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REDE/789: Norbert Röttgen - Aussprache zur Regierungserklärung der Kanzlerin, 11.11.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Finanzmarktkrise war das Thema, das uns in diesem Haus im vergangenen Jahr am meisten beschäftigt hat. Der damalige Bundesfinanzminister hat in den ersten Wochen davon gesprochen: "Wir haben in den Abgrund geschaut." Wir haben hier im Haus innerhalb von einer Woche ein Schutzpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro beraten und verabschiedet. Gestern in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin war der erste Punkt die Notwendigkeit, konsequent, grundlegend und zügig umzusteuern.

Ich betone diese Debatte und die Auseinandersetzung, die wir geführt haben, weil ich glaube, dass die Erfahrung der Krise - es war ja nicht Theorie, sondern war und ist Erfahrung - für die Einordnung, den Anspruch und den Ernst der Umweltpolitik im Allgemeinen und der Klimaschutzpolitik im Besonderen fruchtbar gemacht werden kann. Ich glaube, dass wir beide Krisen miteinander vergleichen können und sollten: die Finanzmarktkrise und die Ökokrise, die kommt, wenn wir auf diesem Gebiet nicht ebenso grundlegend, zügig, systematisch und entschlossen umsteuern.

Was sind die Vergleiche, was sind die Bezüge? Ich will vier herstellen.

Erstens. Die Finanzmarktkrise war und ist mehr als eine Bankenkrise. Sie hat sich zur Wirtschaftskrise weitergefressen und barg und birgt weiterhin die Gefahr, zum gesellschaftlichen Kollaps zu führen. Die Klimakrise, die Ökokrise, die kommt, wenn wir uns nicht ändern, hat existenzielle Dimension. Ein Gesellschaftskollaps wäre schon fundamental. Die Ökokrise aber ist eine Überlebensfrage für Hunderte von Millionen Menschen.

Zweitens. Bei der Finanzmarktkrise konnten die Retter noch sagen: Wir haben in den Abgrund geschaut, sind einen Schritt zurückgegangen und konnten uns retten. - Wenn wir es bei der Klimakrise, bei der Ökokrise so weit kommen lassen, dann können wir nicht mehr einen Schritt zurückgehen; denn die Ökosysteme sind zu träge, als dass man sie per Kommando stoppen könnte. Dann sind wir verloren. Wir müssen vorher umschalten und umsteuern.

Drittens. Ich habe an dieser Stelle in Anlehnung an den Jesuitenpater Professor Friedhelm Hengsbach vor ungefähr einem Jahr davon gesprochen, dass die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte ein öffentliches Gut darstellt. Die Bundeskanzlerin hat gestern völlig zu Recht gesagt: Das öffentliche Gut liegt in dem dienenden Charakter der Finanzmärkte für Wirtschaft und Gesellschaft. - Ich stehe dazu und halte das nach wie vor für richtig. Das war die Legitimation dafür, dass wir sozusagen in einem Akt kollektiver Selbstverteidigung zu diesen Maßnahmen gegriffen haben.

Das Gut, das wir mit Klimapolitik, mit Umweltpolitik verteidigen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, ist ein Menschheitsgut. Es hat für die Menschen nicht nur dienenden Charakter, sondern es ist Selbstwert. Für Christen ist es Schöpfung, und der Schöpfungscharakter ist in unsere Traditionen und unsere Kultur eingegangen. Wir verteidigen den Eigenwert, den Selbstwert, das Menschheitsgut Schöpfung, wenn wir Klimapolitik machen. Das geht über das, was wir in der Finanzmarktkrise verteidigt haben und verteidigen, noch weit hinaus.

Viertens. Die Finanzmarktkrise ist nicht - das hat Hans-Peter Friedrich gestern richtig ausgeführt - durch die Marktwirtschaft entstanden, sondern wir haben uns diese Krise durch die Verletzung marktwirtschaftlicher Prinzipien eingehandelt. Diese Krise ist geradezu marktwirtschaftswidrig entstanden, durch Verletzung der Grundsätze marktwirtschaftlichen Ordnungsdenkens.

