Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

WISSENSCHAFT/1127: Wie glaubwürdig ist Wissenschaft? (attempto! - Universität Tübingen)


attempto! - Dezember 2011 - Forum der Universität Tübingen

Wie glaubwürdig ist Wissenschaft?

Glaubwürdigkeit und das öffentliche Bild von Wissenschaft:
Konsequenzen für die Wissenschaftskommunikation

von Hans Peter Peters


Einleitung der attempto!-Redaktion:
Gegenüber Politik und Wirtschaft genießt die Wissenschaft in der Öffentlichkeit trotz einiger Skandale immer noch einen Vertrauensvorschuss. Er basiert auf der Überzeugung, dass Wissenschaft vom Kern her dem Allgemeinwohl dient. Um ihre Glaubwürdigkeit zu behalten, muss die Wissenschaft ihre Identität schützen, gleichzeitig aber mit Wirtschaft und Politik kooperieren - ein Drahtseilakt.


Die Zahl der Bürger, die vor Ehrfurcht gegenüber der Autorität der Wissenschaft erstarren und wissenschaftliche Erkenntnisse unhinterfragt als "Wahrheit" akzeptieren, wird kleiner. Die öffentliche Thematisierung von Fälschungsskandalen und problematischen Praktiken bei der Verleihung von Doktortiteln mag die Wissenschaftsskepsis befeuert haben, aber die Hinterfragung von Wissenschaft ist fundamentaler und langfristiger. Dass Wissenschaftler häufig unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte einnehmen, und dass diese Standpunkte durch Eigeninteressen oder durch Antizipation politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Interessen beeinflusst sein können, wird allgemein unterstellt (siehe Kasten). Auf unkritisches Vertrauen können wissenschaftliche Akteure heutzutage kaum noch rechnen.


Kasten

Gedanken von Testlesern beim "lauten Denken" während der Rezeption von Zeitungsartikeln über Gentechnik (Beispiel 1) und Klimawandel (Beispiel 2). Die zitierten Gedanken beziehen sich jeweils auf in den Beiträgen erwähnte wissenschaftliche Experten bzw. deren Aussagen. Es handelt sich hier nur um wenige Beispiele aus einer Vielzahl solcher die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern bestreitenden Gedanken in verschiedenen Medienbeiträgen, die wir in unseren Rezeptionsstudien analysiert haben. Selbstverständlich gibt es auch viele Gedanken, in denen die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler und ihrer Aussagen bekräftigt wird.

Beispiel 1: "Gen-Mikroben auf Abwegen"
"Dieses 'Verbundprojekt Sicherheitsforschung' hört sich schon unseriös an. Einem Projekt, das so heißt, glaube ich nicht. Um weiter zu forschen, erzählen die [Wissenschaftler] bestimmt gerne irgendwas."
"Ich glaube nicht, dass der Professor so sicher sein kann, dass er das Richtige sagt."
"Die dargestellten Forschungsergebnisse sind sicherlich einseitig zugunsten der Gentechnik."
"Nur weil ein Professor eine Aussage macht, glaube ich ihm [noch] nicht."
"Gentechnik ist noch im Anfang, daher können selbst Wissenschaftler sich kein Urteil erlauben."
"Wenn Konzern Bayer im Spiel ist, heißt das: ökonomischer Hintergrund. Geld spielt eine Rolle."
"Die Studie sagt nichts aus über die reale Welt, denn es war wohl eine Auftragsstudie, deren Ergebnis abzusehen war."
"Wissenschaftsgläubigkeit fällt mir hierzu ein, denn es waren viel zu wenige Versuche. Die Entscheidung, es sei nicht gefährlich, ist zu voreilig."

