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MENSCHENRECHTE/255: Myanmar - Staatlicher Untersuchungsbericht über Unruhen 2012 durchgefallen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013

Myanmar:
Staatlicher Untersuchungsbericht über Unruhen 2012 bei internationalen Menschenrechtsgruppen durchgefallen

Von Carey L. Biron


Bild: © Anurup Titu/IPS

Grenzwachen in Bangladesch weisen Rohingya-Flüchtlingen im November 2012 ab
Bild: © Anurup Titu/IP

Washington, 2. Mai (IPS) - Ein lange überfälliger Bericht über die Gewalt zwischen Buddhisten und Muslimen in Myanmar (Burma) ist bei internationalen Menschenrechtsorganisationen durchgefallen. Den Kritikern zufolge hat die mit der Untersuchung beauftragte Kommission die Ursachen der Gräuel und die Verantwortlichkeit der Staatsorgane ignoriert.

Die Regierung hatte die Kommission im August letzten Jahres im Anschluss an die im Juni ausgebrochenen Übergriffe im westlichen Bundesstaat Rakhine (Arakan) eingerichtet. Dem Untersuchungsausschuss gehörte kein Vertreter der Rohingya-Muslime an, die die Hauptzielgruppe der Gräuel gewesen waren. "Sicher gab es einige offensive Passagen in dem Report, doch können sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regierungsbericht als solcher völlig unzulänglich ist", meinte John Sifton von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HWR).

In dem Bericht werden die Rohingya durchgängig als 'Bengalen' bezeichnet, wodurch die offizielle Sichtweise betont wird, dass es sich bei der Minderheit um illegale Einwanderer aus Bangladesch handelt. Ferner enthält der Bericht abfällige Äußerungen über die hohe Geburtenrate der Ethnie. Mit derartigen Aussagen begründet die Regierung des Landes seit Jahrzehnten ihre exklusive Politik und die Weigerung, die Rohingya als Staatsbürger anzuerkennen.


Tote, Obdachlose, Flüchtlinge

Nach neuen offiziellen Zahlen haben der Gewaltausbrauch im Juni und die Wiederauflage drei Monate später im letzten Jahr fast 200 Todesopfer gefordert, mehr als 8.600 Menschen obdachlos gemacht und 100.000 vertrieben. Die Hauptbetroffenen waren Rohingya und andere Muslime.

Der Bericht der burmesischen Untersuchungskommission sollte bereits vor Monaten erscheinen. Doch die Veröffentlichung wurde aufgrund von Querelen unter den Kommissionsmitgliedern verschoben. Die Zusammenfassung und die Empfehlungen des Reports wurden ins Englische übersetzt. Die Autoren raten mehrheitlich zu einem Ausbau des Sicherheitsapparats. So ist unter anderem davon die Rede, die Zahl der Sicherheitskräfte in Rahkhine verdoppeln.

"Wir sind bestürzt, dass man so lange gebraucht hat, um so viele Empfehlungen vorzulegen, die falsch oder schlichtweg kontraproduktiv sind", meint Sifton von HRW. "Es wird die Tatsache ausgeblendet, dass den Sicherheitskräften eine Mitschuld an der Gewalt zukommt - ein Hauptgrund für die Einrichtung der Untersuchungskommission. Die wiederum lässt Zweifel an der Objektivität und den Absichten der Autoren des Berichts aufkommen."

Sifton zufolge steht der Bericht im Widerspruch zu Untersuchungsergebnissen, wie sie von den Vereinten Nationen, von HRW und anderen Menschenrechtsgruppen in diesem Zusammenhang vorgelegt wurden. "Es gibt keinen Zweifel dran, dass sich die örtlichen Sicherheitskräfte in einigen Fällen selbst an der Gewalt gegen Muslime beteiligt oder den Übergriffen des buddhistischen Mobs tatenlos zugeschaut haben. Der Umstand, dass Kritik ausgeblieben ist und niemand für die Gräuel zur Rechenschaft gezogen wurde, zeigt, dass mit dem Bericht etwas nicht stimmt."