Unsere Auffassung ist, dass wir Klimaschutz und Umweltschutz nicht gegen die Marktwirtschaft betreiben dürfen, sondern dass wir dies innerhalb des marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens versuchen müssen. In der Vergangenheit hat sich jede Planwirtschaft wie keine andere Ordnung an der Umwelt versündigt, an den Menschen, aber auch an der Umwelt. Wir halten das marktwirtschaftliche System für überlegen.

Daraus ziehen wir allerdings die Lehre: Markt braucht Ordnung. Auch der Markt, der Umweltziele erreichen will, braucht Ordnung. Es gibt ein überragendes, übergreifendes Ordnungsprinzip des Marktes, und das heißt Nachhaltigkeit. Wir brauchen eine nachhaltige Wirtschaftsordnung. Die Schäden von Kurzfristigkeit konnten wir auf den Finanzmärkten beobachten. Wir werden sie auch in der Umwelt sehen, wenn wir kurzfristig denken. Darum müssen wir das Leitprinzip der Nachhaltigkeit durchsetzen.

Es gehört zur inneren Logik marktwirtschaftlichen Denkens, dass wir die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Tätigkeit, dass wir die Grundlagen unseres Lebens erhalten und nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Wir machen ökologische Politik, weil sie die Grundlage unseres Lebens und auch unseres Wirtschaftens ist. Wir wollen dabei marktwirtschaftliche Instrumente anwenden, weil wir die Effizienz, die Überlegenheit, das Entdeckungsverfahren, die wettbewerblichen Potenziale nutzen wollen, um ökologische Ziele zu erreichen. Genauso richtig ist aber auch, dass die ökologische Zielsetzung Klimaschutz nicht nur instrumentellen Charakter haben darf, sondern dass Ökologie und Umweltschutz Märkte produzieren. Umweltschutzpolitik zu machen, ist auch eine Innovations- und Wirtschaftsstrategie.

Heute ist in der FAZ unter der Schlagzeile "Ökogeschäft stabilisiert Siemens" zu lesen:

"Der Siemens-Konzern hat im Geschäftsjahr 2009 schon 23 Milliarden Euro Umsatz mit Umweltprodukten generiert. Das ist gegenüber dem ... Vorjahreswert ... ein Plus von elf Prozent. Dadurch wurden die Einbußen im übrigen Geschäft als Folge der Wirtschaftskrise von rund vier Prozent aufgefangen."

Wir hatten einmal eine Phase, in der galt: Ökonomie und Ökologie sind Gegner. Dann kam eine Phase, in der es hieß: Wir müssen beides miteinander versöhnen. Ich glaube, inzwischen haben wir die Phase erreicht, dass wir erkennen: Das eine ist ohne das andere nicht machbar und nicht denkbar. Ökonomie und Ökologie sind zwei Seiten einer Medaille.

Die Aufgabe ist, aus dieser grundlegenden ethischen und ordnungspolitischen Einschätzung von Umwelt- und Klimaschutz eine politische Strategie und konkrete Politik abzuleiten. Das muss die Konsequenz aus dieser Einordnung sein. Das ist nicht Lyrik, sondern das sind die Fundamente, auf denen wir Politik machen.

Ich glaube, die drei wichtigsten Felder der Umweltpolitik sind

erstens der Klimaschutz - ich denke auch an Kopenhagen -,

zweitens die Energiepolitik und

drittens der Schutz der biologischen Vielfalt.

Ich will zu diesen drei Feldern jeweils einige Anmerkungen machen.

Zum ersten Punkt - Klimaschutz - will ich ganz knapp sagen: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es zu einem Erfolg der Klimakonferenz von Kopenhagen keine Alternative gibt. Es gibt keine zweite Option, es gibt keinen Plan B. Bei der Rettung, bei der Verteidigung des Menschheitsgutes natürliche Lebensgrundlagen haben wir keine Wahl. Aus der Sache heraus ist klar: Die Konferenz von Kopenhagen muss ein Erfolg werden.

