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SICHERHEIT/028: Nuklearenergie versus Sicherheit nachhaltiger Energien ... (IPPNWforum)


IPPNWforum | 113 | 08
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Auf Nummer sicher gehen
Nuklearenergie versus Sicherheit nachhaltiger Energien und nukleare Abrüstung

Von Xanthe Hall, Abrüstungsexpertin, IPPNW


Laut dem Report der Oxford Research Group "Global Responses to Global Threats" von 2006 sind die größten internationalen Bedrohungen für Stabilität und die Sicherheit der Menschheit Klimawandel, Kampf um Ressourcen, Globale Militarisierung und eine Marginalisierung der Weltmehrheit.

Trotzdem prägt der internationale Terrorismus die westliche Sicherheitspolitik weitaus mehr, obwohl er mehr ein Symptom der oben genannten Bedrohungen ist als eine Ursache. Bedrohungen, mit denen wir uns Tag für Tag konfrontiert sehen, in Form von Lebensmittel- und Energiekrisen sowie Inflation und Hunger, die die Armen dieser Welt extrem hart treffen und die Industrienationen in Panik versetzen. Der UN-Generalsekretär wies auf dem G8-Gipfel auf die wechselseitige Abhängigkeit dieser Bedrohungen hin, und mahnte die führenden Industrienationen, sie in Angriff zu nehmen.

Der Kampf um die Ressourcen zeigt sich im Energiesektor am stärksten: Öl ist bereits lange Ursache für Konflikte (z.B. Irak, Meeresboden der Arktis). Die schwindenden Uranvorräte gepaart mit dem optimistischen Ziel der Nuklearindustrie, mit Hunderten neuer Reaktoren eine nukleare Renaissance einleiten zu wollen, wird die Versorgung mit Uran ebenso zum Konfliktstoff machen. Dies macht deutlich, dass die friedliche Beilegung des Ressourcenkampfs zum einen abhängig ist von einem geeigneten Frühwarnsystem und Konfliktverhütungsmechanismen, und zum anderen von der Bereitschaft, Ressourcen gleichberechtigt aufzuteilen, um militärische Lösungen zu verhindern.


Nuklearer Terrorismus

In ihrem Kommentar im Wall Street Journal im Januar 2007, nannten die vier ehemaligen Staatsmänner (Kissinger, Schultz, Perry und Nunn) Terrorismus als Grund für die Notwendigkeit, Nuklearwaffen abzuschaffen und für den Verlust ihres Glaubens in nukleare Abschreckung. Mittlerweile besteht ein breiter Konsens, dass nukleare Abschreckung nicht funktionieren kann gegen Menschen, die "angetrieben sind durch eine Psychologie der heldenhaften Antwort auf eine wahrgenommene Aggression, die den persönlichen Tod auf dem Schlachtfeld in Kauf nimmt."(1) Zudem wäre es für einen Staat mehr oder weniger unmöglich, ein terroristisches Angriffsziel zu finden oder zurückzuschlagen, da terroristische Organisationen verdeckt arbeiten und über keine großen offensichtlichen Militäreinrichtungen verfügen.

Indessen spielen der Klimawandel und die derzeitige Energiekrise der Nuklearindustrie in die Hände, die die nukleare Expansion als Lösung anpreist. Das Risiko des nuklearen Terrorismus ist im zivilen Bereich der Nuklearenergie jedoch noch größer als im militärischen Sektor, denn:

ziviles Nuklearmaterial (abgebrannte Brennstäbe, medizinisches Material) können verwendet werden für eine schmutzige Bombe, die viel einfacher herzustellen ist als eine Nuklearbombe.
Ein Anschlag auf ein Atomkraftwerk oder ein Atommülllager würde katastrophale Folgen haben.
Heutige Technologie (insbesondere ultrazentrifugale Anreicherung und Wiederaufbereitung) sind nicht geschützt vor Proliferation.

Deswegen erhöht die Expansion der Nuklearenergie das Risiko des nuklearen Terrorismus ums Vielfache.


An die Wurzel des Problems gehen

Die Oxford Research Group (ORG) meint, dass eine adäquate Antwort auf die globalen Bedrohungen ein Wechsel vom Paradigma der "Kontrolle" hin zum Paradigma der "nachhaltigen Sicherheit" wäre. Es sei wirkungslos zu versuchen, Bedrohungen zu kontrollieren, ohne ihre Ursachen zu beheben. Ich bin der Meinung, dass der derzeitige Konflikt mit dem Iran ein gutes Beispiel dafür ist.

