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AUSSEN/576: Flüchtlingsabwehr in Nordafrika - Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. März 2017
(german-foreign-policy.com)

Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (II)


KAIRO/BERLIN (Eigener Bericht) - Mit einem Besuch in Kairo baut Bundeskanzlerin Angela Merkel am morgigen Donnerstag die Kooperation in der Flüchtlingsabwehr mit Ägypten aus. Das Land entwickelt sich zunehmend zum Transitland, von dessen Küsten immer mehr Flüchtlinge auf die Seereise über das Mittelmeer nach Europa starten. Um dem entgegenzutreten, plant die EU ein Abkommen zur Abschottung gegen unerwünschte Migration. Berlin hat die Zusammenarbeit mit den ägyptischen Repressionsbehörden bereits mit einem "Sicherheitsabkommen" intensiviert; die Kooperation etwa mit der Ermittlungsabteilung in der Zentrale des Inlandsgeheimdienstes NSS sei "sehr gut und vertrauensvoll" und habe "hohe strategische Bedeutung", teilt die Bundesregierung mit. Berlin ergänzt die Verdichtung der Beziehungen im Bereich der Repression um eine Stärkung der deutschen Rüstungsexporte zwecks engerer militärischer Bindung Kairos an die EU. Den ägyptischen Repressionsbehörden werden schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen - unter anderem im Zusammenhang mit dem Mord an einem jungen Italiener in Kairo.

Transitland für Flüchtlinge

Ägypten ist in der jüngeren Vergangenheit immer stärker in den Fokus der deutsch-europäischen Flüchtlingsabwehr geraten. In dem Land hielten sich im Herbst laut Angaben des UNHCR mehr als 190.000 registrierte Flüchtlinge auf, darunter über 117.000 Syrer. Hinzu kommen allerdings viele nicht registrierte Flüchtlinge; Beobachter schätzen die Gesamtzahl auf deutlich mehr als 500.000, wahrscheinlich sogar mehr als eine Million. Die Zahl nimmt zu, weil die traditionelle Fluchtroute über Libyen wegen der dort herrschenden Milizen manchen mittlerweile als allzu gefährlich gilt. Zudem treibt der steigende Druck, dem zum Beispiel eritreische Flüchtlinge auf Betreiben Berlins und der EU im Sudan ausgesetzt sind (german-foreign-policy.com berichtete [1]), diese seit einiger Zeit von Süden her in noch höherer Zahl nach Norden.[2] Viele durchqueren Ägypten nach wie vor auf dem Weg an die libysche Küste; doch steigt inzwischen auch die Zahl der Flüchtlingsboote, die von der ägyptischen Küste direkt nach Europa ablegen. Bereits in den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres 2016 zählte die International Organization of Migration (IOM) in Italien gut 1.900 aus Ägypten eingetroffene Flüchtlinge - fast dreimal so viel wie im selben Zeitraum 2015 (655). Laut Angaben des italienischen Innenministeriums waren rund neun Prozent der 149.000 Menschen, die zwischen dem 1. Januar und dem 23. Oktober 2016 mit Flüchtlingsbooten nach Italien reisten, in Ägypten in See gestochen - rund 13.500 Personen.

"Vertrauensvolle" Geheimdienstkooperation

Entsprechend bemühen sich die Bundesregierung und die EU um Gegenmaßnahmen. Insbesondere seit dem Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Abd al Fattah al Sisi Anfang Juni 2015 in Berlin [3] sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern ganz erheblich intensiviert worden. Das gilt nicht zuletzt auf dem Feld der Repression. "Mit Blick auf die aktuelle Migrationslage" wolle man im Rahmen einer "Vorverlagerungsstrategie" die "Zusammenarbeit mit ägyptischen (Grenz-)Polizeibehörden ... im Bereich Grenzschutz ... intensivieren", teilte die Bundesregierung im Frühjahr 2016 mit.[4] Zu diesem Zweck hatte beispielsweise die Bundespolizei am 1. April 2016 einen Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten an der deutschen Botschaft in Kairo etabliert und im Frühjahr 2016 in Ägypten zwei Lehrgänge für jeweils 60 Grenzpolizisten durchgeführt. Darüber hinaus ist die Kooperation mit den ägyptischen Geheimdiensten verstärkt worden. Bereits im November 2015 hielt das Bundeskriminalamt (BKA) einen einwöchigen Lehrgang mit 25 Beamten des ägyptischen Inlandsgeheimdienstes NSS (National Security Service) ab; zudem hat der Dienst einen Beamten als Stipendiaten zur Ausbildung beim BKA nach Deutschland entsandt. Wie die Bundesregierung erklärt, sei "die Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsbereich der NSS-Zentrale ... insgesamt sehr gut und vertrauensvoll" und habe "hohe strategische Bedeutung". Auch mit Kairos Auslandsnachrichtendienst GIS (General Intelligence Directorate) kooperiere man eng und gut; der GIS habe "eine Verbindungsbeamtin nach Berlin entsandt, die an der ägyptischen Botschaft ... sowohl Interessen des GIS als auch des NSS vertritt".[5]

