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MARKT/2125: Nach dem Ende der Quoten (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Nach dem Ende der Quoten
Der Milchpreis fällt und die Funktionäre rufen nach staatlicher Unterstützung

Von Marcus Nürnberger


Die Milch macht's - und sorgt für Diskussionen, denn die Milchpreise sind so niedrig wie schon lange nicht mehr: AbL und BDM sagen, für einen stabil kostendeckenden Milchpreis müssen Marktregeln für eine Mengensteuerung her. Fair, für alle und durch die Politik; kurzfristig könnten die Molkereien mit einem Bonus für einen Verzicht auf Mengenerhöhung Marktverantwortung übernehmen. Bauernverband und Molkereien setzen auf freies Unternehmertum und schimpfen auf den Handel. Bauern wünschen sich möglichst wenig Vorgaben, wollen frei entscheiden und schauen verunsichert auf gesellschaftliche Kritik, während sie günstige Rohstoffe abliefern. Das Buch "Wegwerfkuh" sorgt im Internet für Diskussionen - ungewohnt offen und direkt. Neben dem Austausch unterschiedlicher Auffassungen von akzeptabel, wirtschaftlich und wünschenswert werden ernsthaft mögliche fachliche Ansatzpunkte wie Anpassung von Zuchtzielen und Zwischenkalbezeiten diskutiert.


Ende April 2013 versprach die Rentenbank der Milchwirtschaft durch das Ende der Milchquote eine Chance auf Wachstum. "Auch wenn letztlich nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, wie sich der Milchmarkt entwickelt, bietet die Aufhebung der Mengenbeschränkung für die deutsche Milchwirtschaft durchaus Chancen. Sei es im Export mit Standardprodukten, mit Spezialitäten oder in Nischen auf dem zahlungskräftigen Heimatmarkt", so Horst Reinhardt, Sprecher des Vorstands, anlässlich der Bilanzpressekonferenz 2013.

Schlechte Abschlüsse

Sicherlich konnte 2013 niemand die Entwicklungen am Milchmarkt 2015 vorhersehen. Nicht einmal die Entwicklungen der vergangenen Monate wurden vorhergesehen. Noch Ende vergangenen Jahres hatten sich die Marktanalysten erfreut gezeigt, als sich abzeichnete, dass der Erzeugerpreis sich zum Ende der Milchquote stabilisierte. Die Ursache dürften die zurückgehenden Anlieferungsmengen zum Jahresende und im ersten Quartal 2015 gewesen sein, eine Reaktion der Milchproduzenten auf drohende Strafzahlungen wegen Überlieferung. Dieses Regulativ allerdings ist seit April nicht mehr vorhanden. Die aktuellen Anlieferungsmengen zeigen keinen sprunghaften Anstieg. Im April, dem ersten Monat ohne Quote, stieg der Milcherzeugerpreis gegenüber dem Vormonat leicht an. Für April schätzt die Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft mbH (AMI), dass der Milchpreis (4,0 Prozent Fett und 3,4 Prozent Eiweiß) im bundesweiten Mittel mit 30,2 Cent um 0,3 Cent über dem des Vormonats lag. In den Preisabschlüssen zwischen den Discountern und den Molkereien findet dies allerdings keinen Niederschlag. Vielmehr, so könnte man meinen, nehmen die Handelsunternehmen die aufgrund der Liberalisierung des Marktes mögliche Produktionsausweitung und den zu erwartenden Angebotsüberschuss zum Anlass, Preise zu senken. Besonders unter Druck kamen in der Verhandlungsrunde Anfang Mai die Frischmilchpreise. Hier haben die Discounter Preisabschläge von bis zu zehn Prozent durchgesetzt. Lidl senkte den Verkaufspreis für einen Liter Vollmilch von 59 auf 55 Cent, 250 Gramm Butter kosten 89 Cent und damit 10 Cent weniger als im Vormonat. Die schlechten Preisabschlüsse mit den Discountern sowie die generell verhaltene Lage am europäischen und internationalen Milchmarkt lassen für die kommenden Monate einen erneuten Rückgang der Milchauszahlungspreise erwarten.

