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MEDIEN/372: Island - Elfenland der Pressefreiheit (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 61
MÄRZ-APRIL-MAI 2010

Elfenland der Pressefreiheit

Von Rrose Selavdóttir


Island ist nicht nur das Land der Elfen, Geysire und - zuletzt auch Symbol der Bankenkrise - sondern gilt als Land der kreativen Lösungen. Mit einer solchen könnte es schon bald den internationalen Medienmarkt verändern: mit dem weltweit liberalsten Mediengesetz.


Um die Pressefreiheit ist es in den westlichen Staaten schon lange nicht mehr besonders gut bestellt. Während sie wie ein unumstößlicher Wert gerade dann zitiert wird, wenn es um die Abgrenzung von anderen Kulturen geht, sind Regierungen meist intensiv in die Vertuschung von Skandalen oder den Zwang zur Offenlegung journalistischer Quellen involviert.

In Großbritannien darf die jeweilige Regierung Nachrichten unter dem Deckmantel der "nationalen Sicherheit" beliebig zensieren. Dass in den USA auch große Zeitungen wie die New York Times oder die Washington Post unter Druck gesetzt werden, bestimmte Themen nicht zu publizieren, war unter Nixon Usus und ist es bis heute geblieben. Die Pressefreiheit in Italien kostet den meisten nur noch ein müdes Lächeln und auch Interventionen in Deutschland sind mehr als bloß ein Gerücht Auch Firmen haben international bereits Zugang zu verschiedensten Medien und können nahezu unumschränkt verhindern, dass gegen sie berichtet wird. JournalistInnen verlieren ihre Artikel oder auch gleich ihre Jobs, wenn sie sich gegen diese neuen Formen der Zensur wehren. Die oft zitierten Anrufe bestimmter PolitikerInnen in den ORF-Redaktionen muten im Vergleich geradezu harmlos an, wenngleich sie skandalös und bei Weitem nicht das einzige Dilemma österreichischer Interventionen bei den Medien darstellen.

Nur in Skandinavien werden JournalistInnen diesbezüglich ein wenig besser geschützt. Die Gesetzeslage macht direkte politische Zugriffe wesentlich komplizierter - übrigens auch in Estland.


Das Ende des Dornröschenschlafs

Island hingegen hat in jüngster Zeit durchaus unliebsame Erfahrung mit den Einschränkungen der Pressefreiheit gemacht. Ausgerechnet in einem Land, das stets als liberal und fortschrittlich galt, gelang es einer finanziellen Elite lange Zeit, das Ausmaß des Bankencrashs zu vertuschen. Erst als ein interner Bericht der Kaupthing Bank auf der Website wikileaks.org gelangte, wurde der ganze Skandal öffentlich.

Die isländische Hauptnachrichtensendung wollte den Bericht übernehmen, wurde aber - wie die deutsche FAZ berichtete - durch eine einstweilige Verfügung daran gehindert. Der Sender reagierte, indem er statt des Berichts die Website von wikileaks zeigte. Wikileaks ist eine digitale Plattform, die geheimgehaltene und somit zu Unrecht der Bevölkerung vorenthaltene Berichte online stellt. Dabei ist der Ruf dieser Plattform exzellent. Sie gilt als absolut integer und resistent gegen jegliche Korruptions- oder Bestechungsversuche. Binnen weniger Stunden hatte fast die gesamte Bevölkerung den Bericht heruntergeladen und gelesen. Ein pikantes Detail war, dass der Richter, der die einstweilige Verfügung erließ, enge verwandtschaftliche Bande zum Vorsitzenden des isländischen Bankenverbandes hatte und weitere Verwandte wiederum besonders ungesicherte und billige Kredite erhalten hatten.

