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WISSENSCHAFT/982: Grundlagenforschung ist der zentrale Innovationstreiber (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Spezial 2009
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Grundlagenforschung ist der zentrale Innovationstreiber


Von Peter Gruss


Die aktuelle Krise zeigt: Eine Wachstumspolitik, die unseren Wohlstand mittel- und langfristig sichert, muss deutlich mehr auf Innovationen setzen als bisher - auf Innovationen, die nicht nur bestehende Systeme so verbessern, dass man noch eine Weile wettbewerbsfähig bleibt, sondern die zu grundlegend neuen Lösungen und Durchbrüchen führen.


Die Entscheidung, den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation weiterzuführen, war vor dem Hintergrund enormer staatlicher Ausgaben und ständig neuer Höchststandsmeldungen der Staatsverschuldung sicher nicht einfach. Aber mit den zusätzlichen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung hinterlassen wir unseren Kindern eine Grundlage für ihre Zukunft. Diese Ausgaben sind eine Investition, die hohe Renditen verspricht. Dabei sind Wissenschaft und Forschung nicht nur ein wichtiger Motor für die Entwicklung neuer Verfahren und Produkte, sondern auch wesentlich für die Lösung großer globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Ernährung und Gesundheit.

Auch andere Länder - allen voran die USA - setzen in der Krise bewusst auf mehr Forschung. Allein die National Institutes of Health bekommen für 2009 und 2010 im Rahmen der Konjunkturprogramme mehr als zehn Milliarden Dollar zusätzlich, entsprechend einem Drittel ihres jährlichen Budgets. Insgesamt belaufen sich die amerikanischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in diesem Jahr auf 172 Milliarden Dollar - das ist der größte Forschungsetat in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Deutschland sollte seinem Hauptkonkurrenten in der Forschung dicht auf den Fersen bleiben!

Ausgaben für Forschung entfalten bei einer planungssicheren Finanzierung langfristig enorme Wirkung auf die Innovationsfähigkeit und damit die Wirtschaftskraft. Standorte profitieren deutlich von diesen Ausgaben. Denn im Umfeld von Forschungseinrichtungen entstehen Arbeitsplätze in der Industrie und in Dienstleistungsbranchen. Welche Wirkung solche Cluster entfalten, lässt sich in München beobachten: So hat die biomedizinische Forschung die Region in den vergangenen 30 Jahren an eine europäische Spitzenposition in der Biotechnologie gebracht. Als Keimzelle gilt das dortige Max-Planck-Institut für Biochemie. Insgesamt haben sich mittlerweile 164 kleinere und mittlere Unternehmen aus dem Kernbereich der Biotechnologie in Bayern und vor allem um München angesiedelt.

Nicht nur das Clusterbeispiel zeigt: Ausgaben für Forschung und Entwicklung sichern die Innovationsfähigkeit eines Landes. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow stellt in seiner Schrift Contribution to the Theory of economic Growth fest, dass für das Wirtschaftswachstum in Industrieländern nicht Arbeit und Kapital, sondern der technologische Fortschritt die entscheidende Triebfeder ist. Nach seinen Berechnungen resultieren bis zu 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der Einführung neuer Technologien. Je näher ein Land mit seiner Technologie an das weltweit höchste Niveau heranreicht, desto stärker beleben diese Investitionen das Wirtschaftswachstum. Das belegen eine Untersuchung in 22 OECD-Ländern in den Jahren von 1960 bis 2000 sowie ein Vergleich der US-amerikanischen Bundesstaaten.

Grundlagenforschung ist der zentrale Innovationstreiber. Das Wissen, das hier über die Gesetzmäßigkeiten in der Natur und im Menschen, über Strukturen und Zusammenhänge von Quarks und Elektronen bis hin zu den riesigen Dimensionen des Universums gewonnen wird - dieses Wissen schafft die Basis für umwälzende Neuerungen. Hier geht es um mehr als herkömmliche Technologien und Arbeitsplätze. Auf die Erkenntnisse aus dieser Forschung wird die Welt von übermorgen bauen.

Eine präzise und umfassende "Return-on-investment-Quote" öffentlicher Aufwendungen für die Grundlagenforschung ist schwierig zu errechnen. Das liegt auch an den oft langen Zeiträumen zwischen Entdeckung und Anwendung. Berechnungen von Wirtschaftswissenschaftlern und Statistikern variieren zwischen einer Rendite von 30 Prozent für alle Bereiche bis hin zu 700 Prozent für spezielle Gebiete. So haben Wissenschaftler der Stanford Universität und der Analysis Group für die Stammzellforschung einen Gewinn der eingesetzten Mittel von mindestens 120 bis 236 Prozent über einen Zeitraum von 30 Jahren ermittelt. Sollte die Forschung mit Stammzellen zu größeren Verbesserungen bei der Behandlung von Krankheiten führen, dann könne gar mit einer Rendite von 700 Prozent gerechnet werden.

