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MENSCHENRECHTE/287: Afrika - Neue Immunitätsregelung soll Staatschefs bei Prozessen schützen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2014

Afrika: Neue Immunitätsregelung soll Staatschefs bei Prozessen vor Regionalgericht schützen - Menschenrechtsaktivisten protestieren

von Miriam Gathigah


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Kenianerinnen, die der Gewalt nach den Wahlen 2007/2008 im Rift Valley entkommen sind
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Nairobi, 29. August (IPS) - Mary Wacu lebte zehn Jahre in der kenianischen Provinz Rift Valley, als nach den Wahlen 2007/2008 im ganzen Land eine Welle der Gewalt ausbrach. "Mein Mann wurde durch einen Giftpfeil getötet, meine Kinder wurden totgeschlagen", erzählt sie. "Alles wurde niedergebrannt, und ich selbst entkam mit knapper Not dem Tod."

Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen starben damals 1.500 Menschen. Etwa 3.000 Frauen wurden vergewaltigt und 300.000 Menschen vertrieben.

Wacu, die inzwischen im Kibera-Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi lebt, verfolgt aufmerksam das Verfahren gegen Präsident Uhuru Kenyatta, seinen Stellvertreter William Ruto und den Journalisten Joshua Sang vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) im Zusammenhang mit den schweren Menschenrechtsverbrechen.

Den Opfern der beispiellosen Gewalt in Kenia ist bis heute noch keine Gerechtigkeit widerfahren. In anderen konfliktträchtigen Staaten Afrikas wie dem Sudan und der Demokratischen Republik Kongo (DRC) ist die Situation ähnlich.

Vor diesem Hintergrund üben regionale und internationale Menschenrechtsorganisationen massive Kritik an einem im Juni von den Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) verabschiedeten Zusatzprotokoll zur Ergänzung des Protokolls zum Statut des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Das Zusatzprotokoll überantwortet dem afrikanischen Gericht die Strafgerichtsbarkeit und gesteht amtierenden Staats- und Regierungschefs sowie hochrangigen Regierungsvertretern, die für schwerwiegende Menschenrechts- und Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden, rechtliche Immunität während ihrer Amtszeit zu. Dabei war der Afrikanische Gerichtshof von den Staaten des Kontinents eingerichtet worden, um den Schutz der Menschenrechte und des Völkerrechts zu garantieren.


Umstrittene Immunitätsregelung

Nach Angaben eines Vertreter Malawis, der am 25. und 26. August in Nairobi an einem Treffen teilnahm, auf dem für die Ratifizierung von AU-Verträgen geworben wurde, enthält der umstrittene Artikel 46A des Zusatzprotokolls eine Immunitätsregelung für Staats- und Regierungschefs sowie für bestimmte hochrangige Beamte im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverbrechen.

Malawi nimmt bei der Mobilisierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in ganz Afrika gegen das Zusatzprotokoll eine Führungsrolle ein. Den Regierungen auf dem Kontinent wird vorgehalten, mit den umstrittenen Klauseln in eklatanter Weise gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Wie der Vertreter Malawis erinnert, hat der Haager Strafgerichtshof mehrere afrikanische Staats- und Regierungschefs im Visier. Eine Immunitätsregelung würde einen Freibrief für Übergriffe gegen die Bevölkerung ihrer Länder bedeuten, erklärte er. Diktaturen würden sich weiter verfestigen, da viele Amtsinhaber nach dem Ausscheiden aus der Regierung mit einer Anklage rechnen müssten.

Nach Ansicht von Menschenrechtsaktivisten hatte sich der Afrikanische Gerichtshof bisher in die richtige Richtung bewegt. Edigah Kavulavu von der kenianischen Sektion der Internationalen Juristenkommission zufolge stellt das Zusatzprotokoll das erste Rechtsinstrument dar, das einem regionalen Gericht die Strafgerichtsbarkeit überträgt. "Regionale Gerichte befassen sich oft mit Menschenrechtsfragen, die unter die Zivilgerichtsbarkeit fallen", sagt er. Vor dem Afrikanischen Gerichtshof könnten nun auch strafrechtliche Verfahren geführt werden, bei denen es um Völkermord, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverbrechen gehe.


Interessen der Mächtigen gewahrt

Wie James Gondi von den 'Kenianern für Frieden mit Wahrheit und Gerechtigkeit', einem Bündnis aus mehr als 30 ostafrikanischen Menschenrechtsorganisationen, betont, verlangen das internationale Strafrecht und die internationale Justiz, dass auch die Hauptverantwortlichen von Menschenrechtsverbrechen wie Staats- und Regierungschefs, Militärführer sowie Mitglieder der Eliten - zur Rechenschaft gezogen werden. Durch die Immunitätsklauseln würden hingegen genau diese drei Personengruppen geschont.

Wie der Menschenrechtsanwalt weiter ausführt, widerspricht die Immunität den Prinzipien von Transparenz und Überprüfbarkeit und verstößt gegen die Rechtsstaatlichkeit. Das Zusatzprotokoll ziele darauf ab, afrikanische Staats- und Regierungschefs vor der Strafgerichtsbarkeit zu schützen. Der Afrikanische Gerichtshof sollte nun sein Mandat dazu nutzen, "künftige Gräueltaten zu verhindern und die Straffreiheit zu beenden". Durch viele nationale und internationale Gesetze sei die Immunität für Staatsoberhäupter längst aufgehoben, wenn es um so abscheuliche Verbrechen gehe, vor denen die Justiz ihre Augen nicht mehr verschließen könne.

Amtsträger, die schwerwiegende Verbrechen begangen haben, genießen in Benin, Kenia, Burkina Faso, der DRC und Südafrika nach nationalem Recht keine Immunität. Gondi fordert gemeinsame Anstrengungen auf internationaler und regionaler Ebene, um die Straffreiheit zu beseitigen. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/08/civil-society-condemns-immunity-for-sitting-african-leaders-accused-of-serious-crimes/

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IPS-Tagesdienst vom 29. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2014