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REDE/938: Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel, 20.03.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel

Datum: 20. März 2014
Ort: Deutscher Bundestag



Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung eines Frühjahrsrates der europäischen Staats- und Regierungschefs steht in der Regel die Frage, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und damit die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung verbessern können. Das wird auch dieses Mal so sein, und doch steht dieser Rat auch wieder ganz im Zeichen anderer Ereignisse; er steht im Zeichen der Entwicklungen in der Ukraine.

Die Entwicklungen führen uns nachdrücklich vor Augen, wie verletzbar der Schatz von Frieden in Freiheit in Europa auch über ein halbes Jahrhundert nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist. Wir hatten geglaubt, dass sich 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer der Friedensauftrag der europäischen Einigungsidee gleichsam umfassend erfüllt habe, und wir haben schon beinahe vergessen, dass der letzte Krieg auf dem europäischen Kontinent, dem westlichen Balkan, noch keine Generation her ist. Es grenzt an ein Wunder, dass sich viele Völker Europas nach Jahrhunderten des Blutvergießens und den Schlachten vor fast 60 Jahren zu ihrem Glück vereint haben. Wie kostbar dieses Glück ist, erleben wir gegenwärtig in der Ukraine.

Das sogenannte Referendum am vergangenen Sonntag auf der Krim entsprach weder den Vorgaben der ukrainischen Verfassung noch den Standards des Völkerrechts.

Die Stellungnahmen von OSZE und Europarat dazu sind eindeutig; Russland ist in allen internationalen Organisationen weitgehend isoliert.

Das Ergebnis dieser sogenannten Abstimmung auf der Krim wird die internationale Völkergemeinschaft nicht anerkennen. Es handelt sich um einseitige Veränderungen von Grenzen. Die Annahme eines entsprechenden Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat scheiterte, wenig überraschend, am russischen Veto. Dass alle anderen Sicherheitsratsmitglieder für die Resolution stimmten oder sich, wie China, enthielten, spricht jedoch eine deutliche Sprache.

Die Europäische Union hat am vergangenen Montag beim Rat der Außenminister mit ersten gezielten Sanktionen reagiert und gegenüber 21 Personen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine bedrohen oder unterminieren, Reisebeschränkungen und Vermögenssperren ausgesprochen. Einen Tag später erfolgten die Anerkennung der sogenannten Unabhängigkeit der Krim durch Russland und der Vertragsschluss zu einem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation, also weitere völkerrechtswidrige Schritte gegen die Einheit der Ukraine. Sie erfordern die entschlossene wie geschlossene Antwort Europas und seiner Partner:

Erstens. Auf dem heute beginnenden Europäischen Rat werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union weitere Sanktionen der von uns vor zwei Wochen beschlossenen Stufe 2 festlegen. Dazu gehört eine Ausweitung der Liste von verantwortlichen Personen, gegen die Reisebeschränkungen und Kontensperrungen in Kraft gesetzt werden.

Darüber hinaus werden wir Konsequenzen für die politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland sowie in den nächsten Tagen auch der G 7 zu Russland ziehen. Denn es ist doch offenkundig: Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G 8, so wie im Augenblick, nicht gegeben ist, gibt es die G 8 nicht mehr, weder den Gipfel noch das Format als solches.

Ich ergänze: In der Abwägung zwischen notwendigen Gesprächskontakten einerseits, für die wir uns immer einsetzen werden, und Formaten, die definitiv ein anderes Umfeld als das jetzige erfordern, auf der anderen Seite wird die Bundesregierung entscheiden, ob und, wenn ja, gegebenenfalls in welcher Form deutsch-russische Regierungskonsultationen Ende April stattfinden werden.

Außerdem wird der EU-Rat heute und morgen auch deutlich machen, dass wir bei einer weiteren Verschärfung der Lage jederzeit bereit sind, Maßnahmen der dritten Stufe einzusetzen. Dabei wird es ganz ohne Zweifel auch um wirtschaftliche Sanktionen gehen.

