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INTERNATIONAL/090: Wachstum durch Deregulierung oder bleibt alles beim Alten? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

LESSONS NOT LEARNED?
Wachstum durch Deregulierung oder bleibt alles beim Alten?

von Aline Fares


Es ist auffällig, wie schnell sich der Wind im politischen Diskurs um die Finanzmärkte gedreht hat: Im Frühjahr 2014, kurz vor den Europäischen Parlamentswahlen, verschob sich der politische Fokus von einer dringenden Reform des Finanzsystems, der die Diskussion seit 2008 weitgehend beherrscht hatte, hin zu einer absolut notwendigen Stärkung der Finanzmärkte und der Anlegerinteressen. Ziel sind dabei Wachstum und Arbeitsplätze. Dieser Text möchte nicht diesen Fokus auf Wachstum und Jobs in Frage stellen, der vor dem Hintergrund der dramatischen Krisensituation für viele Menschen in Europa und darüber hinaus durchaus legitim ist. Vielmehr soll gezeigt werden, dass die politischen EntscheidungsträgerInnen durch diese Fokusverschiebung und die Handlungsoptionen, die sich daraus ergeben, genau jene Entwicklungen wieder vorantreiben, welche die Krise ausgelöst haben.


Der Rat für Finanzstabilität ist ein internationales Gremium, welches das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen aussprechen kann. Laut dieser Behörde sind 30 Banken weltweit systemrelevant. Als solches gelten Finanzinstitute dann, wenn ihr Zusammenbruch den Kollaps des gesamten Systems mit verheerenden Auswirkungen auf die Realwirtschaft und auf die SteuerzahlerInnen verursachen würde - aus diesem Grund bezeichnet man diese Institute auch als "too big to fail" (TBTF). Solche Banken sollte es aus Prinzip nicht geben, da ihr Zusammenbruch massive und kostenintensive Eingriffe der öffentlichen Hand notwendig macht.

Die Europäische Zentralbank geht davon aus, dass die 19 wichtigsten Banken in Europa über 76 % der gesamten Aktiva im Bankensektor, der immerhin über 2500 Banken umfasst, innehaben. Die Gesamtengagements dieser Banken sind so enorm, durchschnittlich etwa 900 Milliarden Euro, dass schon geringe Verluste massive Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätten. Und nicht nur sind diese Banken zu groß, sie sind auch überproportional in Handelsaktivitäten involviert. Sie sind die Hauptakteure auf den Finanzmärkten: Sie stellen die meisten Vermögenswerte, mit denen an den Börsen gehandelt wird. Über zwei Drittel der Aktiva dieser Banken sind nur für den Handel mit anderen Akteuren auf den Finanzmärkten bestimmt, während nur ein Drittel als Kredite in die "Realwirtschaft" fließt. Da Profite vor allem über winzige Preisunterschiede bei Positionen (vor allem über Eigenhandelsgeschäfte und Market-Making) generiert werden, ist der Anreiz besonders hoch, über möglichst viele eigene Finanzprodukte zu verfügen.

Die größten EU-Banken bündeln 93 % aller Vermögenswerte europäischer Banken, darunter 93 % der Derivate. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die großen Banken vor allem Händler sind. Der Haken daran ist, dass gerade diese Banken auch die grundlegenden Funktionen einer Bank erfüllen (Zahlungsverkehr, Kreditvergabe und Einlagen). Diese Banken können also nicht zusammenbrechen, ohne alle anderen mitzureißen. Die einzige Alternative ist eine durch öffentliche Gelder finanzierte Bankenrettung.


Die Too-Big-To-Fail-Banken nähren sogenannte Schattenbanken

Erst in den vergangenen 20 Jahren haben sich einige europäische Banken zu solchen Megabanken entwickelt. Diese Entwicklung hängt direkt mit dem Wachsen von Märkten zusammen, in denen diese Banken massiv involviert sind. Während aber klassische Darlehensgeschäfte zu einem großen Teil mit den Einlagen der KundInnen finanziert werden, werden die Aktivitäten der Banken auf den Finanzmärkten vor allem durch das sogenannte Wholesale Funding, also Interbankengeschäfte, gespeist. Die Finanzierung wird durch Finanzinstitutionen wie Banken, Wertpapierfirmen, Versicherungsgesellschaften, Vermögensverwaltungsgesellschaften und Geldmarktfonds geleistet. 60 % der Geschäftsaktivitäten der großen europäischen Banken fallen auf diese Finanzierung.

Was geschieht also, wenn eine dieser großen Banken in Schwierigkeiten gerät und die Gläubiger (auch bereits einen kleinen Teil) dazu aufruft, Ausfälle aufzufangen? Verluste werden auf das gesamte System übertragen und betreffen damit andere Banken, aber auch die Akteure des sogenannten Schattenbanksystems, wie private Rentenfonds, Investmentfonds und Versicherungsgesellschaften. Da die Marktaktivitäten der Banken so stark ineinander verschränkt sind, erhöht sich die Instabilität des gesamten Finanzsystems und verlagert das Risiko auf BürgerInnen, SteuerzahlerInnen, InvestorenInnen und RentenempfängerInnen.


