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MARKT/1823: Milchmarktsysteme in der Schweiz, den USA und Kanada (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Milchmarktsysteme in der Schweiz, den USA und Kanada
In allen Ländern wird der Milchmarkt reguliert.
Wie und ob die Mechanismen funktionieren, ist im Einzelnen sehr unterschiedlich

Von Mirjam Schneider


Das Beispiel Schweiz führt vor, wie es nach der Aufhebung der Quote weitergehen kann, wenn Erzeuger keine Bündelung ihrer Marktmacht hinbekommen. Hier ist die Branchenorganisation Milch (BOM) nun endgültig gescheitert. Schwierigkeiten entstanden vor allem durch die Zusammensetzung der BOM. Gedacht war die BOM als Interessensvertretung aller Akteure, die allgemeinverbindlich über Milchmengen und Richtpreis entscheidet. De Facto gab es jedoch Verflechtungen zwischen Erzeugern und Verarbeitern, so dass meist keine Einigkeit über die Mengenanpassung erreicht wurde. Zuletzt wurden die von der BOM verbindlich gefassten Beschlüsse zur Erhöhung des Milchpreises von Handel und Molkereien schlicht nicht umgesetzt. Nach diesem offensichtlichen Scheitern, beschloss der Nationalrat nun im Oktober die "Motion Aebi", die die Milchmengenregelung in Produzentenhand geben will.


Regulierung in den USA

Trotz der viel beschworenen Marktliberalisierung gibt es auch in den USA Marktregulierung. Generell müssen Händler einen bestimmten Mindestpreis für die Milch zahlen. Staatliche Aufkäufe und Einkommensbeihilfen sollen Preisschwankungen abfedern. Neu ist das Instrument der sogenannten Risikoabsicherung: Milcherzeuger sollen sich über Termingeschäfte gegen volatile Märkte absichern. Diese Möglichkeit nutzt aber nur ein kleiner Teil. Derzeit wird ein Bonus-Malus-Prinzip diskutiert: Wollen Milcherzeuger mehr produzieren, müssen sie den Marktzugang bezahlen (Malus). Jene Betriebe, die nicht zusätzlich produzieren, erhalten Zuschläge (Boni).


Zufriedenheit in Kanada

In Kanada hingegen scheint das Milchmarktsystem zur Zufriedenheit von Erzeugern, Verarbeitern, Handel und Verbrauchern zu funktionieren. Kern des Systems ist die Festlegung der Milchmenge durch die kanadischen Milchkommission, die sich aus Vertretern der Milcherzeuger, Milchverarbeiter und der Verbraucher zusammensetzt. Der Erzeugerpreis wird auf Provinzebene zwischen Molkereien und Vertretern der Milcherzeuger ausgehandelt. So werden Milchmengen flexibel an die Nachfrage angepasst und kostendeckende, stabile Preise erreicht.


Vergleichende Länderanalyse

Die zunehmende Konzentration von Handel und Molkereien ist in allen untersuchten Ländern sichtbar. Die Gleichung ist einfach: Je stärker die Kräfte des Marktes zum Tragen kommen, desto deutlicher wird die Schwäche der Erzeuger in der Wertschöpfungskette. In den USA, Kanada und der Schweiz beherrschen je drei oder vier Molkereien etwa drei Viertel des Marktes.

Lediglich in Kanada hat dies keine negativen Auswirkungen auf den Erzeugerpreis. Durch die Begrenzung der Menge und die Festlegung des Richtpreises wird hier ein Interessensausgleich zwischen den Akteuren erreicht. In der EU ist die Konzentration bisher weniger ausgeprägt, die Tendenz geht jedoch klar in diese Richtung. Kostendeckende Preise sind nur durch eine Stärkung der Marktmacht der Erzeuger, d.h. durch Bündelung und Mindestpreisabsprachen möglich. Unverzichtbar ist auch ein ausgewogenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Dazu brauchen wir eine Regulierung des Angebots im Konsens zwischen Politik und Milchwirtschaft.


Schwankungen am Weltmarkt

Der Blick auf die Milchpreise der letzten Jahre macht deutlich: Je stärker die Milchproduktion am Bedarf des Binnenmarkts orientiert ist, desto krisenfester ist ein Milchsystem. Der dramatische Preisverfall am Weltmarkt 2008/2009 ließ auch die Milchpreise in der EU und den USA sinken. Nicht so in Kanada. Hier wird die Milchproduktion an den sich verändernden Bedarf angepasst. Hinzu kommt, dass nur 2 Prozent der Milchproduktion exportiert werden (USA 5 Prozent, EU 9 Prozent), nur 4 Prozent werden importiert. Nach dem Willen der WTO und der EU soll sich dies ändern: Seit Mitte 2009 verhandelt die EU mit Kanada über ein Freihandelsabkommen.

Nicht neu, aber dennoch überraschend in dieser Deutlichkeit, wird in der Studie sichtbar, dass niedrige Erzeugerpreise keineswegs auch niedrige Preise für Verbraucher bedeuten. Viel mehr steigt in deregulierten Märkten die Differenz zwischen dem, was der Verbraucher bezahlt und der Erzeuger erhält. Am höchsten ist diese Spanne in den liberalisierten Märkten Neuseelands, Australiens und der USA, während sie in Kanada am niedrigsten ausfällt. Stabile Erzeugerpreise sind also durchaus auch im Interesse der Verbraucher; wenn die Gewinne in der Produktionskette angemessen verteilt sind.

Bisher fehlt in allen Milchmärkten weitestgehend die Berücksichtigung von klimafreundlicher Milcherzeugung, Tierschutz und Artenvielfalt. Hier müssen wir stärker als bisher Weidehaltung und Grünlandwirtschaft fördern. Zudem brauchen wir eine Strategie, die der Abhängigkeit Europas von Eiweißfuttermittel-Importen begegnet.

Mirjam Schneider
Mitarbeiterin im Büro des Europaabgeordneten.

Die von Marita Wiggerthale (Oxfam) erstellte Studie wurde vom Grünen Europaabgeordneten Martin Häusling in Auftrag gegeben. Die vollständige Studie kann unter www.martin-haeusling.eu heruntergeladen werden.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010