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MENSCHENRECHTE/276: WIEN+20 - Nach der Konferenz ist vor der Konferenz. Ein Einblick (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 124, 2/13

WIEN+20
Nach der Konferenz ist vor der Konferenz: ein Einblick

Von Christiane Löper



Wien, 20 Jahre später. Nachdem die Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 als großer Erfolg für das Vorankommen und die Verwirklichung der Menschenrechte gewertet wurde und wird, soll das 20-Jahr-Jubiläum dazu genutzt werden, die Fort- und Rückschritte der letzten zwei Jahrzehnte zu evaluieren, den Stand menschenrechtlicher Entwicklungen einer Analyse zu unterziehen und vor allem auch aktualisierte Forderungen an die Staatengemeinschaft zu richten. Was geschah damals? Was kann heuer passieren?


Im Juni 1993 versammelten sich 7.000 Menschen in Wien, um an der zweiten Weltmenschenrechtskonferenz nach Teheran im Jahr 1968 teilzunehmen. Als maßgeblicher Erfolg von Wien 1993 wird die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte gewertet, inklusive die darauf folgende Einsetzung des Postens einer_s Sonderberichterstatters/_in zu Gewalt gegen Frauen. Auch die gleichwertige Anerkennung von ökonomischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten als Menschenrechte zu den schon länger etablierten bürgerlichen und politischen Rechten gilt als ein wichtiger Fortschritt von Wien 1993.

Die Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte wurde durch Wien 1993 gestärkt und dem Menschenrechtssystem mit der Einrichtung des Amtes eines/_er Hohen Kommissars/_in für Menschenrechte ein wichtiges Organ gegeben. Wien 1993 bereitete auch den Weg für das Beschwerdeverfahren zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Mit diesem können sich Menschen, die sich in ihren sozialen Menschenrechten verletzt sehen, nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel an die Vereinten Nationen wenden. FIAN (Food First Information and Action Network) war eine von zwei Organisationen, die sich 1993 für die Einrichtung dieses Beschwerdemechanismus in der Wiener Erklärung stark gemacht haben. Erst heuer konnte er endlich in Kraft treten - Menschenrechtsarbeit braucht einen langen Atem.


Wien 2013 - zivilgesellschaftliche Forderungen

2013 ist es nicht die internationale Staatengemeinschaft, es sind zivilgesellschaftliche Organisationen aus Österreich sowie aus der ganzen Welt, die sich Ende Juni in Wien zusammenfinden. Nach der Konferenz von 1993 hat es keine weitere UNO-Weltkonferenz mehr zu dem vielschichtigen Thema der Menschenrechte gegeben. Warum ist das so? Ähnlich wie bei den Frauenrechten wird eine Gefährdung dessen erwartet, was 1993 erreicht wurde, und darüber hinaus ein Zurückfallen menschenrechtlicher Standards durch konservative Einflüsse befürchtet. Ein Grund mehr für zivilgesellschaftliche Kräfte, Menschenrechte auf die Agenden der Regierungen zu bringen und Debatten anzustoßen. Ein Grund auch für österreichische sowie internationale NGOs und Netzwerke, trotz begrenzter Ressourcen diese Diskussion aktiv mitzugestalten und gemeinsam klare, energische Forderungen zu formulieren.


Allianzen bilden

Durch die Initiative von FIAN International wurde ein Prozess angestoßen, der zivilgesellschaftliche Organisationen aus Österreich und der ganzen Welt zusammenbringen soll, um gemeinsam in verschiedenen thematisch fokussierten Arbeitsgruppen an einer Erklärung zu arbeiten. Im Anschluss an diese Vorbereitungsphase wird diese auf der Konferenz Ende Juni diskutiert und verabschiedet. Das Projekt Wien+20 ist somit nicht beschränkt auf die zweitägige Zusammenkunft im Juni, sondern hat längst in einem vernetzten Kommunikations- und Austauschprozess begonnen - der von Wien über die Niederlande, die USA, Ecuador bis hin nach Uganda und Indien reicht. In Arbeitsgruppen werden jeweils spezifische Menschenrechte diskutiert - begonnen bei den Rechten von Frauen, den Rechten von Menschen mit Behinderungen, den Rechten indigener Gruppen, den Rechten von Kleinbäuerinnen und -bauern bis hin zu den Rechten von Kindern und von Arbeiter_innen.