Beispiel 2: "Neuer Streit um die Rolle von Kohlendioxid"
"Ja, erst 'mal hab' ich gedacht, ein Wissenschaftler aus Bochum. Dort sind sehr viele Kohlekraftwerke, dort wird sehr viel Kohle produziert. Er scheint mir also sehr parteiisch zu sein [...]"
"Da kann ich nur sagen, was dieser Mann [Wissenschaftler] sagt ist absoluter Unfug. Das ist eindeutig durch den Menschen verursacht. [...] Also absoluter Blödsinn."
"Das zweite war, dass einer halt aus Bochum... Ja wie soll ich das sagen, das ist das Ruhrgebiet. Dass die natürlich ein gesteigertes Interesse haben, dass das CO2 nicht unbedingt Auslöser war, war so mein zweiter Gedanke."
"Liest sich so, als ob es von der Industrie veranlasst wurde."
"Ja, als erstes hab ich gelesen, dass es um diesen Geowissenschaftler geht, der gesagt hat, dass [...] das Kohlendioxid, das austritt, nichts mit der Erwärmung zu tun hat. Dann hab ich gelesen, dass er aus dem Ruhrpott kommt, dann dachte ich, aha, das kommt mir ein bisschen unglaubwürdig vor. Ja, aufgrund der Industriegeschichte die da halt ist... und die wahrscheinlich massenhaft Kohlendioxid ausstoßen. Ich weiß ja nicht, wem da nach den Mund geredet werden soll, aber das erscheint mir nicht sehr glaubwürdig."
"Ich sag mal, das ist wieder ein typischer Wissenschaftler. Einer hat irgendwas untersucht und verbreitet das dann und genaues weiß im Endeffekt noch keiner. Jeder vertritt seine Meinung."


Auf der anderen Seite zeigen Bevölkerungsbefragungen, dass das Vertrauen in Wissenschaft viel höher als das Vertrauen in Politik und Wirtschaft ist (siehe Grafik). Dabei unterscheidet sich die Wissenschaft von der Politik und Wirtschaft gar nicht mal so sehr in puncto unterstellter Kompetenz, was man angesichts der gesellschaftlichen Funktion der Wissenschaft, der Bereitstellung von sozial relevantem Wissen, vermuten würde, sondern bei der unterstellten Allgemeinwohl-Orientierung.

Der Widerspruch zwischen verbreiteter Skepsis gegenüber öffentlichen Äußerungen von Wissenschaftlern und positiver Bewertung der Wissenschaft im Vergleich zu Politik und Wirtschaft löst sich auf, wenn man zwischen allgemeinem Institutionen-Vertrauen und situationsspezifischem Vertrauen differenziert. Sicher gibt es eine Beziehung zwischen den beiden Vertrauensebenen: allgemeines Vertrauen oder Misstrauen in Wissenschaft dürfte als Ausgangspunkt bei der Reflexion über Vertrauen in wissenschaftliche Akteure in konkreten Situationen verwendet werden; Vertrauenseinschätzungen in konkreten Situationen auf das allgemeine Vertrauen abfärben. Aber trotzdem wird allgemeines und situationsspezifisches Vertrauens nach unterschiedlichen Kalkülen beurteilt.

Quelle: Repräsentative Befragung im Auftrag des Forschungszentrum Jülich 2004

Quelle: Repräsentative Befragung im Auftrag des Forschungszentrum Jülich 2004

Erläuterungen zu Grafik 1:
Repräsentative telefonische Befragung der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren, n=1.000, Mai 2004.
Die Frageformulierung zur Entscheidungskompetenz lautete:
"Wissenschaftliche Institutionen - wie z.B. Universitäten und staatliche Forschungszentren - sind NICHT kompetent genug, um die richtigen Entscheidungen zu treffen." In der Grafik dargestellt sind die Anteile der Befragten, die "eher nicht" oder "überhaupt nicht" zustimmen.


Quelle: Repräsentative Befragung im Auftrag des Forschungszentrum Jülich 2004

Quelle: Repräsentative Befragung im Auftrag des Forschungszentrum Jülich 2004

Erläuterungen zu Grafik 2:
Die Frageformulierung zur Allgemeinwohl-Orientierung war:
"Wissenschaftliche Institutionen - wie z.B. Universitäten und staatliche Forschungszentren - versuchen das zu tun, was am besten für die Gesellschaft ist." Dargestellt sind die Anteile, die dieser Aussage "eher" oder "voll und ganz" zustimmten. Entsprechend formulierte Fragen wurden zur Erhebung der unterstellten Entscheidungskompetenz und Allgemeinwohl-Orientierung der anderen drei Institutionen verwendet.
Die Daten wurden im Mai 2004 im Rahmen eines deutsch-amerikanischen Projekts zur Analyse von Faktoren der Gentechnik-Einstellung im Auftrag des Forschungszentrums Jülich von Infratest erhoben. Die Glaubwürdigkeits-Daten beziehen sich jedoch nicht speziell auf Gentechnik.
Vgl. Peters, H.P., Lang, J.T., Sawicka, M., & Hallman, W.K. (2007): Culture and technological innovation. Impact of trust and appreciation of nature on attitudes towards food biotechnology in the USA and Germany. International Journal of Public Opinion Research, 19 (2), 191-220.