Zweitens. Um eine internationale Kontrolle insbesondere in der Ost- und Südukraine zu ermöglichen, setzt sich die Bundesregierung für eine starke OSZE-Mission ein. Der Bundesaußenminister und ich haben in den letzten Tagen zusammen mit vielen anderen, insbesondere dem Schweizer Vorsitz, sehr viel getan, um den Beschluss zu einer solchen Mission hinzubekommen, aber die Verhandlungen sind zäh und schwierig. Der Bundesaußenminister hat gestern noch einmal gesagt, binnen 24 Stunden sollte und müsste eine solche Mission zustande kommen. Sie kann nach unserer festen Überzeugung auch zustande kommen. Wir werden auch den heutigen Tag nutzen, um das hinzubekommen. Außerdem setzen wir uns für die notwendigen Gespräche zwischen der russischen und der ukrainischen Regierung ein.

Drittens. Deutschland und die Europäische Union werden die Ukraine mit konkreter Hilfe unterstützen. Der IWF führt mit Hochdruck Gespräche mit der ukrainischen Regierung über ein IWF-Programm. Die ersten Schritte des Hilfsprogramms der EU-Kommission müssen jetzt schnell umgesetzt werden. Wir werden zudem auf dem heute beginnenden Europäischen Rat den politischen Teil des Assoziationsabkommens mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten unterzeichnen. Dieser politische Teil gibt wichtige Impulse, vor allem für die Rechtsstaatsentwicklung, und wir geben damit ausdrücklich ein politisches Signal der Solidarität und der Unterstützung für die Ukraine.

Meine Damen und Herren, im Lichte der aktuellen Ereignisse in der Ukraine wird einmal mehr deutlich, wie kostbar das Werk der europäischen Einigung ist. Daran konnte und kann auch die europäische Staatsschuldenkrise nichts ändern, so groß die Herausforderung auch war und im Übrigen immer noch ist. Wenn wir wollen, dass die Europäische Union auch für kommende Generationen ihr Versprechen von Frieden, Freiheit und Wohlstand erfüllen kann, dann müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen. Wenn wir wollen, dass unser einzigartiges europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell auf Dauer im globalen Wettbewerb erfolgreich ist, dann dürfen wir jetzt in unseren Anstrengungen nicht nachlassen.

Nur eine wirtschaftlich erfolgreiche, wettbewerbsfähige Europäische Union kann ihre Werte und Interessen in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts auch nach außen selbstbewusst vertreten. Wir werden uns deshalb beim Europäischen Rat heute und morgen weiter damit beschäftigen, wie wir unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und damit die Grundlagen für Wachstum und vor allen Dingen Beschäftigung - das ist das zentrale Thema, mit dem wir uns, insbesondere mit Blick auf die jungen Menschen, in den nächsten Jahren auseinandersetzen müssen - verbessern können.

Die Europäische Union tut gut daran, gerade in diesen Zeiten engagiert daran zu arbeiten, stärker aus der Staatsschuldenkrise herauszukommen, als wir in sie hineingegangen sind. Wir können auch sagen, dass die Euro-Zone als Ganzes jetzt, im Frühjahr 2014, nach schweren Jahren zum ersten Mal die Rezession verlassen hat. Die Kommission rechnet für 2014 mit einem Wachstum von ungefähr 1,2 Prozent. Das ist etwas mehr, als noch im Herbst erwartet wurde, aber wir wissen auch: 1,2 Prozent können noch gesteigert werden.

Neben Spanien konnte auch Irland im Dezember sein Programm erfolgreich beenden. Die Leistung der Iren verdient unseren großen Respekt. Portugal und Spanien konnten langjährige Leistungsbilanzdefizite im Jahr 2013 in Überschüsse umwandeln und werden diese in diesem Jahr noch ausbauen. Portugal hat zum Beispiel wieder ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Auch die Investoren blicken mit mehr Zuversicht auf die Euro-Zone, als sie das in den vergangenen Jahren getan haben. Die Renditen für die Staatsanleihen der besonders von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten sind deutlich gesunken. Für italienische, spanische und irische Anleihen etwa liegen diese im Umfeld der niedrigsten Stände seit der Einführung des Euro.

