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REDE/841: Guido Westerwelle zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag, 15.10.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 15. September 2010 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Erlauben Sie mir, dass ich aus aktuellem Anlass, bevor ich in die Grundsätze der Außenpolitik einsteigen möchte, nicht nur für die Bundesregierung, sondern für das gesamte Hohe Haus erkläre, wie froh wir sind und wie sehr wir begrüßen, dass aus den indirekten Gesprächen im Nahen Osten direkte Friedensgespräche geworden sind. Wir betrachten dies als einen Fortschritt. Es ist im Augenblick noch nicht viel mehr als eine Chance. Viele haben vor einigen Monaten nicht für möglich gehalten, dass es überhaupt noch direkte Friedensgespräche geben kann. Unser Appell von Deutschland aus ist, dass alle Beteiligten des Friedensprozesses im Nahen Osten alles unterlassen, was diesen Friedensprozess gefährden kann. Wir setzen auf eine Zweistaatenlösung. Dazu zählt der vollständige Gewaltverzicht, dazu zählt aber selbstverständlich auch das Einfrieren aller Siedlungsaktivitäten. Das ist die gemeinsame Haltung dieses Parlaments.

Wir leisten unseren Beitrag im Nahen Osten. Wir leisten unseren Beitrag als Europäerinnen und Europäer durch eine koordinierte Außenpolitik, wobei der Lissabon-Vertrag die Möglichkeit eröffnet, unsere Außenpolitik mehr und mehr abzustimmen. Wir alle werden in den nächsten Jahren noch viel darüber reden, wie sich die nationale Außenpolitik vor dem Hintergrund des Europäischen Auswärtigen Dienstes und der Möglichkeiten der strukturierten Zusammenarbeit auf der Grundlage des Lissabon-Vertrags verändert. Eines ist völlig klar: Wir haben dann Chancen, in der Welt mit Autorität aufzutreten, wenn wir in Europa eine gemeinsame Sprache sprechen. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Lehren aus unserer Geschichte beherzigen, gerade in den Tagen, in denen sich der Zwei-plus-Vier-Vertrag jährt. Wir stehen für das europäische Kooperationsmodell, das das Konfrontationsmodell überwunden hat. Wir können niemandem in der Welt vorschreiben, wie er zum Frieden findet. Wir können aber eines tun: Wir können die europäische Erfolgsgeschichte allen Konfliktregionen der Welt zur Nachahmung empfehlen.

Wir wollen Kooperation statt Konfrontation. Das ist die Lehre aus unserer Geschichte auf dem Kontinent.

Europa - das spüren wir alle - befindet sich in einer Bewährungsprobe. Damit will ich, weil das in den ersten Monaten die Kräfte dieser Regierung ganz überwiegend gebunden hat, beginnen. Wir haben eine europäische Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen gehabt. Diese europäische Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen, das war weit mehr als das Sichern unserer Währung, das war weit mehr als das Sichern unserer Wirtschafts- und Exportchancen. In Wahrheit ging es auch darum, Europa als eine politische Union zu verteidigen.

Es ist in diesen Zeiten nach der Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa natürlich leicht geworden, über Europa auch gefällige schlechte Reden zu halten. Jedem fällt irgendwo auch etwas ein. Aber man machte einen großen Fehler, wenn man es nach den schwierigen Phasen, die wir in den letzten Monaten gehabt haben, zuließe, dass über die Wirtschafts- und Finanzkrise ein Schaden am Projekt der Europäischen Union entsteht. Die Zukunft Deutschlands, sie lag in Europa, sie liegt in Europa, und sie ist auch in Zukunft fest in Europa eingebettet. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Europa keinen Schaden nimmt, auch nicht nach der Wirtschafts- und Finanzkrise!

Es ist vor allen Dingen zuallererst auch ein großes Friedensprojekt, das uns hier verbindet. Deswegen ist es notwendig, dass derjenige, der Europa schützen will, bereit ist, die Regeln zu verändern. Ich habe mit Interesse heute Morgen die Generalaussprache verfolgt und will mir einen Punkt herausgreifen, bei dem ich doch recht verwundert bin. Von der Opposition ist der Vorwurf an die Bundeskanzlerin, an die ganze Regierung gerichtet worden, man hätte bei der Rettung, der Stabilisierung des Euro, der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise zu spät gehandelt, sich zu lange Zeit gelassen. Ich halte das für einen völlig unbegründeten Vorwurf, und zwar aus einem ganz einfachen Grund.

