Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FINANZEN

INTERNATIONAL/059: Arabische NGOs warnen IWF vor Kürzung von Subventionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. März 2014

Finanzen: Arabische NGOs warnen IWF vor Kürzung von Subventionen

Von Jim Lobe


Bild: © Emad Mekay/IPS

Durch den Mangel an Weizen 2011 hatten Ägyptens Bäcker Probleme, genügend Brot zu produzieren
Bild: © Emad Mekay/IPS

Washington, 3. März (IPS) - Zivilgesellschaftliche Aktivisten aus fünf arabischen Ländern haben den Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgefordert, ihre Regierungen nicht länger zur Abschaffung ihrer Nahrungs- und Benzinsubventionen zu drängen, solange dort adäquate soziale Sicherheitsnetze fehlen und andere grundlegende Reformen ausbleiben.

Wie aus einem neuen Bericht des arabischen Entwicklungsnetzwerks ANND und des arabischen Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte (ECESR) hervorgeht, sind die sozialen Auffangsysteme in Ägypten, im Jemen, in Jordanien, Marokko und Tunesien völlig unzureichend oder in einigen Fällen auch korrupt und könnten den Verlust wichtiger Subventionen keinesfalls kompensieren, auf die die Armen und sogar die Mittelklasse angewiesen seien.

Schon ein gradueller Abbau der Beihilfen würde die sozialen Unruhen in einer Region, in der sich der dreijährige 'arabische Aufbruch' totgelaufen habe, weiter verlängern, heißt es in dem 20-seitigen Bericht.

"In naher Zukunft ist die Abschaffung der Subventionen als mögliche Patentlösung der ernsten Haushalts- und Finanzprobleme, mit denen sich die meisten arabischen Staaten konfrontiert sehen, inakzeptabel", unterstreicht der Bericht, den die Nahost-Taskforce der Stiftung Neues Amerika (NAF), einer unabhängigen Denkfabrik mit Sitz in Washington, Ende Februar veröffentlicht hat.

Mit dem fortgesetzten Druck auf die arabischen Staaten, ihre Subventionen abzuschaffen, reagiere der IWF unangemessen auf die sozialen und politischen Veränderungen seit Beginn des arabischen Frühlings 2011, heißt es in dem Report. Es gebe andere Möglichkeiten wie die Einführung progressiver Steuersysteme und Kürzungen des Verteidigungshaushaltes, mit denen die Haushaltsdefizite der Länder abgebaut werden könnten. Die Regierungen müssten zudem dazu gedrängt werden, sich mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs), Gewerkschaften und lokalen Behörden auf wirtschaftliche Reformprogramme zu verständigen.


Globale Lösungen für nationale Probleme

Jo Marie Griesgraber vom internationalen Netzwerk 'New Rules for Global Finance Coalition' mit Sitz in Washington würdigt den neuen Bericht als einen der jüngsten Hinweise für ein wachsendes Interesse von Graswurzelgruppen in der arabischen Welt und Übergangsländern wie der Ukraine und Myanmar an einer globalen Lösung nationaler Schwierigkeiten. Allerdings wird der Einfluss des IWF auf Nationalstaaten oftmals überschätzt.

"Ich bin sicher, dass der IWF, gäbe man ihm die Chance dazu, dem Abbau der Subventionen keine höchste Priorität einräumen würde", meint sie gegenüber IPS. "Das ist eine Regierungsstrategie, und Regierungen sind eher bereit, Subventionen abzuschaffen als ihre Militärausgaben zu verringern."

"Der IWF kann nicht alles leisten. Man braucht die Weltbank, man braucht die regionalen Banken, man braucht ein internationales Gericht, das korrupte Regierungsvertreter hinter Gitter bringt und man braucht die nationalpolitische Bereitschaft der Menschen, Steuern zu zahlen", fügt sie hinzu. "Die Handlungsmöglichkeiten des IWF sind begrenzt, auch wenn er den Regierungen als Prügelknabe zweckdienlich ist."

Leila Hilal, Leiterin der NAF-Nahost-Taskforce, wirft den Staaten vor, sich bilateral mit dem IWF zu verständigen, ohne der von den Reformen betroffenen Bevölkerung ein Mitspracherecht zu geben. Die Volksaufstände hätten den Menschen begreiflich gemacht, dass ihre Stimmen wertvoll seien, dass politisch viel auf dem Spiel stehe und dass es wichtig sei, gehört zu werden. Unter Druck gesetzt gehört ihrer Meinung vor allem die globale Gemeinschaft, "die derartige Einsparungen einfordert, ohne den aktuellen Zusammenhang oder die Auswirkungen auf die einkommensschwachen Menschen zu berücksichtigen".