Schlüsselland der Migrationsbekämpfung

Zusätzlich zu einzelnen Kooperationsmaßnahmen hat die Bundesregierung, die Ägypten ausdrücklich als "Schlüsselland" im "Kampf gegen irreguläre Migration" einstuft [6], am 11. Juli 2016 ein umfassendes Sicherheitsabkommen mit Kairo geschlossen. Die Vereinbarung, die allerdings noch nicht in Kraft getreten ist, regelt die Zusammenarbeit der Repressionsbehörden beider Länder, unter anderem den Austausch von Informationen sowie die Fachkräfteentsendung. Die Entsendung von Lehrpersonal der Bundespolizeiakademie etwa ist im November 2016 beim Besuch einer deutschen Delegation in Kairo bereits näher besprochen worden.[7] Ergänzend will die Bundesregierung Ägypten als Abnehmer für deutsche Repressionstechnologie gewinnen. Man sei "bereit", dem Land bei der Kontrolle seiner Grenze zu Libyen zu "helfen", teilte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im April 2016 während einer Reise nach Kairo mit: Es sei durchaus möglich, das nötige Gerät zu liefern.[8] Wenige Wochen später bestätigte die Bundesregierung, der Lieferung von "Ausstattungshilfe" an die ägyptischen Grenzbehörden stehe nichts im Wege.[9] Zu diesem Zeitpunkt hatte Kairo bereits einen Kommunikationssatelliten für sein Militär bei einem Konsortium aus der französischen Thales Alenia Space und Airbus Space bestellt. Airbus Space ist die Weltraumsparte der in Ottobrunn bei München ansässigen Airbus Defence and Space.

EU-Verbindungsoffizier

Die EU verstärkt die deutsche Unterstützung für die ägyptischen Repressionsbehörden. So ist ein Abkommen zur gemeinsamen Flüchtlingsabwehr in Planung; zu detaillierten Absprachen wird der ägyptische Außenminister Sameh Hassan Shoukry am nächsten Montag zu Gesprächen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel erwartet. In Berlin ist zuletzt immer wieder die Absicht geäußert worden, die Vereinbarung mit Kairo dem EU-Flüchtlingsabwehrpakt mit der Türkei nachzubilden; das liefe auf die dauerhafte Festsetzung der Flüchtlinge in Ägypten hinaus. Die Lebenslage nicht erwünschter Migranten in dem Land ist desolat. Ein Recht auf Asyl gibt es dort nur in der Theorie; praktisch werden jedoch keine Asylanerkennungsverfahren durchgeführt. Immer wieder werden Flüchtlinge inhaftiert - allein von Januar bis August 2016 mehr als 4.100. Mehr als 2.350 wurden durchschnittlich 15 Tage festgehalten; rund 1.100 wurden in Nachbarländer abgeschoben, meist in den Sudan; 650 blieben für längere Zeit in Gewahrsam. Selbst die Bundesregierung räumt ein, die Bedingungen in ägyptischen Haftanstalten seien "insgesamt besorgniserregend", was "inhaftierte Migrantinnen und Migranten in gleicher Weise wie andere Inhaftierte betreffen dürfte".[10] Vom Ausbau der Zusammenarbeit hält das aber weder Berlin noch die EU ab: Derzeit wird - ergänzend zu einem neuen Flüchtlingsabwehrpakt - die Entsendung eines "European Migration Liaison Officer" nach Kairo vorbereitet.

U-Boot-Geschäfte

Ähnlich wie im Falle der Kooperation mit Algerien (german-foreign-policy.com berichtete [11]) ergänzt Berlin auch im Fall Ägyptens die repressive Zusammenarbeit in der Grenzabschottung um Rüstungslieferungen an das Militär. Überschritten die deutschen Rüstungsexporte nach Ägypten in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur dreimal den Wert von 25 Millionen Euro, so hat die Kieler ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) den milliardenschweren Auftrag zur Herstellung von vier U-Booten für die ägyptische Marine erhalten. Das erste ist im Dezember ausgeliefert worden. Mit dem Kauf vollzieht Kairo im militärischen Bereich einen Annäherungsschritt an die EU.

Mord an einem Kritiker

Die Bundesregierung baut die repressiv-militärische Kooperation mit dem Kairoer Regime aus, obwohl den ägyptischen Repressionsbehörden schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Zuletzt hat unter anderem der Mord an dem 28-jährigen italienischen Doktoranden Giulio Regeni zu breiten Protesten geführt, dessen Leiche am 3. Februar 2016 in Kairo mit Spuren brutaler Misshandlungen aufgefunden wurde. Regeni galt als Kritiker des Kairoer Regimes (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Beobachter vermuten, dass der Mord auf das Konto von Polizei oder Geheimdiensten geht. Deutsche Behörden bauen ihre Zusammenarbeit mit beiden aus.


Mehr zum Thema:
Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59544


Anmerkungen:

[1] S. dazu Besetzen und abschotten (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59458

[2] Hazel Haddon: For Eritreans, Egypt is the new route to Europe.
www.irinnews.org 06.06.2016.

[3] S. dazu Sisi in Berlin (I)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59128
und Sisi in Berlin (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59129

[4], [5] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Franziska Brantner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/8449, 31.05.2016.

[6] "Ein unverzichtbarer Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus".
www.bmi.bund.de 31.03.2016.

[7] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11098, 07.02.2017.

[8] Gabriel lobt umstrittenen al-Sisi in höchsten Tönen.
www.handelsblatt.com 17.04.2017.

[9] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Franziska Brantner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/8449, 31.05.2016.

[10] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10121, 23.11.2016.

[11] S. dazu Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59544

[12] S. dazu Von Lagern umgeben.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59342

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2017

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