- Das Misstrauen gegenüber den Absichten des Iran wurde hervorgerufen durch die Entdeckung, dass der Iran Beziehungen zu dem illegalen Khan-Netzwerk hatte und nicht das erlangte Potenzial offen legte. - Der Iran jedoch behauptet, dass er seinen eigenen Brennstoff wolle, da er wegen der US-Sanktionen keinen Brennstoff von Eurodif bekomme, obwohl schon versprochen und bezahlt (somit wurde die Sicherung der Versorgung mit Brennstoff einem NPT-Mitglied verweigert). - Die wirklichen Ursachen für den Konflikt zwischen der USA und dem Iran werden nicht angesprochen (ähnlich wird auch der Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam nur oberflächlich behandelt, wichtige historische Aspekte, wie der Kolonialismus, werden ausgelassen). Die einzigen Themen, die diskutiert werden, sind: Anreicherung, die Angst, der Iran könne Atomwaffen entwickeln und ein möglicher Angriff auf Israel. - Zudem wird das grundlegende und hauptsächliche Problem der proliferationsfreundlichen Natur bestimmter Nukleartechnologien nicht angesprochen (insbesondere ultrazentrifugale Anreicherungstechnologie). Es gibt nur eine Diskussion über strengere Kontrollmechanismen, Sicherheitsvorkehrungen, multinationale Einrichtungen etc. - Ein weiterer Kontextaspekt ist die Rolle, die der Iran in einer Region wichtiger geostrategischer Interessen spielt, wo der Kampf um die Kontrolle des Iraks zentral ist und in einer Militäraktion gegen den Iran enden könnte.



Das Plutonium Problem

Ein gravierendes Problem ist die Frage des zivilen Plutoniumbestands. Zia Mian von der Princeton University sagt: "Zur Zeit gibt es ca. 500 Tonnen abgespaltenes Plutonium auf der Welt, genug für über 100.000 Atomwaffen. Ungefähr 250 Tonnen wurden von zivil genutzten Brennstäben aus Atomkraftwerken abgespalten, hauptsächlich in Frankreich, Russland und Großbritannien. Der Bestand von zivil abgespaltenen Plutonium wächst stetig und wird bald bedeutend größer sein als die Menge an Waffenplutonium. Alles ist für Waffen nutzbar."(2)

Obendrein gibt es weit mehr als 800 Tonnen Plutonium enthalten in abgebrannten Brennstäben. Diese Menge wächst jedes Jahr und würde sogar noch schneller wachsen, gäbe es eine nukleare "Renaissance", wie sie von Befürwortern der Nuklearenergie prophezeit wird. Doch das derzeitige Sicherungssystem ist nicht geeignet für eine plötzliche Expansion der Nuklearenergie mit neuen Einrichtungen, die auf der ganzen Welt aus dem Boden schießen, oft in Ländern, die das Zusatzprotokoll nicht unterzeichnet haben. Deshalb stellte 2003 eine Gruppe von Wissenschaftlern vom Massachussetts Insititute of Technology (MIT) die Weisheit eines jedes Szenarios in Frage, das eine Ausweitung der Nuklearenergie vorsieht.

Doch die Vereinigten Staaten kommen nun auf diese Idee zurück, obwohl sie der Wiederaufbereitung 1974 noch den Rücken gekehrt hatten, nachdem Indien erfolgreich eine Atombombe aus reaktorfähigem Material gezündet hatte. Der Plan der Atomwaffenstaaten und Japans ist, Nichtatomwaffenstaaten im Rahmen einer "Global Nuclear Energy Partnership" Wiederaufbereitung anzubieten. Diese Idee hat bereits dazu geführt, dass das Interesse an Wiederaufarbeitung in Frankreich und Südkorea wieder aufgelebt sind. Seit Deutschland beschloss, die Wiederaufbereitung zu beenden, hatte auch die französische Wiederaufbereitungsindustrie angefangen zu erlahmen.

Der Atomphysiker Frank von Hippel sagt, dass die frühere US-Politik, "die die Strategie verfolgte 'Wir bereiten nicht auf, also braucht ihr das auch nicht', viel erfolgreicher war. Während der 30-jährigen Periode, in der diese Politik in Kraft war, hat kein Nuklearwaffenstaat eine kommerzielle Wiederaufbereitung eingeleitet und sieben Länder haben ihr Interesse an ziviler Aufbereitung verloren.... Heute ist Japan der einzige Nichtatomwaffenstaat, der sich an der kommerziellen Wiederaufbereitung beteiligt."(3)

Aufgrund der Knappheit an hochgradigem Uran, bietet eine auf Plutonium basierende Expansion der Nuklearenergie die einzige Option, sollten wir wirklich den Weg der "Renaissance" gehen. Plutonium ist aber anfällig für Proliferation. Etwa ein Prozent des Plutoniums kann aus verfahrenstechnischen Gründen nicht genau bestimmt werden und gilt offiziell als »Material Unaccounted For« (MUF). Eine gravierende Sicherheitslücke: Das potentielle MUF der hochmodernen Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho Mura wird nach Aussagen britischer Experten etwa auf 50kg Plutonium pro Jahr geschätzt - genug Stoff für etwa sechs bis acht Atomwaffen.(4) Gäbe es weitere neue Wiederaufbereitungsanlagen, so wäre auch die daraus resultierende Bedrohung viel größer.


