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REDE/970: Steinmeier - Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, 08.06.2016


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, zum Entwurf eines Berichts der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vor dem Deutschen Bundestag am 8. Juni 2016 in Berlin:


Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Bundeskabinett hat heute den Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit verabschiedet. Der Deutsche Bundestag hat diesen Bericht angefordert. Deshalb ergreife ich gerne die Gelegenheit, einige der Ergebnisse zu präsentieren.

Der Bericht gibt einen breiten Überblick über weltweit vorkommende Verletzungen der Religionsfreiheit. Er fächert auf, welch vielfältige Formen die Einschränkung von Religionsfreiheit annehmen kann: von administrativen Hindernissen bei der Eheschließung oder beim Bau eines Gebetshauses bis hin zu drakonischen Strafen beim Glaubenswechsel wie der Todesstrafe. Der Bericht stellt aber ebenso auch positive Bemühungen dar, die Religionsfreiheit zu schützen. Er liefert auch Beispiele, die andernorts vielleicht als Vorbild dienen könnten.

Dem Bericht voraus gingen intensive Beratungen mit verschiedenen Experten, allen voran mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Religionsfreiheit, Herrn Professor Bielefeldt, dem ich an dieser Stelle für seine Tätigkeit und Beratung noch einmal herzlich danken möchte. Darüber hinaus haben wir auch eigene Datenerhebungen an über 90 Auslandsvertretungen durchgeführt, deren Ergebnisse den Kern des Berichts bilden. Schließlich haben wir die umfassenden Länderanalysen, die etwa die EU, das EU-Parlament und die USA regelmäßig vorlegen, ausgewertet und in diesen Bericht mit einbezogen.

Auf dieser Grundlage setzt sich der Bericht systematisch mit grundlegenden Fragen der Religionsfreiheit auseinander: Worin besteht eigentlich genau das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit? Wie sehen typische Verletzungen aus? Wie wird Religion zur Rechtfertigung von Gewalt und Unterdrückung missbraucht? Mit diesem Fokus ist der Bericht ein Novum. Ich glaube, er leistet einen echten Mehrwert zu einer informierten und differenzierten Debatte über ein Thema, das sich für ganz schnelle Thesen und holzschnittartige Verkürzungen wenig eignet. Zur Illustrierung einige wenige Beispiele aus dem Bericht:

Erstens zeigen unsere Ergebnisse: Rechtsverletzungen mehr oder minder schwerer Natur finden keineswegs nur in bestimmten Regionen und Rechtssystemen, sondern weltweit und durch alle Rechtssysteme hindurch statt, auch wenn einzelne Religionsgemeinschaften in einigen Staaten ganz besonders und erheblich unter Druck stehen.

Zweitens zeigt der Bericht: Die Einschränkungen der Religionsfreiheit können Ergebnis gezielter Politik sein, etwa wenn die Mehrheitsreligion ihren Wahrheitsanspruch staatlich verankert hat und durchsetzt. Das muss aber nicht der Grund sein. Zunehmend sehen wir auch - vor allen Dingen ist die Tendenz steigend -, dass gerade schwache Staatlichkeit, Korruption und wirtschaftliche Faktoren für mangelnden Schutz von Religionsgemeinschaften verantwortlich sind. Insbesondere gilt das im Nahen und Mittleren Osten und in Teilen Nordafrikas. Es begünstigt eben dort auch die Ausbreitung extremistischer und terroristischer Organisationen. Religiös begründete Gewalt, Zerstörung und Vertreibung sind die Folge. Die IS-Gräueltaten sind dafür ein erschreckendes Beispiel. Betroffen davon sind sowohl religiöse Minderheiten - Jesiden, Christen und andere -, aber auch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft oder der Mehrheitsreligion. Man denke etwa an die Muslime im Norden Nigerias oder die Sunniten in Syrien.

Drittens beschreibt der Bericht gegenläufige Entwicklungen, was die Durchsetzung des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit betrifft. Während einerseits die Verrechtlichung voranschreitet, das Recht auf Religionsfreiheit in immer mehr Staaten prinzipiell gewährt wird, sehen wir gleichzeitig die entgegengesetzte Tendenz, die Universalität des Menschenrechts infrage zu stellen, Religion etwa über alle Kritik zu erheben und Religionskritik pauschal als Rassismus abzustempeln.

Schon diese drei Beispiele mögen ausreichen, um zu belegen: Schwarz-weiß ist das Bild nicht, wenn man die Beachtung der Religionsfreiheit auf der Welt betrachtet, sondern es ist gerechtfertigt, zu versuchen - wie in dem Bericht getan -, durch Typologisierungen und Kategorisierungen unsere Erkenntnisse zu gewinnen. Da zeichnet sich eben ein umfangreiches, zum Teil widersprüchliches, aber vielleicht auch gerade deshalb vollständigeres Bild der Lage der Religionsfreiheit in den Staaten der Welt ab.

Zum vollständigen Bild gehört allerdings auch: Um Religionsfreiheit wirkungsvoll voranzubringen, reicht es nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen; wir müssen den Blick auch nach innen richten. Antisemitismus, populistische Gleichsetzung von Muslimen und Terroristen, Angriffe auf Christen in Flüchtlingslagern - das findet nicht nur jenseits unserer Grenzen statt, sondern leider auch in unserem eigenen Land. Das sollten wir bei der ganzen Diskussion um Religionsfreiheit am Ende auch nicht vergessen.

Bei aller Notwendigkeit der Differenzierung, die ich jetzt betont habe: Der Bericht liefert natürlich auch eindeutige Befunde, darunter vor allem die Beobachtung, dass religiöser Fanatismus und das Schüren konfessioneller Gegensätze weltweit Brandbeschleuniger in den Konflikten sind. Da muss Außenpolitik aktiv werden. Unser Einsatz für Religionsfreiheit ist ein wichtiger Baustein im Rahmen von Frühwarnung, Krisenprävention und Stabilisierung. Gerade in diesen Bereichen haben wir im Auswärtigen Amt, meistens in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unsere Anstrengungen deutlich verstärkt. In Ländern wie Pakistan, Libanon, Nigeria oder den Philippinen unterstützen die beiden eben genannten Ministerien gemeinsam gezielt solche Projekte, die Dialog und Kooperation zwischen den religiösen Gruppen fördern.

Zum Schluss: Auch in politischen Gesprächen - ob in Syrien, Irak, Mali -, also nicht nur durch Projektförderung, geht es immer wieder darum, religiös bedingte Konflikte zu entschärfen und die Gruppen in einen echten Dialog miteinander zu bringen. Der Religionsbericht zeigt, dass dies der richtige und möglicherweise einzige Weg ist, um Gesellschaften dauerhaft zu befrieden. Aber der Bericht zeigt eben auch, wie weit wir von diesem Ziel noch entfernt sind.

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Quelle:
Bulletin 66-1 vom 8. Juni 2016
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,
zum Entwurf eines Berichts der Bundesregierung zur weltweiten Lage
der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vor dem Deutschen Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2016

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