Ich bin dabei gewesen, gemeinsam mit der Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister, als die Gespräche stattgefunden haben. Am Anfang, als Griechenland in Schwierigkeiten kam, ist von uns sofort verlangt worden: Legt ihr in Europa jetzt doch einmal einen Scheck hin, stellt ihn aus, und dann ist die Krise vorbei; das Problem ist gelöst. - Hätten wir das gemacht, hätten wir gewissermaßen sofort den Blankoscheck auf den Tisch in Brüssel gelegt, den Sie als Opposition gefordert haben, dann hätten wir keinerlei strukturelle Veränderungen in den Nationalstaaten erlebt. Wir hätten nicht erlebt, dass in Griechenland ein Sparhaushalt mit ernsthaften Bemühungen auch um Strukturreformen durchgesetzt wird. Wir hätten zwei Monate später schon den nächsten Scheck ausstellen müssen und dann wieder den nächsten Scheck ausstellen müssen. Wir hätten gutes Geld in Wahrheit in ein Fass ohne Boden geworfen.

Deswegen war es richtig, dass die Bundesregierung im Frühjahr bei der Lösung der Wirtschafts- und Finanzkrise gesagt hat: Wir sind bereit zur Solidarität, aber wir erwarten auch, dass jeder seine Hausaufgaben macht. Zum Nulltarif gibt es Solidarität nicht. Solidarität gibt es nur, wenn es auch Selbstverpflichtung gibt.

Wir müssen jetzt die Debatte führen: Was folgt daraus für uns in Europa? Wie müssen wir die Regeln ändern? Dabei geht es einmal um das große Paket der Sanktionen: Was passiert, wenn eine Regierung zum Beispiel über Jahre manipulierte Zahlen meldet oder sich über Jahre außerhalb jeder Haushaltsdisziplin stellt oder über Jahre entgegen dem Stabilitätspakt Schulden aufnimmt? Die erste Sache ist: Das muss dann auch Konsequenzen haben.

Deswegen ist das, was im Hinblick auf 2004 und 2005 von der jetzigen Bundesregierung als damaliges Fehlverhalten kritisiert wird, etwas, was uns heute noch beschäftigt. Wir sagen in Europa heute: Ihr müsst bereit sein, auch zu Hause stabile Staatsfinanzen zu organisieren, auch in Ländern, die eine andere Stabilitätskultur haben als wir Deutsche. Dann bekommt man den Hinweis: Als es bei euch eng war, als ihr unter politischem und ökonomischem Druck standet, habt ihr als großes Land als Erstes den Stabilitäts- und Währungspakt aufgeweicht. Es war ein historischer Fehler der Regierung von SPD und Grünen, dass sie im Jahr 2004 den Stabilitätspakt aufgeweicht hat. Noch heute tragen wir an den Folgen, die sich daraus ergeben.

Es ist absolut berechtigt, Sie dafür zu kritisieren, dass Sie in diesem Jahr erneut nicht bereit waren, wenigstens an der Beseitigung der Folgen dieser Politik mitzuwirken. Ich halte das für einen schweren Fehler; denn es ging natürlich nicht nur um den Schutz der europäischen Währung, sondern auch um den Schutz von Europa. Sich dafür einzusetzen, ist eine wesentliche Grundlinie deutscher Außenpolitik. Deutsche Außenpolitik ist eingebettet in die internationale Staatengemeinschaft und geschieht vor allen Dingen in Abstimmung mit der Europäischen Union.

Gerade weil wir Europa schützen wollen, arbeiten wir jetzt daran, die Regeln zu verändern, wollen wir dafür sorgen, dass es wirklich Konsequenzen hat, wenn ein Land gegen die Stabilitätspflichten verstößt, zum Beispiel in der Form, dass sämtliche Infrastrukturmittel der Europäischen Union gekürzt oder gar gestrichen werden. Verstöße dürfen nicht folgenlos bleiben. Nachdem es fast 40 Verstöße gegen die Stabilitätsregeln in Europa gegeben hat, ohne dass es ein einziges Mal Konsequenzen für die entsprechenden Nationalstaaten gehabt hat, dürfte doch jedem klar sein, dass der europäische Stabilitätspakt Zähne braucht. Wer Europa schüt-zen will, muss jetzt handeln.

