Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/759: Schäuble zur gesellschaftlichen Bedeutung des Sports, 02.07.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, zur gesellschaftlichen Bedeutung des Sports vor dem Deutschen Bundestag am 2. Juli 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

In vielen Beiträgen der Debatte, die wir heute gegen Ende der Legislaturperiode führen, wurde auf die große gesellschaftliche Bedeutung hingewiesen, die der Sport in unserem Land und für unser Land hat. Dazu trägt ganz sicher auch bei, dass wir in dieser Familie des Sportausschusses - denn das ist er schon ein wenig, wie wir gestern beim 40-jährigen Jubiläum gesehen haben - bei allen Unterschieden ein hohes Maß an Gemeinsamkeit in dieser grundsätzlichen Frage haben. Dafür möchte ich mich als der innerhalb der Regierung Zuständige ausdrücklich zum Ende dieser Legislaturperiode bedanken.

Es ist viel zu den Werten, die der Sport vermittelt, und zu dem, was der Sport für die Gesundheit der Menschen, angefangen vom Kindesalter bis ins Seniorenalter, bedeutet, gesagt worden. Wir haben große Fortschritte erzielt und haben - auch wenn wir weiter daran arbeiten müssen - den Sport für Menschen in allen Sonderbereichen, insbesondere für Behinderte, wesentlich vorangebracht. Ich finde, dass das Parlament nicht nur im Laufe dieser Legislaturperiode einen großen Beitrag dazu geleistet hat.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, welch große integrierende Kraft der Sport über alle sozialen Schichten und alle Gruppen der Bevölkerung hinweg hat. Das gilt auch für Menschen, deren Vorfahren beziehungsweise Eltern aus anderen Teilen der Welt zu uns gekommen sind. Es gibt in der Breite kaum ein besseres Instrument. Ich bleibe voller Dankbarkeit für das, was der Sport für unser Land und für uns alle leistet, auch wenn Sie, Herr Kollege Hermann, das als Schwärmen bezeichnen. Ich habe noch in Erinnerung, was alles vor dem Sommermärchen öffentlich befürchtet wurde und welche Äußerungen es gab. Selbst wenn es mit zwei Straßenfußballern ein Problem gegeben hat, war es am Ende doch so, dass, gemessen an dem, was vorher geredet wurde, die Wirklichkeit in unserem Land von aller Welt so gesehen worden ist, wie sie ist, und nicht so, wie sie manche Miesmacher immer wieder falsch darstellen.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden - Kollege Schulz hat es zuletzt noch einmal getan - und das gehört mit zu dem ganz Großartigen, was der Sport in unserem Lande und für unsere Gesellschaft leistet: nämlich auf die ehrenamtliche Organisation des Sports - auf die Freiheit im Sport, die sich gerade auch in der Freiheit und Eigenverantwortung der autonomen Sportorganisationen ausdrückt. Das Prinzip des Freiwilligen, des Ehrenamtlichen kann überhaupt nicht hoch genug als Voraussetzung für den Zusammenhalt einer freiheitlich verfassten Gesellschaft eingeschätzt werden. Auch dies leistet der Sport in einer ganz außergewöhnlichen Weise. Deswegen müssen wir die Autonomie und die Eigenverantwortung des Sports wieder und wieder schützen und achten.

Wir dürfen auch nicht glauben, wir wüssten alles besser und könnten alles, weil wir es doch so gut meinen. Vielleicht sind wir manchmal in der Gefahr, es zu gut zu meinen und deshalb die Autonomie des Sportes eher einzuschränken. Deswegen müssen wir unsere Verantwortung wieder und wieder einschränken.

Herr Kollege Parr, in aller Verbundenheit zu Ihrer letzten sportpolitischen Rede in diesem Hohen Hause bin ich bezüglich der Regeln ein bisschen anderer Meinung als Sie. Ich meine schon, dass wir Regeln brauchen. Jede Freiheitsordnung lebt davon, dass sie Regeln hat. Diese Regeln müssen eingehalten werden, und irgendjemand muss dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Sonst zerstört sich jede freiheitliche Ordnung selbst. Das haben wir bei den Finanzmärkten gesehen, das werden wir - dies sage ich Ihnen voraus - im Internet erleben, und das erleben wir beim Sport mit dem Doping.

Frau Kollegin Freitag, an dieser Stelle dürfen wir nicht aufhören. Das wird uns übrigens lange begleiten. Es betrifft ja gar nicht spezifisch den Sport. Wir Menschen neigen dazu, durch Übertreibung, durch Überspitzung das Großartige, das wir haben, immer auch zu zerstören. Deswegen ist die eigentliche Frage - hier sind wir nicht einer Meinung -: Kann der Staat alle diese Fragen wirklich lösen, oder ist es nicht besser, wenn er sich ein Stück weit auf das zurückzieht, was er kann, auch im Sinne von Subsidiarität, und diejenigen unterstützt, die näher dran sind, wenn er sich also für die Eigenverantwortung und Autonomie des Sports einsetzt?

