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MILITÄR/860: Berufsfeld Bundeswehr (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 19.07.2010
(german-foreign-policy.com)

Berufsfeld Bundeswehr


BERLIN/TÜBINGEN/MÜNCHEN - Die Bundeswehr verstärkt ihre Einflussnahme auf die akademische Lehre. Jüngster Ausdruck dieser Entwicklung ist die Vergabe eines Lehrauftrags an eine Ethnologin durch die Universität Tübingen. Die Wissenschaftlerin, die im Sold der deutschen Streitkräfte steht, befasst sich in ihrem Hauptseminar mit der Aufstandsbekämpfungsstrategie der NATO in Afghanistan. Darüber hinaus referiert sie regelmäßig an deutschen Hochschulen über die verschiedenen "Berufsfelder", die das deutsche Militär für Ethnologen vorhält. Offiziell arbeitet sie für das "Amt für Geoinformationswesen" der Bundeswehr; zuvor fungierte sie als "Interkulturelle Einsatzberaterin" des 2007 aufgelösten "Zentrums für Nachrichtenwesen" der deutschen Streitkräfte. Die geheimdienstlich operierende Einrichtung hatte die Aufgabe, "rechtzeitig vor Beginn einer Krise" der militärischen Führung "Einsatzunterlagen" für die "Planung und Durchführung Schnell Ablaufender Operationen" zur Verfügung zu stellen.


Zivilklausel

Wie die Universität Tübingen (Baden-Württemberg) bestätigt, hat die Bundeswehrangehörige Monika Lanik in diesem Sommersemester ein Hauptseminar zum Thema "Angewandte Ethnologie und Militär" durchgeführt.[1] Die Vergabe von Lehraufträgen an Mitarbeiter der deutschen Streitkräfte ist kein Einzelfall. An der Universität Potsdam (Brandenburg) organisieren diese einen eigens für "militärische Studien" ("Military Studies") eingerichteten Studiengang (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Trotz teilweise massiver Proteste halten die Hochschulleitungen an ihrer umstrittenen Vorgehensweise fest, was im Fall der Universität Tübingen nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt: Die Hochschule hat sich auf eine "Zivilklausel" verpflichtet, die vorschreibt, Forschung und Lehre ausschließlich "friedlichen Zwecken" zu widmen.[3]


Wie in Vietnam

Dem Vorlesungsverzeichnis der Universität Tübingen zufolge befasste sich Lanik in ihrem Seminar mit der "Counterinsurgency-Strategie der NATO" in Afghanistan.[4] Diese firmiert unter der Bezeichnung "Human Terrain System" (HTS) und wurde von den USA erstmals während des Vietnamkrieges erprobt. Wie Presseberichten zu entnehmen ist, spionierten seinerzeit US-Geheimdienste die vietnamesische Bevölkerung aus und "lieferten tausende Zivilisten als 'Mitglieder der Vietkong-Infrastruktur' ans Messer".[5] Erklärtes Ziel von HTS ist es bis heute, das Wissen von Ethnologen, Kultur- und Sozialwissenschaftlern über die in den Operationsgebieten des Militärs lebenden Menschen in die Kriegführung einzubeziehen. Bei der Bundeswehr wird diese Aufgabe von sogenannten Interkulturellen Einsatzberatern (IEB) wahrgenommen, zu denen auch Lanik zählt (german-foreign-policy.com berichtete [6]).


Karrierechancen

Zusätzlich zu ihrem Lehrauftrag referiert Lanik regelmäßig an deutschen Hochschulen über die Karrieremöglichkeiten, die die deutschen Streitkräfte für Ethnologen bereithalten. Zuletzt war die Militärangehörige im Rahmen eines sogenannten Praxisabends bei der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Gast; ihr Thema waren die "neuen ethnologischen Betätigungsfelder, die sich im Zuge der Auslandseinsätze der Bundeswehr auftun".[7] Dabei handele es sich insbesondere um die Bereiche "Landeskunde", "Interkulturelle Beratung" und "Lagebearbeitung", erklärte Lanik. Wie Teilnehmer der Veranstaltung berichten, nannte sie im Anschluss mehrere Einrichtungen der Bundeswehr, die sich für die Mitarbeit von Ethnologen auf diesen Gebieten interessierten - darunter das mit psychologischer Kriegführung befasste "Zentrum für Operative Information" im rheinland-pfälzischen Mayen und die für die Gestaltung der militärpolitischen Propaganda zuständige "Akademie für Information und Kommunikation" (AIK) in Strausberg bei Berlin, die vormalige "Schule für Psychologische Verteidigung".[8]