Vierzig Cent pro Liter

Wie eng es für die Milcherzeuger unter diesen Voraussetzungen wird, zeigt eine Auswertung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Im Mittel erzielten die 236 untersuchten Betriebe mit durchschnittlich 161 Kühen bei einem Milchpreis von 43,47 Cent im Milchwirtschaftsjahr 2013/14 einen kalkulatorischen Gewinn von 2,96 Cent pro Kilogramm Milch. Dabei beliefen sich die Vollkosten auf 44,4 Cent/kg.

Im europäischen Vergleich waren die Milchauszahlungspreise im März in Deutschland mit die niedrigsten. Angeführt wurden sie mit großem Abstand von der Molkerei Granarolo in Italien mit 41,2 Cent. Am wenigsten zahlte das Deutsche Milchkontor (DMK) mit 28,16 Cent.

Der Tag der Milch

Der letzte Tag im Mai war der Tag der Milch. Doch die aktuelle Marktsituation sowie die schlechten Aussichten ließen keine Feierstimmung aufkommen. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisiert die Preispolitik der Molkereien. "Wir brauchen innovative Maßnahmen, um an der Wurzel der Krise anzusetzen. Das Überangebot an Milch muss verringert werden", fordert Milchbauer Ottmar Ilchmann vom AbL-Bundesvorstand. Eine Verringerung der Menge sei aber nur zu erreichen, wenn sie überbetrieblich koordiniert wird. Die AbL sieht die Molkereien in der Pflicht, sich gegen eine kontinuierliche Produktionssteigerung einzusetzen. Die könne, so Ilchmann, mittels einer Belohnung derjenigen erfolgen, die ihre Liefermenge nicht ausweiten. "Wir fordern daher die Molkereien auf, einen Bonus für diejenigen Milcherzeuger einzuführen, die ihre Milcherzeugung nicht ausdehnen oder sogar um wenige Prozentpunkte "reduzieren." Trotz der Erkenntnis, dass selbst kleine Verringerungen der Milchmenge eine Signalwirkung in der Branche haben und zu steigenden Preisen führen können, wie der Milchstreik eindrücklich zeigte, ist es unwahrscheinlich, dass die Molkereien auf den Vorschlag eingehen. Sie profitieren vom Überangebot des immer günstiger werdenden Rohstoffs Milch und geben die geringeren Erlöse an die Bauern weiter.

Trotzdem der Deutsche Bauernverband zu den großen Befürwortern der Marktliberalisierung - "endlich auch im Milchbereich" - gehörte, fordert er angesichts der drastischen Preiseinbrüche aktuell in Schleswig-Holstein eine Erhöhung der staatlichen Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver und ruft nach staatlichen Liquiditätsfördermitteln und Bürgschaften für die Betriebe.

Wenn Staat und EU nicht an einer effektiven Mengensteuerung interessiert sind, Molkereien und Handel vom Überangebot profitieren und vor allem die milcherzeugenden Landwirte die Last des Preisverfalls und der Liberalisierung tragen sollen, dann wäre es nur folgerichtig, wenn sich gerade diese organisieren, um Produktionsmengen für ihr Produkt festzulegen, Preise auszuhandeln und Überproduktion zu stoppen. Die Norddeutsche Milcherzeugergemeinschaft (Nord MeG) versucht genau dies zu erreichen. 2013 wurde die MeG gegründet und bündelt derzeit nach eigenen Angaben rund 350 Millionen Kilogramm Milch. Als Vertreterin von acht Erzeugergemeinschaften vertritt sie rund 160 Milcherzeuger. Weil diese Form der Stärkung des Einzelbetriebs durch den Zusammenschluss in einer MeG auch für die Strukturen der Milcherzeugung in einem Bundesland von zentraler Bedeutung sein kann, fördert Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer die Nord MeG mit 47.700 Euro. Jede neue und unabhängige Milcherzeugergemeinschaft trägt zu einer Stärkung der Interessen der Milchbauern bei. Nur wenn es den Landwirten gelingt, sich aus den Abhängigkeiten der immer größer werdenden Molkereikonzerne zu lösen, werden sie langfristig eine unabhängige kostendeckende Milchproduktion sicherstellen können.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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