Deswegen müssen wir es richtig kombinieren. Wir unterstützen ja den Sport im Kampf gegen Doping. Das ist völlig unstreitig. Wir haben die Mittel für die NADA und für die Forschung gegen Doping erhöht. Dies muss auch weitergehen. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir der Gesellschaft gewissermaßen die Illusion vermitteln: Der Staat kümmert sich, jetzt haben wir ein Strafgesetz und damit ist sie ihre Verantwortung los. - Das wäre genau das Falsche. Nein, wir brauchen beides.

Sprechen Sie einmal mit Juristen und anderen, die mit Strafrecht zu tun haben, darüber, warum die Funktion des Strafrechts begrenzt sein muss, damit wir nicht ein zentrales Merkmal unserer abendländischen Freiheitsgeschichte aufgeben. Ich bin lange genug in meinem Leben Jurist, um festzustellen, dass es eine Illusion ist, zu glauben, allein das Strafrecht und die staatlichen Strafverfolgungsbehörden könnten das Dopingproblem lösen. Das geht in die falsche Richtung.

Ich bin dankbar, dass der Kollege Ramsauer seine Ministerin in dieser Frage völlig unterstützt. Mit den gesetzlichen Regelungen und den staatlichen Mitteln, bis hin zum Bundeskriminalamt, unterstützen wir die Bekämpfung von Doping und der damit verbundenen kriminellen Organisationen. Wahr ist, dass nicht alle Sportler nur Opfer sind. Wir sollten bei mancher auf die Vergangenheit gerichteten Debatte ein bisschen darauf achten - das habe ich gestern anlässlich des Jubiläums des Sportausschusses schon gesagt -, dass es nicht zu neuen Verletzungen zwischen Ost und West in unserem so lange geteilten und doch seit schon 20 Jahren wiedervereinigten Land kommt. Keiner hat einen Grund dafür, nur auf den anderen zu zeigen. Wir haben schließlich gesehen, dass es Doping im gesamten Land gibt. - Das sage ich schon seit langem; das glauben Sie gar nicht. Sie haben vielleicht nicht immer so genau zugehört, wie auch ich Ihnen vielleicht nicht immer so genau zugehört habe. Ich sage es aber trotzdem. Besser man sagt es heute, als gar nicht. Es ist jedenfalls wichtig.

Ich warne nur vor der Illusion, zu glauben, dass wir das Problem allein durch strafrechtliche und gesetzgeberische Lösungen bewältigen können. Nein, wir müssen die autonome Organisation des Sports weiterhin stützen. Ich glaube, dass in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen ist - auch in den internationalen Sportorganisationen -, dass Doping eine der großen Bedrohungen für den internationalen Sport geworden ist.

Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, die mir wichtig ist. Viele Menschen sind zwar ungeheuer fasziniert von Spitzenleistungen im Sport. - Meist wird in diesem Zusammenhang vom Fußball gesprochen; auch ich bin ein großer Fußballanhänger. Nachdem Tommy Haas das Halbfinale von Wimbledon erreicht hat, wird vielleicht auch der Tennissport wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. - Aber wir sollten die Breite des Sports, die vielen Sportarten nicht aus dem Blick verlieren.

Wir sollten ebenfalls anerkennen, welch große Beiträge der autonome Sport leistet, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu erhalten, und welch große Erfolge er dabei erzielt. Wir sollten alles dafür tun - auch kartellrechtlich und europarechtlich -, dass die Autonomie des Sports gestärkt und nicht geschwächt wird. Ansonsten werden wir am Ende unter den Gesichtspunkten Markt und Wettbewerb nur noch einen hoch kommerzialisierten Spitzensport mit ein paar Millionären haben, während der andere Sport Not leidet. Das ist nicht der Sport, den wir wollen. Deswegen müssen wir ihn stärken.

Vor diesem Hintergrund ist es besser, wir verstehen unsere Verantwortung im Sinne von Subsidiarität. Dies gilt übrigens nicht allein für den Bund, sondern auch für die Länder und Kommunen. Im Rahmen der Ordnung des Grundgesetzes leisten Länder und Kommunen viel mehr für den Sport als der Bund. Dieser hat, von Spe-zialbereichen und der Förderung des Spitzensports auf nationaler Ebene abgesehen, keine umfassenden Zuständigkeiten; auch das muss man sagen.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Herr Kollege Schulz, wir sollten uns aufgrund der mit einer besonders klagefreudigen Bevölkerungsschicht gemachten Erfahrungen - nicht nur in Berlin, aber speziell in Berlin - für die nächste Legislaturperiode gemeinsam vornehmen, darauf zu achten und zu erreichen, dass wir im Hinblick auf imissionsrechtliche Aspekte - welche Gesetze das auch immer sind - den Sport und vor allem Einrichtungen, die für Kinder vorgesehen sind, stärker privilegieren. Es muss klar sein, dass Lärm in diesem Zusammenhang keine Nachbarschaftsbeeinträchtigung ist. Die schlimmste Nachbarschaftsbeeinträchtigung wäre, wenn es keinen Sport, keine Sportstätten und keine Kinder mehr in unserem Land gäbe.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 79-2 vom 02.07.2009
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble,
zur gesellschaftlichen Bedeutung des Sports vor dem
Deutschen Bundestag am 2. Juli 2009 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009