Das bedeutet allerdings auch, dass wir nicht bereit sind - das haben wir hier im Parlament auch in zwei großen Debatten besprochen -, einfach nur einen Krisenmechanismus zu verlängern. Statt gewissermaßen den Hilfsmechanismus in Form der Garantiezusagen nationaler Parlamente bzw. von Nationalstaaten, also den Rettungsschirm, zu verlängern, fordern wir ganz klar, dass in Europa eine strukturelle Veränderung stattfindet, bei der natürlich auch die privaten Gläubiger einbezogen werden müssen. Die Lehre aus der Krise, die wir nicht anders hätten bestehen können als so, wie wir es getan haben, muss sein, Bereitschaft dafür zu wecken und unseren Beitrag dazu zu leisten, dass sich die Regeln ändern. Entsprechende Debatten führen wir derzeit. Es sind schwierige Debatten, weil es viele Länder gibt, die anders vorgehen wollen.

Wir Deutschen stehen dabei übrigens nicht allein, sondern es gibt auch sehr viele, die ganz genau wissen, wie gefährlich es für Europa ist, wenn die Stabilitätskultur den Bach heruntergeht. Wir müssen hier unseren deutschen Beitrag leisten. Ich glaube im Gegensatz zu dem, was Sie hier vertreten, nicht, dass das Deutschland isoliert. Ganz im Gegenteil: Wer jetzt dafür sorgt, dass die Regeln in Europa verändert werden, der handelt nicht nur im Interesse deutscher Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern er schützt und bewahrt in Wahrheit auch den Kerngedanken der Europäischen Union. Neben Sanktionen ist allerdings auch eine Beteiligung der privaten Gläubiger nötig, wenn es künftig noch einmal zu solchen Krisen kommen sollte, auch wenn wir alle daran arbeiten, dass sich dieser Fall nicht wiederholt.

Das, was ich gerade zusammengefasst habe, sollten meines Erachtens in dieser heißen Phase der Verhandlungen - das sage ich vor dem Hintergrund der anstehenden Beratungen - nicht die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen alleine verhandeln, sondern eigentlich sollte jeder von Ihnen uns in seinen Kreisen und Parteifamilien in Europa dabei unterstützen, damit wir Erfolg haben. Das sollten Sie tun, anstatt hier alles immer nur zu kritisieren.

Wie attraktiv Europa ist, das sehen wir derzeit auch an der Debatte, die wir auf dem westlichen Balkan ausgelöst haben. Auch das muss noch einmal erwähnt werden, weil wir in diesen Tagen einen bemerkenswerten Erfolg europäischer Diplomatie erlebt haben, und zwar bei der Frage der Lösung der Konflikte zwischen Serbien und Kosovo. Diese Angelegenheit wird bei uns gerne etwas geringgeschätzt, aber wer sich daran erinnert, dass es vor etwas mehr als einem Jahrzehnt noch einen Krieg in dieser Region gab, und wer sich an die Konsequenzen erinnert, die das auch für uns gehabt hat, der kann die Lösung der Probleme auf dem westlichen Balkan nur mit voller Aufmerksamkeit betrachten.

Deshalb haben wir uns um die Lösung der Probleme gekümmert. Dies hat nicht nur die Bundesregierung, sondern haben auch viele Verbündete wie zum Beispiel die Briten getan. Ich erwähne in diesem Zusammenhang Catherine Ashton, über die oft schlecht geredet wird. Aber das ist in meinen Augen sehr unfair, weil sie genau in diesem Punkt dazu beigetragen hat, der europäischen Diplomatie zu einem Erfolg zu verhelfen.

Es ist ein großer Erfolg. Die Serben haben ihre Resolution zurückgezogen. Sie haben sich auch auf unsere Initiative hin der Haltung der 27 EU-Mitgliedstaaten angeschlossen. Sie haben erklärt: Wir sind jetzt auch zu direkten Gesprächen bereit. Deswegen sage ich: Dann sind wir bereit, den Staaten des westlichen Balkans in Zukunft die europäische Perspektive anzubieten, die wir ihnen in den letzten Jahren immer angeboten haben. Sie haben Wort gehalten, und wir sollten das bei unseren Entscheidungen in Europa berücksichtigen.

Herr Kollege Manuel Sarrazin, zur Van-Rompuy-Gruppe: Es ist zu einfach, wie Sie es schildern. Denn es ist schon etwas schwieriger, mit 27 EU-Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedlichen Währungskulturen, Stabilitätsvorschriften und Haltungen zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Das sei einmal vorausgeschickt. Dieses haben auch Regierungen vor uns erlebt, jedenfalls die, die das Thema Stabilität noch ernst genommen haben. Ich denke insbesondere an die letzte Regierung von Helmut Kohl.

