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ENTWICKLUNGSHILFE/432: Rekordausfall bei humanitärer Hilfe - Millionen Menschen allein gelassen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2012

Entwicklung: Rekordausfall bei humanitärer Hilfe - Millionen Menschen allein gelassen

von Kim-Jenna Jurriaans



New York, 27. Juli (IPS) - Bei der globalen Finanzierung humanitärer Hilfe sind 2011 die größten Ausfälle seit zehn Jahren verzeichnet worden. Ein Bericht der unabhängigen britischen Organisation 'Development Initiatives' (DI) zieht in Zweifel, dass die internationale Staatengemeinschaft in der Lage sein wird, in diesem Jahr den 20-prozentigen Mehrbedarf an Hilfen für Dürre- und Konfliktgebiete aufzubringen.

Zeitgleich mit der Verbreitung des von DI erstellten 'Global Humanitarian Assistance'-Report (GHA-Bericht) veröffentlichten die Vereinten Nationen ihre aktuellen Halbjahresdaten. Darin wird der zunächst für 2012 veranschlagte Bedarf von 7,9 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe auf 8,8 Milliarden Dollar nach oben korrigiert.

Der GHA-Bericht wirft ein Schlaglicht auf die veränderten Voraussetzungen für humanitäre Hilfe nach dem Erdbeben in Haiti 2010 und den schweren Überschwemmungen in Pakistan. Zugleich wird deutlich, dass die Staatengemeinschaft nicht genug zur Linderung der Krisen in der Welt beitragen kann.

Obwohl die Zahl der Hilfsbedürftigen im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2010 von 74 Millionen auf 62 Millionen zurückging, konnte die internationale Gemeinschaft die Kosten nicht schultern. Die Beiträge der Geber für humanitäre Hilfe sanken um insgesamt neun Prozent.

Fast 38 Prozent des Bedarfs konnte somit 2011 nicht gedeckt werden. Statistiken belegen, dass dies einen Anstieg der Ausfälle um zehn Prozent im Verhältnis zu 2007 bedeutet. Die Beiträge für die globale humanitäre Hilfe stiegen im gleichen Zeitraum von 12,4 Milliarden auf 17,1 Milliarden Dollar.


Große Hilfsbereitschaft nach Beben in Haiti und Flut in Pakistan

Das Erdbeben in Haiti und die Überschwemmungen in Pakistan markierten 2010 eine deutliche Zäsur. Die internationale Gemeinschaft stellte in dem Jahr die Rekordsumme von 18,8 Milliarden Dollar bereit. Im Vorjahr waren es 15,3 Milliarden Dollar gewesen.

Während sich die Lücke zwischen den bereitgestellten Hilfsgeldern und dem Bedarf zunehmend vergrößert, hat sich der Bereich Humanitäre Hilfe als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) ist dagegen insgesamt zurückgegangen, wie die Autorin der Berichts, Lydia Poole, unterstreicht.

Poole, die bei DI das Programm für globale humanitäre Hilfe leitet, hebt positiv hervor, dass private Geber mehr Geld bereitgestellt haben und offensichtlich besser auf einen erhöhten Bedarf an Hilfen reagieren. 2010 stiegen die privaten Zuschüsse demnach um 70 Prozent an und blieben wie die gesamte Finanzierung der humanitären Hilfe im vergangenen Jahr oberhalb des Niveaus von 2011.

Während die Naturkatastrophen 2010 die internationale Hilfsbereitschaft auf Rekordhöhe trieb, konzentrierten sich die Hilfen auf bestimmte Länder. Andere blieben außen vor.

Der Tschad und Nepal verloren 2010 beispielsweise rund 30 Prozent der bisherigen Zuschüsse. Sie gehörten zu den unsichtbaren Verlierern, da die Hälfte aller bereitgestellten Gelder an lediglich drei Länder ging. Haiti erhielt in dem Jahr mehr als das Doppelte der Summe, die in den vorangegangenen Jahren an eines der am stärksten auf Hilfe angewiesenen Staaten gegangen war.

"Es ist sicherlich kein guter Grundsatz für Geber humanitärer Hilfe, gegen eine Krise auf Kosten der anderen anzugehen", meint Poole, die in diesem Zusammenhang vor allem auf die 2011 dramatisch verschlimmerte Lage am Horn von Afrika hinweist. Trotz früher Warnungen hinsichtlich der Dürre in der Region seien nicht genügend Mittel bereitgestellt worden, die viele Leben hätten retten können.


Verschwindend geringe Beiträge für Katastrophenprävention

Laut dem Bericht sind Naturkatastrophen und Konflikte weiterhin die Hauptauslöser für humanitäre Krisen. Dennoch flossen zwischen 2006 und 2010 nur vier Prozent der humanitären Hilfe der Katastrophenprävention zu. Als Zielmarke waren dagegen zehn Prozent festgelegt worden.

"Viele humanitäre Krisen sind auf mangelnde Sicherheit zurückzuführen", meint Poole. "Humanitäre Hilfe allein könne nicht viel ausrichten." Um die Vorbeugung von Krisen zu verbessern, müssten nach Ansicht der Expertin weitere Akteure wie Regierungen sowie Vertreter des Entwicklungssektors und von Initiativen zur Friedenssicherung in die Debatte einbezogen werden.

Der Report geht auch auf die Schwierigkeiten ein, die nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, die meist als erste auf Krisen reagierten, beim Zugang zu internationalen und nationalen Fonds zur Katastrophenhilfe haben.

Laut dem GHA-Bericht dürfte die Zahl der Menschen, die weltweit auf Hilfe angewiesen sind, aufgrund der Krisen in der Sahel-Zone und des Konflikts im Norden Malis im Laufe des Jahres von bisher 51 Millionen auf 62 Millionen in die Höhe schnellen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.globalhumanitarianassistance.org/reports
http://www.unocha.org/top-stories/all-stories/humanitarian-funding-62-million-people-need-humanitarian-help-worldwide
http://www.ipsnews.net/2012/07/record-aid-shortfall-abandons-millions-to-their-fate/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2012