Durch die finanzielle Krise schwer geschüttelt, rüttelten dieser und ähnliche Medienskandale die Bevölkerung auf. Man wollte sich das nicht mehr gefallen lassen. Ein neues Mediengesetz sollte entwickelt werden und es wurde sogar eine eigene Partei (The Movement) gegründet, die sich parteiübergreifend für ein solches Gesetz und weitere zivilgesellschaftliche Ideen einsetzen sollte.

Da war sie dann plötzlich wieder, die sprichwörtliche Kreativität der IsländerInnen. Sie begnügten sich nämlich keineswegs mit einem Mediengesetz, das Zensur verhindert und Korruption einschränkt, sondern sie entwickelten - übrigens mit Hilfe von ExpertInnen von wikileaks - gleich ein Modell zum Schutz des weltweiten Journalismus. Island, so der Grundgedanke, solle ein "sicherer Hafen" für investigativen Journalismus, Online-Medien, digitale Archive und auch für Whistleblower werden. Letztere sind weltweit von der Unterschlagung von Berichten besonders betroffen, da sie über Missstände, illegale Aktivitäten und Gefahren für die Öffentlichkeit an ihrem Arbeitsplatz berichten. Meist setzen sie durch ihre Akte der Zivilcourage die eigene berufliche Existenz auf Spiel, benötigen daher also besonderen Schutz. Genau diesen möchte Island in Zukunft gewähren - sofern das Gesetz durchgeht.


Visionen lassen sich umsetzen

Eine Hürde hat der Vorschlag bei der ersten Lesung im isländischen Parlament (Althing) Mitte Februar schon geschafft: Er wurde einstimmig angenommen. Bereits Mitte bis Ende März könnte die zweite Lesung stattfinden und das Gesetz beschlossen werden. 19 der 63 isländischen Parlamentsmitglieder gehören zu den ErstunterstützerInnen des Gesetzesentwurfs, und zwar quer durch alle Parteien.

Der derzeitige Entwurf mit dem Namen Icelandic Modern Media Initiative, einzusehen unter http://immi.is, liest sich fast zu gut, um wahr zu sein. Er würde JournalistInnen endlich wieder ermöglichen, ganz ohne interessenspolitische Einschränkung, ohne Zensur und ohne Androhung gerichtlicher Folgen zu arbeiten und würde die Quellen schützen. Islands PolitikerInnen sehen darin eine Chance auf mehr Demokratie. Zugleich könnte die Umsetzung des Gesetzes auch den wirtschaftlichen und imagemäßigen Neubeginn des Landes bedeuten.

Island wäre dann vielleicht endlich wieder mehr als das kurzfristig billige Urlaubsland, von dem sich im deutschsprachigen Raum so hartnäckig das Gerücht hält, dass es ein eigenes Elfenministerium besitze. Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, doch ElfenberaterInnen oder solche, die sich so nennen, gibt es tatsächlich - so sagt man. Aber das können ja hoffentlich bald JournalistInnen aus aller Welt herausfinden, die in Island eine neue Heimat finden.


Die isländische Autorin Rrose Selavdóttir lebt und arbeitet in Wien und Bologna.




ISLAND

Mit einer Fläche von 103.125 km2 ist Island das 104.-größte Land der Erde und hat etwa 317.000 EinwohnerInnen. Island ist seit 1918 ein souveräner Staat, doch blieb der dänische König bis zur Gründung der Republik im Jahr 1944 Staatsoberhaupt. 1949 war Island Gründungsmitglied der NATO. Die USA üben vertraglich eine spezielle Schutzfunktion aus. Von 1951 an hatten sie die Landesverteidigung Islands über, erst 2006 zogen die letzten Truppen ab. Im April 2009 wurde Jóhanna Sigurdardóttir mit einem Bündnis aus sozialdemokratischer Allianz und Links-Grüner Bewegung zur neuen Premierministerin gewählt. Sie war mit dem Ziel angetreten, Island rasch in die Europäische Union zu führen. Sigurdardóttir ist die erste offen lesbische Regierungschefin.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 61,
März-April-Mai 2010, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2010