Es ist richtig, dass selbst Länder, mit denen wir eng zusammenarbeiten, die Dinge anders bewerten. Wir haben gesagt: Entschieden wird erst, wenn es eine schriftliche Vorlage gibt; denn wir wollen Ihnen gegenüber verlässlich sein und das beachten, was diese Regierung dem Hohen Hause zugesichert hat. Das können Sie als Parlamentarier auch erwarten. Sollen wir unverbindlich mündlich etwas beschließen, was nachher von jedem Land unterschiedlich interpretiert wird? Sie als Parlamentarier sollten eigentlich Wert darauf legen, dass Sie bei der fundamentalen Frage "Was wird aus dem Euro und der Stabilität Europas?" etwas schwarz auf weiß auf dem Tisch haben. An anderen Stellen beklagen Sie Geheimabreden, und jetzt schlagen Sie uns ein solches Handeln vor. Das funktioniert nicht.

Zur europäischen Perspektive zählt in meinen Augen vor allen Dingen auch ein Kernanliegen meiner persönlichen Arbeit im Auswärtigen Amt und in Europa, nämlich dass wir nicht nur mit den größeren Staaten in Europa gut und solide zusammenarbeiten, sondern dass wir mit der gleichen Aufmerksamkeit und Wertschätzung auch die kleineren und mittelgroßen Staaten in Europa auf gleicher Augenhöhe behandeln. Das ist ein Prinzip der ersten zehn, elf Monate meiner Amtszeit gewesen. Es ist wichtig, zu begreifen, dass das in unserem eigenen Interesse liegt; denn nach dem Lissabon-Vertrag werden diese kleineren und mittelgroßen Staaten in der Findung der europäischen Entscheidungen für uns immer wichtiger und immer bedeutsamer.

Dazu zählt für mich auch, dass wir Europa nicht nur als ein Europa begreifen, wie es jedenfalls diejenigen in den letzten Jahren überwiegend wahrgenommen haben, die im Westen der Republik groß geworden sind, nämlich als ein Westeuropa. Europa ist für uns nur komplett, wenn wir Europa umfassend verstehen. Dazu zählt ausdrücklich auch Osteuropa.

Ich habe nicht ohne Grund meinen ersten Antrittsbesuch in Warschau gemacht. Ich bin dafür auch kritisiert worden. Ich kann Ihnen versichern, das hat zu keinerlei Verwerfungen in Paris geführt. Viele von Ihnen wissen auch, dass das stimmt. Aber es hat vor allem im Osten ein wichtiges Signal gegeben. Die Freundschaft, die wir zu unseren Nachbarn im Westen als selbstverständlich erleben, ist - wie wir in den jüngsten Tagen gesehen haben - gegenüber unseren Nachbarländern im Osten überhaupt noch nicht selbstverständlich. Wir sind erst dann zufrieden, wenn wir dieselbe enge Freundschaft zu allen unseren Nachbarländern - West wie Ost - begründet haben.

Zu Geschichtsdebatten habe ich alles Notwendige gesagt.

Was das Thema der globaleren Politik angeht, so will ich jetzt nicht auf alles eingehen. Man müsste viel zur Türkei sagen. Sie wissen, dass ich dazu nie ein öffentliches Wort gescheut habe, auch wenn es gelegentlich nicht nur Zustimmung bringt.

Was die globale Politik angeht, so will ich noch etwas zur Abrüstungsagenda sagen. Ich nehme mit etwas Beunruhigung und sorgenvoll auf, wie bei uns in der öffentlichen Debatte zum Teil über Abrüstung gesprochen wird, als ob Abrüstung ein Thema der 80er-Jahre sei. Damit wir uns nicht missverstehen: Das richtet sich jetzt nicht an die Opposition. Das richtet sich ausdrücklich an niemanden in diesem Hause, sondern grundsätzlich to whom it may concern. - Jetzt sind Sie überrascht, oder? Das war Englisch.

Der entscheidende Punkt dabei ist, dass Abrüstung in meinen Augen, und zwar gerade im nächsten Jahrzehnt, eine ebenso große Bedeutung für die Menschheit haben wird wie das Thema Klimaschutz. Ich glaube, wir unterschätzen die Gefahr, die zum Beispiel aus nuklearer Verbreitung für den Frieden in der Welt und auch für die Bürgerinnen und Bürger entsteht. Deshalb mag das zurzeit nicht Thema auf den Titelseiten sein; ich muss das zur Kenntnis nehmen.

