Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

KULTUR/344: Für einen kooperativen Kulturföderalismus (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011

Für einen kooperativen Kulturföderalismus

Von Siegmund Ehrmann


In der deutschen Kulturpolitik existiert ein unübersichtliches Nebeneinander von Förderinstrumentarien auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene mit Reibungsverlusten. Ohne den Kulturföderalismus infrage zu stellen, ist eine Debatte über ein kooperatives Zusammenwirken dringend notwendig.


In Hamburg wird neu gewählt. Die schwarz-grüne Landesregierung ist gescheitert. Neben anderen Bereichen, in denen der Hamburger Senat offenkundig versagt hat, trug die katastrophale Kulturpolitik sicherlich zum Ansehensverlust der Regierung bei. Dabei handelte es sich im Kern um einen Vorgang, der aktuell vielen Kommunen und Ländern große Sorgen bereitet. Die öffentliche Kulturförderung ist - als Teil der so genannten freiwilligen Leistungen - von Sparmaßnahmen vorrangig betroffen. Betrachtet man die Situation genauer, offenbart sich ein grundsätzliches Kompetenzdilemma in der Kulturpolitik. Es ist Zeit, darüber zu diskutieren, wie die Verantwortung des Bundes für die Kultur im Zusammenwirken mit Ländern und Kommunen stärker konkretisiert, akzentuiert und transparenter gestaltet werden kann. Beispiele und Strukturen dafür gibt es bereits.

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise hat erhebliche Steuerausfälle verursacht, von denen die Kommunen am stärksten betroffen sind. Nach Angaben des Deutschen Städtetages erwarten die Kommunen ein Rekorddefizit von 15 Milliarden Euro im Jahr 2010 (im Jahr 2003 lag das Defizit bei "nur" 8,4 Milliarden Euro). In Anhörungen des Deutschen Bundestages wurde versucht, Handlungsansätze des Bundes für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur in den Ländern und den Kommunen herauszuarbeiten. Das Ergebnis ist nicht überraschend und verdeutlicht die komplizierte Situation. Selbst wenn der Bund besten Willens wäre, verstieße er gegen die Verfassung, würde er Kultureinrichtungen in finanzschwachen Kommunen z.B. über einen vom Deutschen Kulturrat in die Diskussion gebrachten Kulturnothilfefonds unterstützen. Die Rechtslage ist eindeutig: Art. 104 a des Grundgesetzes sieht vor, dass Bund und Länder nur das finanzieren dürfen, wofür sie auch eine verfassungsmäßige Zuständigkeit besitzen.

In der aktuellen Notsituation vieler Kommunen sind dem Bund damit weitgehend die Hände gebunden. Der Bund kann keine direkten Hilfen an kommunale Einrichtungen geben, sondern lediglich mittelbar über seine relativ schmalen, ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Dazu gehört die Kulturstiftung des Bundes (KSB), bei der die Kommunen Projektförderungen beantragen können und so zumindest kurzfristig eine kleine Entlastung erreichen können.


Reichen die bestehenden Kompetenzen des Bundes?

In dieser Situation sind natürlich in erster Linie die Länder gefordert, ihren Kommunen zu helfen. Die Kulturhoheit der Länder (die in ihren Landesverfassungen eine Aufgabenteilung mit den Kommunen vornehmen) hat historische Gründe und ist unstreitig. Ich bin daher froh, dass die neue Landesregierung in NRW als eine der ersten Amtshandlungen den klammen Kommunen zur Seite steht. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Dennoch stellt sich die Frage: Welche Verantwortung hat der Bund neben den Ländern und Kommunen für Kunst und Kultur und wie kann der Bund diese wahrnehmen, ohne sich in Zuständigkeitsfragen zu verlieren?

Eine eigenständige Kulturpolitik des Bundes wurde aus historischen Gründen bis zur Deutschen Einheit nicht formuliert. Mit Artikel 35 des Einigungsvertrages änderte sich das. Mit der Verpflichtung, die kulturelle Substanz in den neuen Bundesländern zu erhalten, wird Kunst und Kultur erstmals als nationale Aufgabe und damit auch als Angelegenheit des Bundes definiert. Auf dieser Grundlage konnte ein großer Teil der reichhaltigen Kulturlandschaft in den neuen Bundesländern erhalten und wiederhergestellt werden.

Die rot-grüne Regierung hat 1998 die gewachsene Kompetenz des Bundes für die Kultur strukturell mit dem Amt des Staatsministers für Kultur und Medien und dem Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag unterlegt. Seither wurden wichtige kulturpolitische Akzente durch den Bund gesetzt. Neben der Kulturstiftung des Bundes gibt es auch im Bereich der Geschichts- und Erinnerungspolitik mit dem Gedenkstättenkonzept des Bundes eine sachlich begründete Systematik, die das Zusammenwirken von Bund und Ländern gewährleistet. Das Beispiel des historischen Stadtarchivs Köln und der Beteiligung des Bundes an der Stiftung Stadtgedächtnis zur Rettung der Archivalien zeigt, dass eine Grauzone besteht. Zwar waren sich alle einig, dass der Bund helfen müsse, jedoch stellt sich die Frage nach der Grundlage der (letztlich gewährten und willkommenen) Beteiligung des Bundes.