Meine Damen und Herren, das sind gute Nachrichten. Doch so erfreulich die Fortschritte auf dem Weg zu mehr Stabilität und Wachstum auch sind: Wir müssen uns trotzdem im Klaren sein, dass der Aufschwung keineswegs schon gesichert ist. Deshalb müssen wir uns natürlich weiter um die Ursachen der Krise kümmern und Vorsorge für die Zukunft treffen. Wir haben zu diesem Zweck in den vergangenen Jahren die wirtschafts- und finanzpolitischen Überwachungsverfahren innerhalb der Euro-Zone und innerhalb der Europäischen Union immer weiter verbessert. Ich glaube, wenn wir dieses Instrumentarium schon vor der Krise zur Verfügung gehabt hätten, dann wäre vieles von dem, was wir durchleben mussten, so nicht passiert. Umso wichtiger ist es, dass wir die von uns selbst herausgearbeiteten Verfahren jetzt auch konsequent anwenden.

Da gibt es das Europäische Semester, das sich in den letzten vier Jahren etabliert hat. Es ist heute weitreichender und konkreter, als es jemals war. Ich begrüße das; aber ich glaube, wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, sondern müssen uns gerade in der Euro-Zone in den nächsten Monaten weiter für die wirtschaftspolitische Koordinierung in den nationalen Politikbereichen einsetzen. Nur so können wir in einer Kombination aus fiskalischer Solidität und wirtschaftspolitischer Koordinierung die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion nachhaltig stärken. Ich habe es in diesem Plenum oft gesagt: Jacques Delors hat schon vor Einführung des Euros darauf hingewiesen, dass Fiskaldisziplin allein nicht ausreicht, um eine gemeinsame Währung auf Dauer stabil zu halten.

Wir werden auf diesem Rat eine Bestandsaufnahme vornehmen und über übergreifende Schwerpunkte des diesjährigen Europäischen Semesters diskutieren. Es geht dabei um wachstumsfreundliche Konsolidierung, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Steigerung von Beschäftigung, vor allem der Jugendbeschäftigung, sowie Arbeitsmarktreformen.

Es zeigt sich, dass die Reformen, die in vielen Mitgliedstaaten beschlossen wurden, zu wirken beginnen; aber dennoch gehört zu der augenblicklichen Lage auch ein Stück Vertrauensvorschuss. Deshalb werben wir für einen umfassenden Ansatz - Strukturreformen und mehr Wettbewerbsfähigkeit - und vor allen Dingen dafür, dass die EU-Institutionen, insbesondere die Kommission, die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen.

Wir sind alle in der Pflicht. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken. Wir glauben, dass die Ergebnisse der Analysen im Rahmen des makro-ökonomischen Ungleichgewichteverfahrens, die von vielen Mitgliedstaaten noch umgesetzt werden müssen, wirklich konsequent umzusetzen sind. Wir begrüßen, dass die Kommission, die sich mit den deutschen Ungleichgewichten befasst hat, nämlich mit den Leistungsbilanzüberschüssen, deutlich gemacht hat, dass sie nicht schädlich für die Euro-Zone sind. Das entspricht nach meiner festen Überzeugung den Tatsachen.