Finanzinstitutionen sind Meister darin, ihre Interessen zu verteidigen

Was die Vertretung ihrer Interessen im Regulierungsprozess angeht, so übertreffen Finanzinstitutionen die Zivilgesellschaft bei Weitem. Dieser Umstand ist zwar bekannt, dennoch sind die Zahlen erschreckend. In Brüssel allein arbeiten rund 1700 LobbyistInnen in der Interessensvertretung der Finanzindustrie. Dafür gibt die Finanzindustrie jährlich rund 120 Millionen Euro aus, um Einfluss auf Regulierungen im Finanzbereich in ihrem Interesse nehmen zu können.(1) Diese Summe ist das Vierzigfache dessen, was zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Gewerkschaften, Verbraucherverbände und NGOs wie Finance Watch dafür zur Verfügung steht. Aus den Reformanstrengungen nach der Krise resultierten bei Weitem nicht jene Regelungen, die das drohende Risiko einer Finanzkrise und ihrer Ausbreitung sowie die dramatischen Folgen für die Gesellschaft absenken können. Ganz zu schweigen von den Umwälzungen, die zur Rückverlagerung der Rolle des Finanzsektors als Dienstleister für Wirtschaft und Gesellschaft notwendig wären.


Das Schattenbankenwesen wird weiter gefördert

Durch die Privatisierung der Rentensysteme und der Förderung von Finanzmarktgeschäften gegenüber Bankeinlagen fließen private Vermögen weg vom traditionellen Bankengeschäft in die Finanzmärkte und tragen zum Wachstum dieser Märkte und damit verbundenen systemischen Risiken bei. Das führt zeitgleich zur Schwächung des traditionellen, beziehungsbasierten Bankensystems auf der Grundlage von Einlagen und erhöht die Risiken für private SparerInnen.

Die Kapitalmarktunion CMU (Capital Market Union) ist eine Initiative der Europäischen Kommission mit dem erklärten Ziel, Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen. Sie soll die Förderung der Kapitalmarktfinanzierung gegenüber der klassischen Bankenfinanzierung vor allem durch die Wiederbelebung sogenannter Verbriefungstechniken fördern - eine zentrale Praxis vor der Krise 2008. Die CMU ist demnach ein Instrument zur Förderung des Schattenbanksystems und des Too-Big-To-Fail-Bankenmodells, das immer noch nicht angemessen reguliert wurde.

Eine weitere Initiative ist die Agenda für bessere Rechtsetzung (Better Regulation Agenda), die der "Reduzierung bürokratischer Hürden" dienen soll. Problem dabei ist allerdings, dass zentrale Regelungen geschwächt werden und das Allgemeinwohl Unternehmensinteressen untergeordnet wird. Folgeabschätzungen, die sich auf den Regulierungskostenaufwand für die Finanzbranche konzentrieren, wird ein hoher Stellenwert beigemessen - die viel schwerer zu erfassenden Kosten einer ausbleibenden Regulierung in diesem Bereich für Wirtschaft und Wirtschaft und Gesellschaft finden keine Berücksichtigung.(2)

Auch das EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP ist ein Schritt in die falsche Richtung. Das Kapitel zur Regulierungszusammenarbeit würde es den Lobbygruppen der Finanzindustrie ermöglichen, Einfluss auf die Agenda für Regulierungen zu nehmen, bevor überhaupt eine demokratische Diskussion darüber stattfinden kann. Die CMU, die Better Regulation Agenda und TTIP haben Folgendes gemeinsam: Zulasten der Gesellschaft vergrößern sie den Einfluss einer ohnehin mächtigen Finanzlobby, die gegen das Gemeinwohl agiert. Weiterhin verstärken sie die wachsenden systemischen Risiken und verhindern damit eine effektive Umgestaltung des Finanzsystems.

Was die zivilgesellschaftliche Teilhabe bei Anliegen rund um den Finanzsektor anbelangt, so bleiben hier noch viele Fortschritte zu erzielen. Eine wachsende Zahl an Organisationen ist bereits involviert und darum bemüht, Finanzfragen in ihrer öffentlichen Arbeit zu behandeln. Trotzdem: Um zu einem Gleichgewicht zu gelangen und der Finanzlobby etwas entgegenzusetzen, um gegen ein Too-Big-To-Fail-System vorzugehen und die Menschen vor Finanzkrisen und ihren Folgen zu schützen, braucht es noch mehr laute Stimmen, die nachhaltige und aussagekräftige Alternativen verlangen.


Die Autorin ist verantwortlich für die Koordinierung der Expertise und Kampagnenarbeit mit Mitgliedsorganisationen bei Finance Watch.

Aus dem Englischen von Anna Schlüter.


Anmerkungen:

(1) Siehe den Bericht "The fire power of the Financial lobby" von Corporate Europe Observatory, 2014:
http://corporateeurope.org/financiallobby/2014/04/fire-power-financial-lobby. (in englischer Sprache).

(2) Siehe hierzu die Publikationen des zivilgesellschaftlichen Netzwerks "Better Regulation Watchdog", gegründet im Juni 2015. Interessanterweise führt die Europäische Kommission noch bis zum 7. Oktober eine öffentliche Konsultation über die Eigenkapitalrichtlinie CRD IV durch. Diese Konsultation scheint ganz im Zeichen der Better Regulation Agenda zu stehen und konzentriert sich unverhältnismäßig stark auf die möglichen Kosten einer Regulierung für die Banken und weniger auf den langfristigen Nutzen aller beteiligten Interessensgruppen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 5-6
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

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