Im Kern ist wichtig: Verschiedene Ansätze für einen "kooperativen Kulturföderalismus" bestehen bereits. Jedoch muss dieser Ansatz im Sinne einer Bundeskulturpolitik neu formuliert werden. Oft bleibt im Ungefähren, worin die nationale Bedeutung besteht, die dem Bund die Möglichkeit zur Förderung gibt. Vor allem ist von außen oft nicht nachvollziehbar, wer diese nationale Bedeutung definiert und über eine Förderung letztlich entscheidet. Die Diskussion und Aushandlung darüber, was national bedeutsam ist und was nicht, wird in den dafür zuständigen Gremien sicherlich immer wieder neu zu führen sein. Das Ergebnis allerdings sollte dann für alle gelten, transparent und klar nachvollziehbar sein.

Dazu gehört ein Aushandlungsprozess darüber, welche Schwerpunkte dieses Zusammenwirken zum Inhalt haben sollte. Gremien wie die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) bilden geeignete Plattformen, die sich bisher aber nur unzureichend damit befassen.


Mögliche Ansätze auf Bundesebene

Eines ist klar: Es geht nicht darum, den Kulturföderalismus durch eine Bundeskulturpolitik zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, Transparenz und Klarheit über die Zuständigkeit von Kunst und Kultur von Bund, Ländern und Kommunen herzustellen. 20 Jahre nach dem Einigungsvertrag ist es an der Zeit, den Bauchladen der Bundeskulturpolitik an klaren Kriterien auszurichten, so wie es in anderen Politikfeldern des Bundes auch der Fall ist. So wie Autobahnen Sache des Bundes und Nebenstraßen Aufgabe der Kommunen und der Länder sind, so muss es auch in der Kulturpolitik Grundsätze geben. Hier stehen wir nicht mit leeren Händen da: Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" gibt mit seinen über 400 Handlungsempfehlungen wichtige Orientierung. Die immer wieder von Kulturpolitikern und der SPD insgesamt geforderte Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz ist eine wichtige Empfehlung der Kommission, die den Bund verfassungsrechtlich im Sinne des kooperativen Kulturföderalismus stärkt.

Weiter empfiehlt die Kommission die Bundeskulturpolitik neu aufzustellen, seine Zuständigkeiten für die Kultur weiter zu bündeln und im Ergebnis eine Bundeskulturentwicklungskonzeption zu erarbeiten. In dieser Konzeption könnten Kriterien und Schwerpunkte einer Kulturpolitik des Bundes formuliert werden, die bei Förderentscheidungen zum Tragen kommen. Die knapper werdenden finanziellen Mittel machen eine solche Schwerpunktsetzung umso notwendiger.

Weitere strukturelle Anregungen für eine stringente Kulturpolitik des Bundes finden sich im Ausland. Die Enquete-Kommission verweist auf positive Erfahrungen in den Niederlanden. Dort werden Kultureinrichtungen für eine Dauer von vier Jahren gefördert. Danach wird evaluiert, ob die vorher definierten Ziele erreicht wurden und ob es ein plausibles Konzept für eine weitere Förderung gibt. Ein Expertengremium unterbreitet Förderempfehlungen, die die Grundlage politischer Entscheidungen bilden.

Während auf diese Weise eine regelmäßige Prüfung der Förderwürdigkeit - definiert nach klaren politischen Zielsetzungen - erfolgt, vermittelt die institutionelle Förderung in Deutschland oft das Gefühl, hier bestimme das Prinzip "Einmal gefördert, immer gefördert". Warum beispielsweise die Bayreuther Festspiele GmbH - ohne Frage bedeutsame Festspiele - seit Jahrzehnten vom Bund mit erheblichen Mitteln (2010 knapp 2,2 Mio. Euro) unterstützt wird, überzeugt angesichts des zahlungskräftigen Publikums und der Attraktivität für private Sponsoren nicht. Für Neues und Innovatives, etwa im Bereich der improvisierten Musik, fehlt das Geld.

Wir können aus den positiven Erfahrungen bei der Kulturförderung des Bundes zum Erhalt der ostdeutschen kulturellen Infrastruktur lernen. Das so genannte "Blaubuch Ost" identifiziert Kultureinrichtungen in Ostdeutschland von nationaler Bedeutung und schafft die Grundlage für eine finanzielle Beteiligung des Bundes mit bis zu 50%. Dieser Ansatz sollte auf die alten Bundesländer übertragen werden. Indem auf Vorschlag von Experten in Ost- und Westdeutschland Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung gefördert werden, stärkt der Bund seine Verantwortung, erhöht die Transparenz seiner Kulturförderung und entlastet Länder und Kommunen bei der Finanzierung der national bedeutsamen Einrichtungen.

Diese Diskussion über ein neues kooperatives Zusammenwirken ist dringend notwendig und geboten! Zum Erhalt und zur Gestaltung der kulturellen Infrastruktur müssen Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten und gemeinsam Schwerpunkte in der Kulturpolitik setzen können.


Siegmund Ehrmann (* 1952) MdB, ist Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages und Sprecher der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion.
siegmund.ehrmann@bundestag.de


*


Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011, S. 57-60
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53
Telefax: 030/26 935-92 38
ng-fh@fes.de
www.ng-fh.de

Die NG/FH erscheint monatlich, wobei die Hefte 1+2
und 7+8 im Januar bzw. Juli als Doppelheft erscheinen.
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011