Wir haben in diesem Prozess eine Vorreiterrolle. Die Stimme unseres Landes - das zählt zu den Erfahrungen, die man innerhalb von Tagen machen kann - hat Gewicht. Dass wir diese Vorreiterrolle haben, dass die Stimme unseres Landes mehr Gewicht hat, als es sozusagen proportional wäre, ist nicht die Leistung dieser Regierung, es ist die Leistung der Vorgängerregierungen: meines Amtsvorgängers, seines Amtsvorgängers, dessen Amtsvorgängerin. Dank des Beitrages von vielen in diesem Parlament, in dieser Gesellschaft ist der Klimaschutz vom Rand ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, ist Klimaschutz kein Nebenthema mehr. Unser Land ist international glaubwürdig, weil wir national gehandelt haben und nicht nur anderen Vorschläge gemacht haben. Ich möchte meine erste Rede als Bundesumweltminister nutzen, die Leistungen der früheren Regierungen, der Minister anderer Fraktionen und Parteien ausdrücklich anzuerkennen.

Ich will definieren, was Erfolg bedeutet. Ein taktischer Ratschlag könnte sein: Definier das nicht zu konkret, sonst wird die Opposition dir deine Definition vorhalten, wenn es nicht so herauskommt! - Ich bekenne mich zur Notwendigkeit des Erfolges. Darum will ich definieren, was Erfolg heißt: Erfolg heißt erstens klare Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen, Ziele, die sich ableiten aus der Erkenntnis, dass die globale Erwärmung auf höchstens 2 Grad Celsius zu begrenzen ist. 2 Grad Celsius sind das Äußerste, was tolerierbar ist. Wenn wir dieses Ziel erreichen, dann können wir einigermaßen sicher sein, dass für über 1 Milliarde Menschen in Asien die Wasserversorgung nicht gefährdet ist; dann können wir einigermaßen sicher sein, dass nicht weitere zig Millionen Menschen in Afrika auf der Suche nach Wasser und Weideland vertrocknen, verdursten, sterben. Diese existenzielle Dimension - die Gesichter von Menschen, die kein Wasser mehr finden und sterben - müssen wir uns vor Augen halten. Darum brauchen wir den Erfolg.

Wir müssen das Ziel erreichen, die Emissionen bis 2050 weltweit um 50 Prozent zu reduzieren. Die Industrieländer haben hierbei eine Vorreiterrolle: historisch begründet, wegen ihres Anteils an den Emissionen, aber auch aufgrund ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. Darum war es ein Erfolg, dass sich die Staats- und Regierungschefs beim letzten Europäischen Rat dafür ausgesprochen haben, dass die Industrieländer ihre Emissionen um 80 bis 95 Prozent reduzieren, und sich dem Ziel verpflichtet haben, den Beitrag zu leisten, der nötig ist, um weitgehend treibhausgasneutrale Gesellschaften zu werden.

Bis 2020 gilt es, die Emissionen in der Größenordnung von 30 Prozent zu reduzieren. Wir brauchen diesen schrittweisen Prozess. Wir können nicht 30 Jahre weitermachen wie bisher und darauf verweisen, wir müssten das Reduzierungsziel ja erst 2050 erreichen. Wir müssen jetzt anfangen; sonst haben wir keine Chance, das Ziel bis 2050 zu erreichen. Diese Koalition hat sich vorgenommen und im Koalitionsvertrag begründet, dass Deutschland die CO2-Emissionen bis 2020 sogar um 40 Prozent reduziert. Viele andere Industrieländer sagen - ein bisschen konditioniert - 30 Prozent. Wir sagen: Unter dieser Regierung wird Deutschland seine Emissionen unkonditioniert um 40 Prozent reduzieren. Wir sind auf diesem Gebiet ambitionierter als die Vorgängerregierung.

Kennzeichen dieser Ziele ist, dass wir sie im Rahmen eines verbindlichen rechtlichen Abkommens, das alle umfasst - "alle" heißt: China, USA, Europa, Schwellenländer und Entwicklungsländer -, festlegen wollen.

Zweites Ziel: Wir brauchen rechtlich und finanziell wirkungsvolle Instrumente. Das Instrument internationale Überprüfung und auch die finanziellen Beiträge liegen vor. In Entwicklungsländern wird es - bei bis 2020 wachsenden Finanzierungsbedarfen und aufbauend auf einen Schnelleinstieg - ab 2020 100 Milliarden Euro pro Jahr bedürfen, die aus unterschiedlichen Strängen finanziert werden. Manche sagen jetzt: Klimaschutz ist teuer. - Klimaschutz ist teuer, Handeln ist teuer. Nichthandeln wäre sehr viel teurer. Darum brauchen wir auch die Innovationen und die Modernisierung der Wirtschaft, die damit anstehen.