Wichtig ist, dass wir sicherstellen, dass Unternehmen auch weiterhin in Europa produzieren. Hier haben wir eine Vielzahl von Herausforderungen zu bestehen. Ich kann jetzt nicht auf alle Details eingehen, möchte aber sagen: Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen in Europa, bei denen wir Sorge haben müssen, ob wir im weltweiten Wettbewerb wirklich noch führend sind. Wenn ich mir die gesamte digitale Wirtschaft anschaue, stelle ich fest, dass wir einen erheblichen Nachholbedarf haben. Deshalb werden wir uns von deutscher Seite sehr stark dafür einsetzen, dass der digitale Binnenmarkt möglichst schnell geschaffen wird. Wir wissen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen müssen - in Form von Forschung und Entwicklung - , und wir wissen, dass wir etwas tun müssen, um die Bürokratie abzubauen. Deshalb begrüßen wir die Initiative REFIT der Europäischen Kommission, mit der zum ersten Mal Bürokratie abgebaut wird, und deshalb weisen wir darauf hin, dass alle Verfahren, die in diesen Zeiten, in denen der weltweite Wettbewerb wirklich hart ist, die Lage für unsere Unternehm en erschweren, wirklich unterbleiben müssen.

Dazu gehören auch sehr harte Diskussionen über den Umgang mit der energieintensiven Industrie, die von uns im Zusammenhang mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Frage des Beihilfeverfahrens jetzt geführt werden, insbesondere vom Bundeswirtschaftsminister. Ich kann nur sagen: Da die Energiepreise in den Vereinigten Staaten von Amerika heute deutlich niedriger sind als in Europa - um die Hälfte, zum Teil weniger als die Hälfte -, müssen wir die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen - das muss uns die Europäische Kommission ermöglichen -, dass zumindest die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und in Europa wettbewerbsfähig sind, im internationalen Wettbewerb bestehen können.

Es macht doch keinen Sinn, wenn wir auf der einen Seite über die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und über neue, gute, qualifizierte Arbeitsplätze sprechen und auf der anderen Seite die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Unternehmen im weltweiten Wettbewerb erkennbar nicht bestehen können. Deshalb hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie die EEG-Umlage insgesamt nicht als Beihilfe sieht. Trotzdem müssen wir natürlich vorsorglich mit der Kommission verhandeln. Denn unsere Unternehmen brauchen Investitionssicherheit, und die notwendigen Befreiungsbescheide müssen im Sommer des Jahres verschickt werden. Ansonsten werden Investitionen unterbleiben. Die Verhandlungen sind kompliziert. Ich bitte ganz einfach um breite Unterstützung auch aus diesem Hause.

Wir werden uns bei diesem Europäischen Rat zudem dafür einsetzen, dass die EU eine führende Rolle bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung einnimmt und jetzt zügig die Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie verabschiedet sowie die Verhandlungen mit den europäischen Drittstaaten entschlossen voranbringt. Wir haben hier positive Signale aus Luxemburg, und wir werden schauen, dass wir möglichst schnell vorankommen.

Meine Damen und Herren, wir sind, glaube ich, in diesem Hause mit sehr breiter Mehrheit davon überzeugt, dass die Erfordernisse einer starken und wettbewerbsfähigen europäischen Industrie einen ambitionierten Klimaschutz beinhalten, dass sich diese beiden Dinge also nicht widersprechen, sondern sehr gut in Einklang zu bringen sind. Darum geht es auch in der laufenden Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der europäischen Klima- und Energiepolitik. Hier ist der heutige Europäische Rat, wenn es auch noch keine abschließende Beschlussfassung geben wird, eine wichtige Etappe. Er ist eine wichtige Etappe, weil es auch um die internationalen Klimaverhandlungen und die internationale Klimakonferenz am Ende des nächsten Jahres in Paris geht, die wir durch unsere europäischen Beschlüsse natürlich auch unterstützen wollen.