Unwägbare Loyalitäten

Lanik selbst arbeitet im Rang einer Oberregierungsrätin für das in Euskirchen (Nordrhein-Westfalen) beheimatete "Amt für Geoinformationswesen" der Bundeswehr. Die aus dem "Militärgeographischen Dienst" der deutschen Streitkräfte hervorgegangene Einrichtung erhebt mittels Spionagesatelliten ("SAR-Lupe") alle für die Kriegführung notwendigen meteorologischen und geographischen Daten. Gleichzeitig wird das über die Operationsgebiete des deutschen Militärs vorhandene ethnologische und historisch-landeskundliche Wissen systematisch gesammelt und ausgewertet. Man sei sowohl für die "vernetzte Operationsführung" von Heer, Luftwaffe und Marine als auch für die "Ziel- und Wirkungsanalyse" der eingesetzten Waffen eine "unverzichtbare Basis", erklärt das Amt selbstbewusst.[9] Ziel sei der "Schutz von Leib und Leben der eigenen Kräfte" und die "Begrenzung von Kollateralschäden".[10] Zu diesem Zweck empfiehlt Lanik den deutschen Besatzungstruppen in Afghanistan unter anderem, bei allen Entscheidungen die "unwägbaren Loyalitäten" der lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen und stets die "gebotene Distanz zu rituellen Orten" zu wahren.[11]


Einsatzunterlagen

Ihre Bundeswehr-Karriere begann Lanik 2003 beim geheimdienstlich operierenden "Zentrum für Nachrichtenwesen" des deutschen Militärs. Aufgabe der 2007 aufgelösten Einrichtung war es nach eigenen Angaben, der politisch-militärischen Führung "rechtzeitig vor Beginn einer Krise (...) Einsatzunterlagen (...) zur Planung und Durchführung von 'Schnell Ablaufenden Operationen' zur Verfügung (zu) stellen" [12] - "Interkulturelle Einsatzberater" inklusive.


Anmerkungen:


[1] Eberhard-Karls-Universität Tübingen/Asien-Orient-Institut:
Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis Ethnologie. Sommersemester 2010

[2] s. dazu Military Studies
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57590

[3] Senat beschloss Präambel zur Grundordnung; www.tagblatt.de 13.01.2010

[4] Eberhard-Karls-Universität Tübingen/Asien-Orient-Institut:
Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis Ethnologie. Sommersemester 2010

[5] Anthropologen an die Front? Die Presse 01.07.2010

[6] s. dazu Interkulturelle Einsatzberater
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57859

[7] Ludwig-Maximilians-Universität München/Institut für Ethnologie:
Praxisabende im Sommersemester 2010. Ethnologinnen und Ethnologen berichten von ihrer beruflichen Tätigkeit. Die Bundeswehr als neues Berufsfeld der Ethnologie? 06.07.2010

[8] Entsprechende Protokolle liegen der Redaktion vor.

[9] Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr;

www.streitkraefteunterstuetzungskommando.bundeswehr.de

[10] Der Geoinformationsdienst der Bundeswehr;
www.streitkraeftebasis.de

[11] Monika Lanik: Sicherheit für Menschen in Afghanistan und die Sicherheit der Bundeswehr: Hier gilt die StVO. In: Horst Schuh/Siegfried Schwan (Hg.): Afghanistan - Land ohne Hoffnung? Kriegsfolgen und Perspektiven in einem verwundeten Land. Brühl (Rheinland) 2007. Herausgeber Schuh zählt zu den Protagonisten der "Psychologischen Kampfführung/Verteidigung" in der BRD; das Buch ist den "Helfern und Soldaten gewidmet, die ihr Leben zur Befriedung und für den Wiederaufbau Afghanistans einsetzen".

[12] Das Zitat entstammt einem Porträt des "Zentrums für Nachrichtenwesen", das ursprünglich unter www.streitkraeftebasis.de zu finden war, dort aber nicht mehr zur Verfügung steht.


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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c/o Horst Teubert
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Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010