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MARKT/1745: Die Solidarität aller mit den Milchbäuerinnen und -bauern ist wichtig (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Schwachsinn hoch drei
Die Solidarität aller mit den Milchbäuerinnen und -bauern ist wichtig

Von Günther Völker


Der Krankheitserreger der weltweiten Krise der Finanzwirtschaft ist diagnostiziert. Es ist die Gier. Eine Gier, die nicht gezügelt wird durch staatliche Regelungen, durch Begrenzungen, durch wirkungsvolle Aufsichtsmaßnahmen. Die Einsicht, dass dieses Fehlverhalten begrenzt und bewacht werden muss, führt in Reden der Volksvertreter - gerade auch in Krisen und Wahlkampfzeiten - zu einer Rückbesinnung auf das, was eine soziale Marktwirtschaft sein sollte. Nämlich keine Kreuzung zwischen Marktliberalismus und Sozialhilfe sondern ein Wirtschaftssystem, in dem soziale Komponenten wie gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, Existenzsicherung usw. Teile und Ergebnisse des Wirtschaftens sind und nicht dem Markt und dem freien Spiel seiner Kräfte überlassen sein sollten.

Gleichermaßen sollte auch die Landwirtschaft nicht dem freien Spiel der Marktkräfte uneingeschränkt ausgesetzt werden, bei dem Fehlentwicklungen durch flankierende Sozialmaßnahmen für die Bauern, Abschlachtprämien für Tiere, Liquiditätshilfen oder staatliche Interventions- bzw. Ausfuhrbeihilfen vertuscht und vernebelt werden. Die Schweineerzeugung ist bereits seit langer Zeit - abgesehen von einigen Ausfuhrunterstützungen - und Einlagerungsmaßnahmen - einem deregulierten Markt ausgesetzt. Wohin das führt, wurde kürzlich in top agrar, einer landwirtschaftlichen Fachzeitung, dargestellt. Simon Hoj, ein dänischer Schweineproduzent, hat im Frühjahr seinen Sauenbestand um 2.200 Sauenplätze auf über 4.000 erhöht und er hält zudem 5.000 Mastschweine: "Wir brauchen 30 Ferkel pro Sau und Jahr, um die Kredite abbezahlen zu können. Bei schlechten Leistungen dreht uns die Bank den Hahn zu." Dafür, dass dieser Junglandwirt 120.000 Ferkel produziert, gibt es keine wirtschaftlichen Gründe mehr. Das kann nur noch Gier sein - oder das neue ökonomische Prinzip, zu groß zu sein, um fallen gelassen zu werden (too big to fail). Der Betrieb wird von den Banken nicht fallen gelassen, aber der Betriebsleiter ausgetauscht.


Immer kürzere Verfallszeiten

Ich bin auch Ferkelerzeuger. Zum Glück in Westfalen. Hier dreht sich die Tretmühle, angetrieben durch betriebliches Wachstum und daraus folgenden sinkenden Preisen noch nicht so schnell wie in Dänemark oder den Niederlanden. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier die Drehgeschwindigkeit erhöht. Noch sind bei uns um 5 Euro höhere Preise zu erzielen, weil hier die Strukturen bisher noch kleiner sind, und in Erzeugergemeinschaften ein möglichst guter Preis erkämpft wird. So lohnt es sich für die dänischen Bauern trotz Transportkosten, Ferkel in großen Mengen und Partien in den hiesigen Markt zu liefern. Die Marktkräfte wirken jedoch überall gleich, und nichts bezähmt und bewacht sie. Die angeblich notwendigen Tierzahlen und Ferkelleistungen haben immer kürzere Verfallszeiten. Zudem dauert das jeweils nächste Preistief länger an als das Vergangene. Anderthalb Jahre lang hat jedes verkaufte Ferkel zehn Euro mitgenommen. Eine kurze Zeit der Preiserholung reicht nicht, ein Liquiditätspolster aufzubauen, denn das nächste Preistief steht vor der Stalltür.


Wenn das Licht flackert

Ich bin Fördermitglied im Bund der deutschen Milchviehhalter (BDM) geworden aus Solidarität mit Milchbauern in Not und aus Übereinstimmung mit den vom BDM formulierten agrarpolitischen Zielen. Diese Ziele sind denen der Interessengemeinschaft Schweinehalter Deutschland (ISN) fast völlig entgegengesetzt. Die Vertreter dieser Organisation haben zuviel Wachstumshormone geleckt. Zwischen deren Positionen und denen des Bauernverbandes gibt es keine Differenzen. Das betrifft Mengensteuerung, Wachstumsgrenzen, Gentechnik oder Exportziele: "Wir haben nicht nur den regionalen Markt sondern auch einen europäischen (Ost) und internationalen (Asien) zunehmend erobert", so Franz-Josef Möllers, Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband und Deutscher Bauernverband. Aus dem Osten soll das Licht kommen. Wenn es aber flackert, muss der Staat oder die EU mit Ausfuhrhilfen einspringen. Und es stört auch keinen großen, von Marktfreiheit erfüllten Geist, dass in der Hochburg der ISN in Vechta-Oldenburg annähernd 30% der Schweine von Futtermittelindustrie und Banken in Lohnmast erzeugt werden. Die Bauern sind Lohnarbeiter ohne Mindestlohn.


Historische Auseinandersetzung

Aber nicht nur die aktuellen agrarpolitischen Positionen haben mich bewogen, Mitglied des BDM zu werden - und wie ich weiß auch andere gleichgesinnte Schweinehalter - sondern auch die Teilhabe an einer Auseinandersetzung über die zukünftige Gestaltung unseres Wirtschaftens. Die Krise der Realwirtschaft wurde ausgelöst durch die der Finanzen. Sie ist aber ursächlich auch ein Problem von Oberkapazitäten und fehlender Strategien angesichts des Klimawandels, der Endlichkeit von Rohstoffen, ungerechter Vermögens-, Einkommens-, Macht- und Arbeitsverteilung sowie für ein qualitatives, an Nachhaltigkeit orientiertes Wachstum. In der Geflügel- und Schweinewirtschaft ist der Zug abgefahren, obwohl angeblich alles richtig gemacht wurde. Es wurde investiert, Kredite aufgenommen, rationalisiert, die Verarbeitungsindustrie ist in diesen Marktsegmenten hochkonzentriert und durch den Lebensmittelhandel nicht leicht auszutauschen. Die Bäume wuchsen scheinbar in den Himmel, obwohl gerade Bauern wissen sollten, dass das nicht funktioniert. Der BDM führt eine historisch notwendige Auseinandersetzung und das mit Führungskräften, Männern und Frauen, die unverbraucht sind, unabhängig entscheiden und gestalten können, nicht von Konzernen finanziert sind und in weitgehender Übereinstimmung mit einer öffentlichen Meinung handeln. Klaus Wiegard war bis Ende 1988 zuerst Chef von REWE, dann von METRO. In seine Zeit fiel die internationale Expansion dieser Konzerne. Regionale Molkereien und Brauereien verschwanden reihenweise, je stärker sich der Handel im Einkauf konzentrierte. Im Spiegel 39/09 urteilt der 70jährige heute darüber: "Das ist Schwachsinn hoch drei. Spätere Generationen werden sich fragen: 'Was waren das für Menschen"' und "Wachstum ist ein völlig untauglicher Begriff, um Wohlstand auszudrücken."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2009