Die Europäische Kommission hat im Januar dieses Jahres eine EU-interne Treibhausgasminderung um 40 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 und einen Anteil der erneuerbaren Energien von mindestens 27 Prozent vorgeschlagen. Diese Vorschläge sind die Basis für unsere Beratungen. Es ist kein Geheimnis, dass wir uns in einigen Teilen ambitioniertere Vorschläge der Kommission hätten vorstellen können, insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber wir werden vor allen Dingen darum ringen müssen, dass wir zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kommen. Deutschland setzt sich hier sehr intensiv ein. Wir wollen, dass ein starkes Signal von Europa ausgeht, um besagte Klimakonferenz in Paris deutlich zu unterstützen. Dass diese Verhandlungen schwierig werden, auch innerhalb der Europäischen Union, kann ich Ihnen jetzt schon voraussagen. Aber wir werden dafür werben, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Meine Damen und Herren, wir werden beim Europäischen Rat natürlich auch über die Energieversorgungssicherheit sprechen. Gerade im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine spielt dieses Thema insbesondere für unsere östlichen Nachbarn eine große Rolle. Wir müssen mit Nachdruck und Hochdruck an einem europäischen Energiebinnenmarkt arbeiten. Hier sind in den letzten Jahren, auch durch die Initiativen des EU-Kommissars Günther Oettinger, vielfältige Verbesserungen erfolgt. Aber unsere Anstrengungen müssen fortgesetzt werden, um unsere Energiebezugsquellen und Transportwege weiter zu diversifizieren und unsere Importabhängigkeiten weiter zu verringern. Dazu müssen wir neben den Möglichkeiten des Energieimports auch die Möglichkeiten der Energieeffizienz ins Auge fassen. Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist natürlich auch ein Beispiel dafür, wie man unabhängiger wird.

Der Netzausbau ist eine zentrale Voraussetzung, das Ziel eines EU-Energiebinnenmarkts zu verwirklichen; deshalb wird es auch genau darum gehen.

Sie sehen an der Themenstellung - erst recht, wenn das Thema Ukraine noch hinzukommt -, welch kompakten Arbeitsauftrag wir in den nächsten 24 Stunden haben. Sie sehen, dass es darum geht, einen Gesamtansatz einer Wirtschafts-, Industrie-, Energie- und Klimapolitik hinzubekommen, von dem wir der Überzeugung sind, dass er die Basis für Wohlstand und mehr Beschäftigung bilden kann. Wir sind uns allerdings bewusst, dass dies letztlich nur gelingt, wenn wir unseren Blick auch nach außen richten, weil wir uns immer mit den Besten in der Welt messen müssen und demzufolge unsere Wachstumschancen definieren müssen.

Das gilt auch mit Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika; ich habe auf die Energiepreise hingewiesen. Europa und die USA erwirtschaften gemeinsam fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Fast ein Drittel des Welthandels wird über den Atlantik abgewickelt. Wir sind deshalb der tiefen Überzeugung, dass die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU von den Mitgliedstaaten unterstützt werden müssen und dass wir hier zu einem solchen Abkommen kommen müssen.

Meine Damen und Herren, ich kenne all die Vorbehalte. Aber ich glaube, wenn wir nur mit Blick darauf, was alles schwierig ist, an dieses Thema herangehen, dann werden wir Folgendes erleben: Die USA werden mit nahezu allen anderen Regionen dieser Welt Freihandelsabkommen abschließen, und auch wir werden mit sehr vielen Regionen dieser Welt Freihandelsabkommen abschließen. Aber ausgerechnet die beiden führenden Märkte, im Übrigen noch angesiedelt in erkennbar demokratischen Gesellschaften, wären nicht in der Lage, miteinander ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Wenn das unsere Maßgabe sein sollte, dann sind wir auf dem Holzweg; das ist meine tiefe Überzeugung. Das muss zu schaffen sein.

Aber ich sage auch: Es gibt komplizierte Sachverhalte. Ich nenne nur das Thema Datenschutz. Ich könnte viele andere Dinge nennen. Wir werden alle Bedenken ernst nehmen. Lassen Sie uns aber an diese Verhandlungen so herangehen, dass es etwas wird, und lassen Sie uns nicht Gründe finden, damit es nichts wird. Nur ein offenes und erfolgreiches Europa kann seine Interessen und Werte überzeugend vertreten und auch seine Partnerschaften leben.