Es ist ein Prozess der ökologischen Veränderung, der Veränderung der Lebensweise und der Art, zu wirtschaften. Am allermeisten ist es aber auch ein Prozess der wirtschaftlichen Modernisierung unseres Landes. Das muss uns klar sein. Wenn man es wirtschaftlich betrachtet, dann wird klar, dass es um die Alternative geht, ob wir Rückständigkeit verteidigen und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit subventionieren oder ob wir die Ambition, die Entschlossenheit haben, auch hier wieder eine weltweite wirtschaftliche, innovative Führerschaft zu erringen. Wir wollen das. Gerade durch ökologische Modernisierung wollen wir die modernste Volkswirtschaft werden. Damit werden wir führend sein, damit sichern wir Arbeitsplätze, damit generieren wir Innovationen.

Zweiter Punkt. Die Energiepolitik. Nirgendwo ist es so deutlich wie hier, dass wir die Energiepolitik grundlegend neu denken und gestalten müssen. Wir werden ein in sich schlüssiges energiepolitisches Konzept vorlegen - es fehlt seit knapp 20 Jahren -, mit dem wir Antworten darauf geben, wie Energiepolitik grundlegend neu gemacht wird. Wir werden die Angebotsseite betrachten - Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit für Verbraucher und Industrie -, und wir werden die Nachfrageseite betrachten. In der Diskussion fehlen bislang eigentlich die Nachfrageorientierung, die Verbraucherorientierung und die Intelligenz und Bereitschaft - gerade auch aus Sicht der industriellen Nachfrager -, sich auf eine neue Energiepolitik um- und einzustellen. Die Energieeffizienz beinhaltet das größte Kosteneinsparpotenzial, das wir anbieten können. Ich weiß nicht, ob eine Unternehmensteuerreform eine so große Kostenentlastung bringt wie die Nutzung von Energieeffizienzpotenzialen in unserem Land.

Ich komme zum Schluss und will noch einen dritten Punkt ansprechen. Neben dem Klimawandel ist das Stoppen des Verlustes der biologischen Vielfalt die zweite globale Herausforderung. Es geht darum, zu erkennen, dass die Ökosysteme die Grundlage allen Lebens und die Leistungen der Ökosysteme für die Menschen unverzichtbar sind. Saubere Luft, Ernährung, sauberes Wasser, gesunde Böden: Das ist unsere Lebensgrundlage. Darum ist der Schutz der Ökosysteme eine Aufgabe, um die Schöpfung in unserer Zeit zu bewahren.

Wir wollen das nicht mit einem Verkündungston machen, sondern Naturschutz kann man nur mit den Menschen und für die Menschen in Kooperation machen. Wir werden ein Bundesprogramm zur Umsetzung der Strategie zur biologischen Vielfalt auflegen, und wir werden unsere internationale Führungsrolle auch hier aufrechterhalten. Alle Zusagen - auch finanzielle Zusagen -, insbesondere im Bereich des internationalen Waldschutzes, werden wir einhalten und weiter ausbauen.

Eine allerletzte Bemerkung. Ich bin - heute ist Mittwoch - seit zwei Wochen Bundesumweltminister und seit 15 Jahren Parlamentarier. Darum möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen, dass es meinem Verständnis als Parlamentarier, der ich ja immer noch bin, entspricht, dass wir gut zusammenarbeiten, dass es eine vertrauensvolle Kooperation gibt und dass wir dort, wo wir wirklich einen Konsens haben - es ist eine unserer gesellschaftspolitischen Leistungen, auch einen Konsens erarbeitet zu haben -, an einem Strang ziehen. Im Übrigen freue ich mich auf eine sachorientierte, kontroverse Auseinandersetzung, über gelegentliche Unterstützung natürlich auch, vor allem aber auf eine erfolgreiche Zeit in der Umweltpolitik in den nächsten vier Jahren.


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Quelle:
Bulletin Nr. 113-2 vom 11.11.2009
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung
der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009