Während Massenproteste, Gewalt und politische Aufstände in der arabischen Welt andauern, wird den unterschwelligen wirtschaftlichen Problemen kaum eine Schlagzeile gewidmet.

Der in Washington ansässige IWF, der von den wohlhabenden Industriestaaten dominiert wird, engagiert sich seit langem in der Region Nahost/Nordafrika (MENA) - insbesondere in den fünf Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen, die Gegenstand des Berichts sind -, indem er Krisenstaaten kurzfristige Kredite bereitstellt, die im Gegenzug angehalten sind, ihre Haushaltsdefizite zu verringern, wenn nicht gar komplett abzubauen.


Eiserner Sparkurs, heftige Proteste

Der IWF ist für seine Sparauflagen und Strukturanpassungsprogramme heftig kritisiert worden, vor allem, weil diese die schwächsten Sektoren der Kreditempfängerländer in Form von Subventionskürzungen, häufig als ein Resultat von Einschnitten in den Sozialleistungen einschließlich im Gesundheits- und Bildungsbereich treffen. Besonders umstritten ist der Abbau der Subventionen aufgrund seiner unmittelbaren Auswirkungen auf die Bevölkerung. 1977 löste die Verringerung der Brotsubventionen in Ägypten massive Unruhen aus. Ähnliche Versuche in Jordanien hatten 1989 und erneut 1996 Proteste zur Folge.

Als der IWF im April letzten Jahres eine Mission nach Ägypten entsandte, kam es zu Protesten zivilgesellschaftlicher Gruppen, Gewerkschaften und politischen Parteien, die ähnliche Einschnitte als Bedingung für die dringend benötigten Kredite befürchteten.

In weiten Teilen der Region geben die Regierungen viel für Subventionen aus. 2012 zum Beispiel machten sie zehn Prozent des ägyptischen Haushalts aus.

Der Bericht räumt ein, dass IWF und Weltbank inzwischen auf diese Kritikpunkte zunehmend sensibel reagieren und die Regierungen, mit denen sie Kredite aushandeln, zu überzeugen suchen, die Subventionen langsam und mit Hilfe der Bank abzubauen, indem die sozialen Sicherheitsnetze für die Ärmsten der Armen gestärkt werden.

Doch dem Bericht zufolge, der auf Interviews mit mehr als einem Dutzend prominenter zivilgesellschaftlicher Akteure aus den fünf arabischen Ländern sowie auf Analysen von IWF-Mitarbeiterberichten beruht, gründen diese Bemühungen manchmal auf falschen Annahmen.

"Theoretisch setzt sich der IWF für eine Ausweitung der sozialen Sicherungsnetze ein, um mögliche Negativauswirkungen für die Armen abzufedern, die von der Abschaffung der Subventionen besonders getroffen sind", heißt es in dem Bericht. "In der Praxis jedoch sind die Schutzsysteme in arabischen Ländern unterentwickelt oder inexistent und somit gar nicht in der Lage, die Armen vor den Folgen der Preissteigerungen zu schützen."


Individuelle Ausgangslagen berücksichtigen

Subventionsprogramme sollten nur dann gekürzt werden, wenn nachhaltige und umfassende soziale Schutzsysteme vorhanden seien. Dies erfordere aber den breiten Rückhalt einer Vielzahl von Akteuren.

"Unsere Analyse unterstreicht die Notwendigkeit, dass IWF und G8-Staaten ihre Empfehlungen an die politischen und sozioökonomischen Bedingungen in der arabischen Region anpassen", betont der NAF-Experte Abdulla Zaid, einer der vier Ko-Autoren des Berichts. "Die Eine-Lösung-für-alle-Strategie des Fonds, die Sparmaßnahmen über wirtschaftliche und soziale Rechte stellt, hat versagt, die schädlichen Auswirkungen des Subventionsabbaus auf die Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen abzufedern und damit für Stabilität zu sorgen." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/02/arab-ngos-warn-imf-sharp-cuts-subsidies/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. März 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014