Ideal der Wahrheitssuche

Grundlage des hohen allgemeinen Vertrauens in Wissenschaft dürfte das ihr zugeschriebene Ideal der Wahrheitssuche sein. Die Eigenlogik der Wissenschaft - Orientierung an "Wahrheit" - gilt als mit dem Allgemeinwohl kompatibel; die Systemlogiken von Politik und kapitalistischer Wirtschaft - Orientierung an "Macht" und "Profit" - nicht, da sie soziale Konkurrenz implizieren und damit mit Partialinteressen verknüpft sind, die als dem Allgemeinwohl entgegen stehend betrachtet werden. Formen der Selbstdarstellung der Wissenschaft, die direkt oder implizit den Wettbewerbscharakter wissenschaftlichen Handelns hervorheben oder die Nähe bzw. Ähnlichkeit zur Ökonomie und Politik betonen, beschädigen daher möglicherweise eine zentrale Legitimierungsgrundlage der Wissenschaft: die Überzeugung, dass Wissenschaft dem Allgemeinwohl dient.

Der naheliegende Schluss, dass Wissenschaft Distanz zu Wirtschaft und Politik halten sollte, verbietet sich allerdings. Denn die gesellschaftlichen Leistungen der Wissenschaft beruhen ja zu einem großen Teil auf der Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Politik. Distanz zu diesen Bereichen würde zwar Vertrauensprobleme vermeiden, aber Wissenschaft als gesellschaftlich irrelevant erscheinen lassen. Die notwendigen Interdependenzen mit Wirtschaft und Politik führen daher zu einem unaufhebbaren, strukturellen Vertrauensproblem.

Was folgt daraus für die öffentliche Selbstdarstellung der Wissenschaft? Einerseits muss die Wissenschaft als Relevanznachweis auf die Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen - einschließlich derer von Wirtschaft und Politik - verweisen, andererseits darf sie sich von diesen Systemen aber nicht vereinnahmen lassen, sondern muss ihre Identität betonen. Diesen Spagat zu vollziehen und dabei die richtige Balance zu halten ist eine der zentralen Herausforderungen für die Wissenschaft und ihre öffentliche Selbstdarstellung. Zwei Entwicklungen bringen nach meiner Einschätzung langfristig Image- und Vertrauensrisiken mit sich: Ökonomisierung und Trivialisierung des Wissenschaftsbildes.

Die Ökonomisierung resultiert aus dem Ziel von Wissenschaftsorganisationen, ihre Leistungsfähigkeit darzulegen und sich dazu ökonomischer Kriterien wie "Konkurrenzfähigkeit", "Effizienz" und "Nutzen" zu bedienen. Wir stellen heute einen zunehmenden Einfluss organisatorischer Öffentlichkeitsarbeit in der Wissenschaftskommunikation fest. Das ist nicht per se problematisch, geht aber einher mit zunehmender strategischer Ausrichtung der Wissenschaftskommunikation auf Kommunikationsziele wie Legitimierung der jeweiligen Wissenschaftsorganisation, Profilierung auf den "Märkten" für Ausbildungs-, Forschungs- und Gesundheitsdienstleistungen sowie öffentliche Interessenvertretung bei forschungspolitische Themen.

Interessenvertretung durch Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur legitim, sondern in der Mediengesellschaft sogar unumgänglich. Aber sie hat womöglich nicht-intendierte Konsequenzen für das öffentliche Wissenschaftsbild: Wissenschaftliche Erkenntnisse, die nach wissenschaftssoziologischer Auffassung in organisations- und länderüberspannenden Scientific Communities entstehen, werden als "Output" von Organisationen dargestellt. Geräte, Infrastrukturen und finanzielle Ressourcen geraten als typische Organisationsleistungen in den Vordergrund gegenüber intellektuellen Erfolgsfaktoren. Und Anwendungen werden gegenüber Erkenntnissen und Erkenntnisprozessen wichtiger.