Darum geht es auch, wenn am 2. und 3. April in Brüssel der EU-Afrika-Gipfel stattfindet. Der Europäische Rat heute und morgen dient auch der Vorbereitung dieses Treffens. An diesem Treffen werden etwa 80 Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Wir wollen natürlich, dass von diesem Gipfel das Signal einer langfristigen, verlässlichen Zusammenarbeit mit unserem Nachbarkontinent ausgeht. Das Thema des EU-Afrika-Gipfels lautet "In Menschen, Wohlstand und Frieden investieren". Dieses Thema verdeutlicht die Bandbreite unserer EU-Afrika-Beziehungen, ihre Herausforderungen und Chancen. Es weist auf die besondere Rolle hin, die Afrika für Europa spielt.

Wir wollen dieser Verantwortung gerecht werden. Ich erinnere nur daran, dass wir bis zu den aktuellen Diskussionen über die Ukraine sehr intensiv über die Rolle und die Situation in Afrika gesprochen haben. Das darf jetzt nicht aus dem Blick geraten. Wir beobachten ein verstärktes Engagement, zum Beispiel von China, Indien, Brasilien, auch der Türkei, in Afrika. Das Gipfelthema betont natürlich nicht nur unsere Partnerschaft, sondern auch die Eigenverantwortung afrikanischer Staaten, die Verantwortung für ihren eigenen Wohlstand und ihre Sicherheit. Dazu zählen der Schutz der Menschenrechte, der Kampf gegen Korruption und der Schutz von Minderheiten; was das angeht, mussten wir in diesen Tagen leidvolle Erfahrungen machen. Dafür werde ich sehr entschieden werben. Gute Regierungsführung und die energische Bekämpfung der Korruption sind nämlich entscheidende Voraussetzungen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Mit der wachsenden Transparenz, mit dem global verbreiteten Internet werden auch in Afrika die Menschen, die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger der Länder nicht mehr einfach hinnehmen, dass gute Regierungsführung nicht vorhanden ist, sondern sie werden dagegen aufbegehren. Wir können das gut verstehen.

Wir wollen diese gute Regierungsführung im Rahmen unserer Möglichkeiten weiterhin unterstützen. Ich werde auch für unsere sogenannte Ertüchtigungsinitiative zur Befähigung geeigneter afrikanischer Partner der Afrikanischen Union und der Regionalorganisationen zur Wahrung von Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent werben. Wir glauben: Wir müssen Hilfe zur Selbsthilfe leisten, damit die afrikanischen Länder selber in der Lage sind, für ihre Sicherheit zu sorgen. Unsere afrikanischen Partner müssen durch Beratung, Ausbildung und auch durch Ausrüstung in die Lage versetzt werden, selbst für Stabilität und Sicherheit zu sorgen; denn Stabilität und Sicherheit sind die Grundvoraussetzungen für die weitere Entwicklung in vielen afrikanischen Staaten.

Die Übernahme von Eigenverantwortung in den Regionen und die Stärkung der Regionalorganisationen und der Afrikanischen Union, das sind die Ziele, mit denen wir an die Zusammenarbeit herangehen. Die Europäische Union kann hier noch mehr leisten. Wir werden unseren Verpflichtungen gerecht. Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen kennen Sie: in Mali, am Horn von Afrika, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik. Hier zeigt sich die Bedeutung Europas als Partner Afrikas. Die Europäische Union engagiert sich in diesen Krisenherden mit ihren Krisenmanagementkapazitäten oder plant aktuelle Einsätze.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt sich mit aller Kraft dafür ein, dass die Europäische Union auch in Zukunft ihr Versprechen von Frieden, von Freiheit und Wohlstand einhalten kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Gerade in diesen Tagen erleben wir auch, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union immer wieder zu gemeinsamen Antworten findet. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können. Deshalb arbeitet die Bundesregierung dafür, und ich bitte um Ihre Unterstützung.

Herzlichen Dank.

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Quelle:
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel vom 20. März 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Regierungserklaerung/2014/2014-03-20-bt-merkel.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2014