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FRAGEN/001: Werner Ruf - "Es wird nicht bei Luftangriffen bleiben" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 12 vom 25. März 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Es wird nicht bei Luftangriffen bleiben"

Prof. Dr. Werner Ruf zum Militärschlag gegen Libyen


Prof. Dr. Werner Ruf war Inhaber eines Lehrstuhls für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel. Seit April 2003 ist er im Ruhestand.


UZ: Eine "Koalition der Willigen", auch "die" Staatengemeinschaft genannt, bombardiert Libyen. Ist dieses Vorgehen durch die UN-Resolution, auf die man sich beruft, tatsächlich gedeckt?

WERNER RUF: Darüber kann man streiten: Die Resolution 1973 ermächtigt die Staaten, die Aktionen gegen Libyen durchführen wollen, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um a. Zivilisten zu schützen, die von Angriffen bedroht sind, b. um die Flugverbotszone durchzusetzen.

Diese Resolution, die mit zehn Stimmen bei fünf Enthaltungen angenommen wurde, ist also die Rechtsgrundlage des Eingreifens der "Koalition der Willigen", bestehend aus Frankreich, Großbritannien und den USA.

Problematisch ist daran, dass der UN-Sicherheitsrat eine Rebellion gegen das Regime von Gaddafi zum Anlass nimmt, um eine Resolution im Rahmen des Kapitels VII der Charta zu verabschieden, das nur den Krieg zwischen Staaten kennt. Endgültig erhält der Art. 2 Abs. 7 der Charta den Todesstoß, der jede Einmischung der UN in innere Angelegenheiten eines Mitgliedstaates verbietet - und eine Rebellion ist eine innere Angelegenheit.

Schließlich überlässt es der Sicherheitsrat der "Koalition der Willigen", selbst darüber zu befinden, welches denn nun die "notwendigen Maßnahmen" sind, um das Ziel zu erreichen. Er überträgt damit seine ureigene Verantwortung, für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sorgen an Dritte.

UZ: Außenminister Westerwelle hat schon vor Tagen darauf hingewiesen, dass die Einrichtung der sogenannten Flugverbotszone Bombardierungen nach sich zieht. Wie bewerten Sie das Verhalten der Bundesregierung, sich im UN-Sicherheitsrat zu enthalten?

WERNER RUF: Hier muss man das Verhalten der Bundesregierung tatsächlich loben: Jedem klar denkenden Menschen ist bewusst, dass die Durchsetzung einer Flugverbotszone nicht durch das Aufstellen von Schildern bewirkt werden kann, sondern nur durch massive Bombardierung der militärischen Infrastruktur. Und die Maßnahmen erstrecken sich ja auch nicht auf Flughäfen und Kommunikationseinrichtungen: Frankreich hat bereits stolz gemeldet, libysche Panzer vernichtet zu haben: Panzer sind kein Fluggerät, können aber wohl nach Meinung einer der Krieg führenden Parteien im Rahmen der "notwendigen Maßnahmen" angegriffen werden.

UZ: Aus den Reihen der SPD und der Grünen (auch aus der Union) gibt es Stimmen, die eine Beteiligung der Bundeswehr am militärischen Vorgehen fordern. Wie bewerten Sie das rechtlich und politisch?

WERNER RUF: Rechtlich liefert die Resolution 1973 eine, wenn auch völkerrechtlich problematische Grundlage für ein Eingreifen. Politisch halte ich die Aktion für kontraproduktiv, da sie in der gerade im Aufbruch befindlichen Welt das alte Feindbild vom aggressiven Westen bestätigt und zugleich Interventionen "normalisiert" - so wie es Saudi-Arabien in Bahrein tut, um die dortige Herrscherfamilie zu stützen.

UZ: Die Aggressoren streiten über Befehlsstrukturen, die Nato als ganzes nimmt nicht teil. Ist das Vorgehen im wahrsten Sinne des Wortes ein Schnellschuss einiger weniger - wie Sarkozy -, die den starken Mann vor ihren WählerInnen markieren wollen?

WERNER RUF: Absolut - vor allem wenn man sich erinnert, dass Frankreich noch vor vier Wochen einer der besten Freunde Gaddafis war, dass die damalige französische Außenministerin Alliot-Marie noch drei Tage vor dessen Flucht dem tunesischen Diktator Ben Ali französische Spezialtruppen zur Aufstandsbekämpfung angeboten hat. Ja, es geht auch um Wahlkampf, um das Wieder-Aufleben-Lassen alten kolonialen Ruhms, mit dem man in Frankreich noch immer das rechte Wählerpotenzial mobilisieren kann.

UZ: Worum geht es überhaupt bei diesen Luftangriffen? Warum ignoriert man die Versuche Gaddafis, den Forderungen der "Staatengemeinschaft" nachzukommen? Warum ignoriert man Friedensinitiativen wie die von Hugo Chavez?

WERNER RUF: Es geht offensichtlich um einen militärischen Regime Change: Gaddafi muss weg. Deshalb ignoriert man Vermittlungsangebote jeder Art wie nicht zuletzt auch das Angebot Libyens, die erklärte (und wohl nicht eingehaltene) Waffenruhe durch Beobachter der UN überwachen zu lassen. Man will diesen Krieg, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, wer denn die Rebellen wirklich sind. Dabei könnte das Land in zwei oder drei Teile zerbrechen - was letztlich für die Ölinteressen der Krieg führenden Parteien durchaus Vorteile haben könnte.

UZ: Wird es bei Luftangriffen bleiben (können)?

WERNER RUF: Nein, denn Flugverbote müssen am Boden durchgesetzt werden. Und die Art der Kriegsführung bestätigt das ja. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir Bilder der menschlichen "Kollateralschäden" dieser Aktion zu sehen bekommen.

UZ: Wie bewerten Sie das Verhalten westlicher Journalisten, die vom Balkon Tripoliter Luxushotels der libyschen Bevölkerung vorwerfen, sie lasse sich von Gaddafi allzu gern als menschlicher Schutzschild gegen Bombardements gebrauchen?

WERNER RUF: Das ist keine Berichterstattung, sondern geschmacklose Hetze, die alles Elend auf einen Bösewicht projiziert (wie Milosevic, Saddam Hussein, Gamal Abdel Nasser u. a.) und somit "allen notwendigen Mitteln" eine moralische Rechtfertigung zuzuschreiben versucht.


Die Fragen stellte Adi Reiher


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 12 vom 25. März 2011, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011