Daneben wird es auch um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wie dem Recht auf Nahrung als auch um die Problematik extremer Armut bzw. extremen Reichtums gehen. Angesichts einer globalisierten Welt gewinnen die extraterritorialen Staatenpflichten (oft auch als ETOs bezeichnet/extraterritorial obligations) und der Umgang mit transnationalen Unternehmen an Bedeutung. Auch die Gestaltung und Wirkungsmächtigkeit des Menschenrechtssystems wird Teil der Auseinandersetzung sein, um die Implementierung wirkungsvoller Mechanismen zum Schutz von Menschenrechten voranzubringen.

Ziel ist es, mit der von einer möglichst großen zivilgesellschaftlichen Allianz erarbeiteten Erklärung weltweit Druck auf Regierungen und Akteure ausüben zu können - beispielsweise ganz konkret diese als ersten Schritt auf der ebenfalls Ende Juni stattfindenden Konferenz des österreichischen Außenministeriums zu präsentieren und zu diskutieren.


Vielfältige Herausforderungen

In diesem Prozess stellen sich zahlreiche Herausforderungen: Wie umgehen mit der Problematik, dass eine erneuerte menschenrechtliche Agenda als grundlegend für die weiteren Jahre erachtet wird, gleichzeitig aber viele der zivilgesellschaftlichen Organisationen wenig Mittel zur Verfügung haben, um diese Ziele umfassend zu verfolgen?

Wie damit umgehen, dass durch den Veranstaltungsort und budgetäre Grenzen gerade die Stimmen der Menschen im globalen Süden Gefahr laufen, weniger gehört zu werden?

Wie kann der Arbeitsprozess partizipativ und kritisch gestaltet werden, sodass viele oft auch sehr unterschiedliche Organisationen einen gemeinsamen Nenner finden und starke Forderungen artikulieren können?

Wie können diese Inhalte an die Öffentlichkeit gebracht werden, um Menschen zu informieren und für diese Themen zu begeistern und den Diskussionsprozess mit Menschenrechten nach außen zu tragen?

Welche Menschenrechte sind in den Agenden der engagierten Netzwerke und Organisationen präsent - welche jedoch sind bisher unterrepräsentiert?

Und zu guter Letzt: Wie lassen sich die Stimmen derjenigen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, in solch einen Erklärungs- und Diskussionsprozess einbinden?


Deklaration - ein mit Leben gefülltes Papier?

Mit dem Ziel, eine zivilgesellschaftliche Erklärung Wien+20 zu verfassen, stellt sich gleichzeitig die Herausforderung, dieses Papier als Diskussionsgrundlage, Druckmittel und als Referenzkatalog in den kommenden Jahren nutzen zu können. Wien+20 als Ereignis und als Dokument ist somit ein Mosaikstein auf dem Weg hin zur Implementierung von starken und wirkungsvollen Menschenrechten.


Lese- und Webtipps:

Die Rede der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen, Navi Pillay, zur Eröffnung der 22. Tagung des Menschenrechtsrates am 23.2.2013, online auf Deutsch abrufbar unter:
www.wienplus20.de/wien-1993

Weiß, Norman (2009): Fünfzehn Jahre nach der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993 - Eine Bilanz. In: Menschen-RechtsMagazin 1/2008 (May 25, 2009). Online abrufbar unter:
http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1409614

www.viennaplus20.org


Zur Autorin:

Christiane Löper studierte Internationale Entwicklung und war in der sozialen Arbeit tätig. Derzeit ist sie über FIAN Österreich in die Vorbereitung der Konferenz Wien+20 involviert.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 124, 2/2013, S. 30-31
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2013