Die Trivialisierung der Wissenschaft in ihrer Selbstdarstellung resultiert aus dem Bemühen, die Besonderheiten wissenschaftlichen Handelns und die Esoterik wissenschaftlichen Wissens herunterzuspielen und stattdessen Konformität der Wissenschaft mit allgemeinen sozialen Werten, vertrauten Arbeitsroutinen und der Populärkultur zu betonen. Diese Strategie ist von der Annahme geleitet, dass die soziale Distanz zwischen Wissenschaft und Alltag ein Vertrauensproblem schafft und die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses erschwert. Die Diagnose ist nicht falsch, der Therapieversuch aber problematisch. Kommunikationsformate, bei denen das Medium im Vordergrund steht und nicht der Inhalt, wie bei Science Rap Videos oder Science Slams, verankern "Wissenschaft" in der Alltagskultur von Jugendlichen. Sie verbreiten aber auch ein trügerisches Wissenschaftsbild: Wissenschaft ist keine harte Arbeit sondern "Fun". Das in Science Rap Videos und anderen Infotainment-Formaten implizite Wissenschaftsbild dürfte diejenigen irritieren, die in ihrer Arbeitswelt täglich acht Stunden Stress haben und die Steuern zahlen, aus denen die akademische Wissenschaft finanziert wird. Es täuscht zudem die Jugendlichen, die für eine Wissenschaftskarriere gewonnen werden sollen, über die dafür nötige Selbstdisziplin.

Man kann die Gründe nachvollziehen, die zu Ökonomisierung und Trivialisierung führen, aber diese Trends sind nicht ohne Risiko. Im Vergleich zu Politik und Wirtschaft hat die Wissenschaft in der öffentlichen Kommunikation einen entscheidenden Vorteil: ihre Kernaktivität - Wahrheitssuche - gilt als Allgemeinwohl-orientiert. Angesichts der in der Grafik gezeigten Befragungsergebnisse kann man wohl von erwiesener Erfolglosigkeit der öffentlichen Selbstdarstellung von Wirtschaft und Politik sprechen. Es macht daher wenig Sinn, ihre Kommunikationsformen zu kopieren. Vielmehr gilt es, den spezifischen Charakter der Wissenschaft zu betonen und nicht die Ähnlichkeit zur Wirtschaft oder zum Alltag herauszustellen. Die Selbstdarstellung der Wissenschaft muss sich an der Vermittlung von Wissen orientieren, was Sachlichkeit, Erklärung, Argumentation und auch Ernsthaftigkeit nahe legt. Das muss nicht in Verstaubtheit, Humorlosigkeit und Verzicht auf Selbstironie ausarten. Und gegen ein gelegentliches Science Rap Video als "Salz in der Suppe" ist natürlich auch nichts einzuwenden.

© Prof. Dr. Hans Peter Peters

© Prof. Dr. Hans Peter Peters

Prof. Dr. Hans Peter Peters ist Kommunikationswissenschaftler am Institutsbereich Ethik in den Neurowissenschaften des Forschungszentrums Jülich und Honorarprofessor für Wissenschaftsjournalismus an der Freien Universität Berlin. Seine Forschung befasst sich mit öffentlicher Wissenschaftskommunikation, insbesondere mit der Medienorientierung der Wissenschaft und den Interaktionen von Wissenschaftlern und Journalisten.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Schattenblick veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors den ungekürzten Originalartikel.


*


Quelle:
attempto! - Dezember 2011, Seite 4 - 5
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen e.V. (Universitätsbund)
Wilhelmstr. 5, 72074 Tübingen
Redaktion: Michael Seifert (verantwortlich)
Telefon: 07071/29-76789, Telefax: 07071/29-5566
E-Mail: michael.seifert@uni-tuebingen.de
Internet: www.uni-tuebingen.de/aktuelles/veroeffentlichungen/attempto.html

attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012