubventioniert werden kann.

Zwischen 1995 und 2002 hat Meurer die elf Ställe ihres Betriebs sanieren und aufrüsten lassen. Alles mit Hilfe von Fördermitteln, der sogenannten Rindvieh-Stabilisierungsprämie. "Die Landespolitik wollte mit der Prämie die Arbeitsplätze auf dem Betrieb sichern." Die damals zum größten Teil aus EU-Mitteln finanzierten Fördergelder binden sie heute an die Milchproduktion. "Dadurch, dass wir Fördergelder in Anspruch genommen haben, sind wir mehr oder weniger dazu gezwungen, noch zehn Jahre weiter zu melken." Die Ställe dürfen nicht zweckentfremdet werden. Weiter melken ist bei den momentan niedrigen Milchpreisen äußerst schwierig. Ans Aufhören ist aber noch weniger zu denken. Dann stünde Birgit Meurer vor einem hohen Schuldenberg. "Wenn wir nicht mehr produzieren würden, müssten wir die Fördermittel zurückzahlen." Zusätzlich laufen auf die Ställe noch Darlehen, die Meurer jeden Monat bedienen muss.

Die Idee, für einen höheren Milchpreis freiwillig auf Menge zu verzichten, ist auch für Großbetriebe interessant. "Ich bin bereit, 20 Prozent weniger Milch zu produzieren, wenn ich statt 22 Cent, 40 Cent kriege", sagt Aalberts.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 320 - März 2009, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009