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MEDIEN/359: Pressefreiheit in Zeiten ökonomischer Abhängigkeit (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2009

Die Mitte abschöpfen
Pressefreiheit in Zeiten ökonomischer Abhängigkeit

Von Walter van Rossum


Paul Sethe war einer der Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er war gewiss ein konservativer Kopf. Am 5. Mai 1965 veröffentlichte Der Spiegel einen Leserbrief von ihm, in dem es hieß: "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. (...) Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher. Ich weiß, dass es im deutschen Pressewesen noch Oasen gibt, in denen noch die Luft der Freiheit weht, (...) aber wie viele von meinen Kollegen können das von sich sagen?"

Was würde Paul Sethe wohl heute sagen? Im Jahre 2009 teilen sich die fünf größten Zeitungsverlage 50 % des Marktes. Bei den so genannten Straßenverkaufszeitungen liegt der Anteil bei über 95 %.

Im März dieses Jahres hat der Kölner Verlag DuMont Schauberg für über 150 Millionen Euro den Berliner Verlag gekauft. Dazu gehören unter anderem die Berliner Zeitung, der Berliner Kurier, die Hamburger Morgenpost und die Netzzeitung. Seit längerem gehören zur Verlagsgruppe DuMont Schauberg: der Kölner Stadtanzeiger, Express, die Mitteldeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und die renommierte israelische Tageszeitung Haaretz. Beim Festakt zur freundlichen Übernahme verkündete Verlagschef Alfred Neven DuMont selbstredend, dass die Unabhängigkeit der Zeitungen gewahrt bliebe. Leider hat er nicht mitgeteilt, worin denn die Unabhängigkeit bestehen könnte. Die Kollegen von der Frankfurter Rundschau hätten da gewiss einiges zu berichten.

Sohn und Vorstandskollege Konstantin Neven DuMont beschwor die Wächterfunktion der freien Presse, ohne indes zu verraten, was man denn zu bewachen gedenke. Und der dritte im Verlegerbunde - Christian DuMont Schütte - sprach vom Berliner Verlag als Rohdiamant. Da könnte er den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Schließlich hatten der Kölner Stadtanzeiger und der Express lange mit dem Slogan geworben: "Wir sind an Köln und Umgebung mit über 1,3 Millionen Leser beteiligt." Schöner hätte ein Kreissekretär der SED nicht formulieren können, worum sich die Pressefreiheit nach seiner Auffassung in Wahrheit denn drehe.

Die Übernahme des Berliner Verlags durch DuMont wurde in anderen Medien eher begrüßt als beargwöhnt. Nicht ganz zu Unrecht. Schließlich hatte man die Berliner Zeitungsgruppe einem windigen britischen Spekulanten entzogen und so Möglichkeiten für journalistische Spielräume wenigstens beim Traditionsblatt Berliner Zeitung zurückgewonnen. So rasch und so brutal wie der Brite sein Geld machen wollte, ginge es eben auch nicht. Dennoch: Der Rückzug einer Heuschrecke bedeutet noch lange nicht das Ende aller Plagen.

Allem Krisengefasel vom Zeitungstod zum Trotze: Zeitungen bleiben hochprofitable Unternehmen. Um nur ein Beispiel zu nennen: im letzten Jahr hat der Springer Verlag einen Rekordgewinn von über 570 Millionen Euro eingefahren. Von anderen Zeitungsverlagen sind gleichfalls schwindelerregende Renditen bekannt. Und vielleicht liegt genau darin die größte Bedrohung der Pressevielfalt. Es ist lange her, dass Verlegerpersönlichkeiten wie Axel Springer versucht haben, mit ihren Zeitungen Politik zu machen. Und die Verlegerfamilie DuMont ist in den letzten 100 Jahren selten durch pointierte politische Ansichten hervorgetreten, eher durch meisterliches Anpassungsgeschick an die Zeitläufte.

Heute verstehen sich die meisten Blätter als Zentralorgane der Mitte. FAZ und taz tragen die lauen Gefechte der Mitte in den eigenen Redaktionen aus. So ist für jeden was dabei. Sie unterscheiden sich in Stilhöhe oder -witz, in Design und Umfang, aber kaum in der journalistischen Perspektive. Die Süddeutsche Zeitung leistet sich einen kritischen Zeitgenossen wie Heribert Prantl als Ressortleiter und Die Zeit im Grunde einen Reaktionär wie Josef Joffe als Mitherausgeber. Doch Prantl könnte man sich ebenso in der Zeit vorstellen wie Joffe in der SZ, wo er ja auch herkommt. Und die taz beliefert sämtliche Redaktionen des Landes mit munteren journalistischen Allzweckwaffen. Allzu viel Vielfalt ist das nicht gerade.

Gemeinsam ist allen Blättern auch, dass sie bis zu 70 % des Umsatzes durch Anzeigen erzielen. Ökonomisch gesehen sind die Redaktionen die Kosten für die Anzeigen. Die einstmals linke Tageszeitung, die jetzt ihr 30-jähriges Jubiläum so feiert, wie Joschka Fischer sein 50. Spontijahr beginge, die taz ist für alle ein warnendes Beispiel geblieben: bis heute kaum Anzeigenaufkommen, obwohl man sich seit Jahren um neckische politische Harmlosigkeit bemüht.

Mit anderen Worten: Das Problem der Pressefreiheit liegt heute weniger im politischen Willen der Herausgeber oder Besitzer, wie Paul Sethe vor 45 Jahren noch annehmen konnte, sondern in der ökonomischen Struktur der Presselandschaft. Die Herausgeber interessiert - wie die Parteien -, die imaginäre Mitte abzuschöpfen. Und so wie es der Politik dabei ergeht, ohne dass sie es merkte, so ergeht es auch den Presseorganen.

Kann man sich im Ernst vorstellen, dass eine Zeitung etwa einen "wirtschaftskritischen" Kurs fährt, wenn der überwiegende Teil des Umsatzes nicht durch die Leser, sondern durch die Anzeigen aus der Wirtschaft gemacht wird? Der Spiegel wird zur Zeit von Ausgabe zu Ausgabe dünner - der Journalismus auch. Viele Titelgeschichten dieses Jahres scheinen dem Sommerlochfundus entnommen.


Walter van Rossum (* 1954) lebt in Köln und Marokko. Er ist seit 1981 freier Autor für WDR, Deutschlandfunk, Die Zeit und Freitag. Für den WDR moderierte er die Funkhausgespräche. Veröffentlichte u.a. Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht (2007).
waltervanrossum@web.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Führt die Renditefixierung zum Ausdünnen des Qualitätsjournalismus?


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2009, S. 55 - 56
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2009