Sicher wüssten wir alle gern, wie viel ein Land konkret in Grundlagenforschung investieren sollte. Hans Gersbach hat in einer theoretischen Analyse zusammen mit seinen Kollegen vom Center of Economic Research der ETH Zürich das Schumpeter'sche Wachstumsmodell um den Sektor der staatlich geförderten Grundlagenforschung erweitert. Ihr Ergebnis: Je technologisch fortgeschrittener ein Land ist, umso mehr sollte eine Regierung in die Grundlagenforschung investieren.

Wir alle wissen, dass das ganz besonders für Deutschland gilt. Die Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation von 2008 und 2009 stellen übereinstimmend fest, dass Grundlagenforschung und Innovationsförderung in Deutschland grundsätzlich nur ungenügend finanziert sind. Es reicht also nicht aus, die bisherige Höhe der Aufwendungen fortzuschreiben. Die Zukunftspakte sowie weitere Initiativen im Rahmen der Hightech-Strategie stellen die richtigen Weichen. Zu hoffen bleibt, dass die Wirtschaft nun ihren proportionalen Anteil an den Aufwendungen erbringen kann, um Deutschland einen Spitzenplatz im wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb zu sichern.

Eine weitere große Herausforderung für Wirtschaft und Forschung ist, die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung noch besser für Innovationen zu nutzen. Die Forschung in der Max-Planck-Gesellschaft liefert gelungene Beispiele, bei denen sich bereits heute der Innovationswert absehen lässt: etwa die Entwicklung neuer Materialien für das Auto von morgen, die Suche nach Substanzen für effizientere Solarzellen, oder neue Wege der Energiespeicherung mithilfe innovativer Batterietechnologie. Ebenso arbeiten unsere Wissenschaftler an der Entwicklung von Impfstoffen oder an Möglichkeiten, Schädlinge und Krankheiten von Nutzpflanzen fernzuhalten, indem sie die natürliche Abwehr der Pflanzen nutzen.

Leider gelingt es uns nach wie vor nicht hinreichend, das Wissen der Forscher in die Firmen zu bringen. Wissenschaft und Wirtschaft müssen früher als bisher in einen konstruktiven Dialog treten. Zu diesem Dialog tragen wir mit unterschiedlichen Initiativen bei: sei es durch den Austausch von Mitarbeitern zwischen Instituten und Industrieunternehmen, sei es in Workshops mit Forschungsvorständen und Max-Planck-Wissenschaftlern oder durch die Aktivitäten unserer Ausgründungsgesellschaft Max-Planck-Innovation. Darüber hinaus ist der Markt für Wagniskapital in Deutschland nur schwach ausgebildet, kleine und mittlere Unternehmen verfügen über zu wenig Kapital.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat auch in diesem Bereich Initiative ergriffen - mit dem Ziel, die Übertragung von Ergebnissen, Produkten oder Konzepten in die Wirtschaft durch Reifung oder Validierung zu steigern und damit das finanzielle Risiko für potenzielle Investoren zu senken. So nimmt das Lead Discovery Center in Dortmund vielversprechende Projekte aus der biomedizinischen Grundlagenforschung auf, um sie bis zur sogenannten Leitstruktur (Lead) - zum Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Arzneistoff-Kandidaten - weiterzuentwickeln. Die Initiative kann dazu beitragen, dass aus den Investitionen in die Grundlagenforschung schneller und direkter Gewinne geschöpft werden.

Aber Grundlagenforschung ist nicht nur wegen ihres potenziellen materiellen Nutzens wertvoll. Erkenntnisse verändern unser Weltbild, unser Verständnis vom Menschen. Denken wir nur an die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, an die Funde von Urzeit-Menschen, an die Bilder vom Mars oder gar vom Universum. Und selbstverständlich lässt sich Grundlagenforschung als Erkenntnisgewinn, als kulturelle Leistung nicht auf die Naturwissenschaften begrenzen. Alle Disziplinen tragen dazu bei, von den Geistes- und Sozialwissenschaften über die Biologie bis hin zur Physik.

Der erste Direktor des großen Teilchenbeschleuniger-Labors Fermilab, Bob Wilson, hat bei einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongressausschuss den Wert seiner Forschung für die Gesellschaft provokativ auf den Punkt gebracht. Auf die Frage, was sein Labor zur Verteidigung des Landes beitragen werde, antwortete er: "Nichts, aber es wird dafür sorgen, dass es verteidigenswert ist."


DER AUTOR

Prof. Dr. Peter Gruss ist seit 2002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Davor hat er sich als Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen mit Fragen der Entwicklungsbiologie befasst. Dabei war ihm die Übertragung von Wissen aus der Grundlagenforschung in die Anwendung ein besonderes Anliegen. Für seine Idee, die Entwicklungsbiologie als Basis innovativer Therapien zur Behandlung von Krankheiten einzusetzen, wurde er 1999 zusammen mit seinem Kollegen Herbert Jäckle mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft, Spezial 2009, S. 6-9
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2009