Die Absicherung

Es gibt eine Anzahl von Vorschlägen, wie die Kontrolle nuklearer Energie effektiver gestaltet werden könnte. Auf der Osloer Konferenz im Februar 2008 stellte Rose Gotemoeller die Idee eines NPT-Begleitvertrages für Staaten vor, die einen Kernbrennstoffkreislauf entwickeln wollen, der eine automatische, aufdringliche Überwachung und Inspektion ohne Vorwarnung ermöglichen würde. Aber sie lässt die Atomwaffenstaaten außen vor, genauso wie die derzeitigen IAEA-Sicherungsmaßnahmen das tun, und erhält so das Diskriminierungsproblem aufrecht.

Tom Graham führt dieses Problem in seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt weiter, indem er zwischen die Eliminierung der Waffen und einer atomwaffenfreien Welt eine "Absicherung" von spaltbarem Material platziert. "Eine dritte und spätere Phase würde die komplette Eliminierung der Waffen verlangen, aber den acht Atomwaffenstaaten würde es erlaubt sein, eine relativ limitierte Menge von spaltbarem Material zu behalten, das in eine kleine Anzahl von Waffen verwandelt werden könnte als Absicherung für den Fall, dass das Regime versagt."(5) Diese Absicherung variiert in der Größe je nach Status der Landes - die USA und Russland dürfen am meisten behalten, die P3-Staaten als nächstes und die de-facto-Staaten am wenigsten. Diese Absicherung wird nur hinsichtlich des so genannten waffenfähigen spaltbaren Materials definiert, aber es gibt natürlich noch die andere Absicherung: Nuklearenergie.

Auch problematisch, aber zumindest ein wenig Gleichberechtigung anstrebend, ist der Vorschlag von Al-Baradei, die Produktion zu internationalisieren und die Versorgung mit Brennstoff durch eine IAEA-Brennstoffbank zu sichern, obwohl es immer noch Probleme gibt durch die Struktur der IAEA, die beherrscht wird durch Kernmaterial-Lieferländer und die Förderung der Nuklearenergie als Teil ihres Mandats bestimmt hat.

Mein Fazit ist, dass wir die unergiebige Suche nach der höchstmöglichen Kontrolle über Nuklearenergie nur hinter uns lassen können, wenn wir zu einem positivem Denken wechseln: Wie können wie eine garantierte Versorgung mit nachhaltiger Energie sichern, die die Natur nicht ausbeutet und kontaminiert, bei den Menschen Krebs erzeugt oder sie steril macht, die Sicherheit der Menschheit gefährdet und Material liefert für Atombomben? Wie im deutschen TV-Dokumentarprogramm "Frontal 21" über das skandalöse Leck im Atommülllager Asse konstatiert wurde: "Wozu das Klima schützen, wenn wir die Erde darunter vergiften?" Die deutsche Regierung hielt im April dieses Jahres eine Konferenz zur Gründung der "International Renewable Energy Agency"(6) ab, die von zwei Dritteln der Staaten besucht wurde. Ein Netzwerk von 2000 NGOs und "Abolition 2000" hat schon seit Jahren die Errichtung einer solchen Agentur gefordert. Dies sind positive Zeichen für die Lösung der Energiekrise. Es ist Zeit für eine Energierevolution.


Quellen:

(1) "Securing our Survival (SOS): The Case for a Nuclear Weapons Convention", Chapter on Terrorism

(2) Mian, Zia, Comment: Nuclear Energy in "Securing our Survival (SOS): The Case for a Nuclear Weapons Convention", Comment: Nuclear Energy

(3) von Hippel, Frank: "Managing Spent Fuel in the United States: The Illogic of Reprocessing", p.4, January 2007

(4) Barnaby, Frank and Kemp, James: "Secure Energy? Civil nuclear power, security and global warming", Oxford Research Group Briefing Paper, March 2007

(5) Graham, Thomas: "Zero nuclear weapons and the international nuclear non-proliferation regime", Article VI Forum, Dublin, March 2008

(6) http://www.irena.org/


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Quelle:
IPPNWforum | 113 | 08, S. 6-7
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009