Dass ein solcher Durchbruch, den wir mit erarbeitet haben, nämlich der Erfolg der New Yorker Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag, in den öffentlichen Debatten nicht als eine zentrale Leistung gewürdigt wird, enttäuscht mich und macht mich besorgt; denn wenn sich immer mehr Staaten atomar bewaffnen, dann wird die Gefahr, dass Terroristen Zugriff auf solche Waffen nehmen, immer größer. Das ist eine empfindliche Bedrohung der Menschheit, des Friedens, der Bürgerinnen und Bürger auch in unserem Land. Deswegen bleibt es Überschrift und Markenzeichen der Außenpolitik dieser Bundesregierung: Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Deutsche Außenpolitik setzt auf Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung. Das mag im Augenblick nicht die Titelseiten erreichen. Aber es ist dringend notwendig.

Ich werde in der nächsten Woche gemeinsam mit Japan eine neue Gruppe von Staaten gründen, die sich besonders beim Thema "nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung" engagieren wollen. Ich bitte um kräftige Unterstützung und Mithilfe bei diesem wichtigen gemeinsamen europäischen und nationalen Projekt.

Es gäbe noch eine Menge über die strategischen Partnerschaften zu sagen. Ich denke, Sie wissen, dass man nicht zu allem etwas sagen kann. Wir müssten viel über die Werteorientierung reden.

Was Afghanistan angeht, so will ich Ihnen ganz klar sagen: Ich mache mir da überhaupt nichts vor. Wir stehen vor einem sehr schwierigen Wochenende. Wir sind bereit, als internationale Staatengemeinschaft unseren Beitrag dazu zu leisten, dass diese Wahlen auch wirklich frei stattfinden können. Wir appellieren an die afghanische Regierung und erwarten von ihr, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass diese Wahlen wirklich frei stattfinden können. Zugleich dürfen wir nicht die Illusion verbreiten, als seien dort Wahlen mit mitteleuropäischen Maßstäben zu erwarten. Auch da ist eine Portion Realismus angebracht.

Wir werden weitere Rückschläge bei der Sicherheitslage erleben. Trotzdem bleiben wir bei dem Ziel, das wir uns gemeinsam in London und Kabul gesteckt haben, nämlich dass wir uns eine Abzugsperspektive erarbeiten wollen und dass wir Präsident Karzai bei seinem Ziel unterstützen, dass er im Jahre 2014 die Sicherheitsverantwortung für sein Land übernimmt. Das heißt nicht, dass wir uns dann aus der Verantwortung stehlen. Das heißt, dass die Sicherheitsverantwortung übergeben wird. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht. Bei allem Respekt - Sie können alles kritisieren -: Diese Bundesregierung ist die erste Bundesregierung, die diesem Hohen Hause ein umfassendes Afghanistan-Konzept zur Beratung vorgelegt hat.

Wir müssten über die strategischen Partnerschaften sprechen; sie wissen, dass wir im Augenblick in Europa über China und Indien beraten. Wir müssten über Pakistan und vieles mehr reden. Da wir hier mehrfach darüber beraten haben, habe ich mir erlaubt, die drei Schwerpunkte zu unterstreichen, die mir wichtig sind, in Europa und, was das Thema Abrüstung angeht, international.

Ich wollte eine Schlussbemerkung zu der Finanzverteilung machen. Herr Kollege, bisher war es immer üblich, dass die Einbringung des Haushalts eine politische Einbringung ist und nicht das Vorlesen eines Zahlenwerkes. Hätte ich die Zahlen vorgetragen, würden Sie mir übrigens vorwerfen, dass ich nichts zur Politik gesagt hätte. Da kann man es Ihnen nie recht machen.

Ich möchte etwas zu dem sagen, was ich heute in der Zeitung gelesen habe. Dort heißt es, das Auswärtige Amt würde beim Haushalt ausgerechnet dort kürzen, wo die Ausgaben so wichtig seien: bei der zivilen Krisenprävention, bei der humanitären Hilfe, bei der Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland. Ich möchte dazu nur einmal sagen: Für die zivile Krisenprävention hatten Sie bei Rot-Grün zuletzt 16,5 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; im Haushaltsansatz für das nächste Jahr sind es jetzt 90,3 Millionen Euro.

Für humanitäre Hilfe hatten Sie im Schnitt 50,7 Millionen Euro im Haushalt; jetzt sind es 78,8 Millionen Euro. Für die Pflege kultureller Beziehungen hatten Sie im Jahre 2005, als Sie die Regierung abgegeben haben, 546 Millionen Euro im Haushalt; jetzt sind es 703 Millionen Euro. Ich sage Ihnen eines: Bei den Prioritäten für diesen Haushalt liegt diese Regierung richtiger, als Sie es jemals waren.


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Quelle:
Bulletin Nr. 87-2 vom 15.09.2010
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 15. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2010