Wie aus einer ebenfalls Ende April veröffentlichten HRW-Untersuchung hervorgeht, ist die Gewalt in Rakhine als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. "Die burmesische Regierung führt eine bis heute fortgesetzte Kampagne der ethnischen Säuberung gegen die Rohingya, indem sie den Betroffenen Hilfe und Bewegungsfreiheit versagt", betont der Vizedirektor der HRW-Asien-Abteilung Phil Robertson. "Die Regierung muss den Übergriffen ein sofortiges Ende bereiten und die verantwortlichen Täter zur Verantwortung ziehen. Ansonsten wird sie sich der fortdauernden Gewalt an ethnischen und religiösen Minderheiten schuldig machen."

Schätzungen zufolge sind bis heute 125.000 Rohingya-Muslime obdachlos. Sie leben in Lagern, die von Menschenrechtlern als 'Ghettos' bezeichnet werden. Der burmesische Kommissionsbericht gibt keinen klaren Weg vor, wie in dieser Frage weiter verfahren werden soll. Allerdings räumt er ein, dass die Regierung nur lückenhaft auf das Problem reagiert habe und der Bedarf an Obdach zu 90 Prozent nicht gedeckt sei.

Am 29. April hatte der Kommissionssekretär gegenüber den lokalen Medien erklärt, dass die derzeitige Trennung zwischen Muslimen und Buddhisten fortgeführt werden müsse. "Wir können nicht dort, wo die Unruhen ausgebrochen sind, eine Wiederansiedlung befürworten."


Staatliches Versagen

Klarer ist der Bericht, was die Staatsbürgerschaft angeht. So heißt es in dem Report, dass die Regierung "dringend ein Verfahren einleiten muss, um die mögliche Staatsbürgerschaft der Menschen im Bundesstaat Rakhine zu prüfen". Außerdem fordern die Autoren ein Verbot von Hassreden gegen alle Religionen und plädierten für die Einrichtung einer Wahrheitskommission, die die Ursachen der Gewalt zwischen Buddhisten und den islamischen Gemeinschaften untersucht.

Eine Wahrheitskommission wäre sicherlich ein positiver Schritt, solange sichergestellt werde, dass die Schuldigen gesucht und die Untersuchungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden, meint Isabelle Arradon, die Vizedirektorin der Asien-Abteilung von 'Amnesty International'. Ferner müsse klar sein, dass die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt und die Opfer entschädigt würden.

Sifton von HRW zufolge hat die Regierung in Myanmar mit ihrem Bericht unter Beweis gestellt, dass sie noch nicht so weit ist, ihre eigenen Belange ohne internationale Hilfe zu regeln. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an ein Versprechen, dass der burmesische Staatschef Thein Sein während des Besuchs von US-Präsident Barack Obama in Myanmar gegeben hatte: nämlich dem UN-Flüchtlingshochkommissariat zu erlauben, in Myanmar ein Büro zu eröffnen.

Die staatenlosen Rohingya werden seit Jahrzehnten in Myanmar verfolgt. Die ehemalige Militärjunta hatte ihnen bei der Machtübernahme ihre Bürgerrechte aberkannt. Während der so genannten 'Operation Königsdrachen' trieben die Militärs 1978 etwa 200.000 Rohingya aus Rakhine über die Grenze nach Bangladesch, wo sie lange Zeit in trostlosen Flüchtlingslagern ausharrten.

Bei einer ähnlichen Verfolgungsaktion in den Jahren 1991 und 1992 wurden weitere 250.000 Rohingya vertrieben. Für die ehemals in ihrem Land verfolgte burmesische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi sind die Angehörigen dieser Ethnie keine Bürger Myanmars, sondern "illegale Einwanderer aus Bangladesch". Das Außenministerium in Dhaka weist diese Sichtweise kategorisch zurück. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://networkmyanmar.org/images/stories/PDF14/Recommendationsw-Rakhine-Report.pdf
http://networkmyanmar.org/images/stories/PDF14/Executive-Summary-Rakhine-Report.pdf
http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/burma0413webwcover_0.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/05/myanmar-report-on-anti-rohingya-violence-skewed-toward-security/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2013