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INTERNATIONAL/098: Wem nützt "Finanzielle Inklusion"? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Wem nützt "Finanzielle Inklusion"?
FinanzdienstleisterInnen und große Konzerne suchen neue Geschäfte im globalen Zahlungsverkehr

von Dr. Philip Mader


Nach mehr als 30 Jahren fehlt noch der Nachweis für eine armutslindernde Wirkung von Mikrofinanzen. Im Namen der Armutsbekämpfung wird aber mit "finanzieller Inklusion" das Wachstum des Armutsfinanzmarkts weiter angekurbelt und die Abschaffung von Bargeld zugunsten privater Zahlungsdienste gefördert. Entwicklungspolitisch zweifelhaft, winken für Finanzindustrie und Regierungen neue Profite, Daten, und Formen sozialer Kontrolle.


Die internationale Gemeinschaft hat sich das Ziel der 'finanziellen Inklusion' (FI) auf die Fahnen geschrieben mit einem Eifer, der an den Hype um Mikrokredite in den 2000er Jahren erinnert. Die FI ersetzt zusehends die Mikrofinanz. Laut Weltbankpräsident Jim Yong Kim soll FI ein "Schlüssel" zur Armutsbekämpfung und Wohlstandsschaffung sein. Zugang zu Finanzdienstleistungen zählt auch als Maßnahme zum Erreichen von 5 der 17 Agenda 2030-Entwicklungsziele (Armut, Hunger, Geschlechtergerechtigkeit, Wachstum und Infrastruktur).


Mikrofinanzen sind ein erfolgreiches Geschäftsmodell

Als Hilfe zur Selbsthilfe durch den Markt gedacht, sind Mikrofinanzen zur Speerspitze einer breiteren Privatisierung und Finanzialisierung des globalen Armutsproblems geworden. Die globale Mikrofinanz-Industrie hat in mehr als 30 Jahren gezeigt, dass Finanzgeschäfte mit den Armen profitabel sein können. Weltweit arbeiten heute ungefähr 3.700 Mikrofinanzinstitute mit zirka 200 Millionen KundInnen, von denen 3 von 4 Frauen sind. Das landläufige Bild von Graswurzel-BankerInnen trügt aber, denn von den etwa 100 Milliarden US-Dollar Kreditvolumen stammen 3 Viertel von großen, kommerziellen VerleiherInnen. Der durchschnittliche Zins liegt bei 35 Prozent.


... doch sozialpolitisch gescheitert

In den vergangenen Jahren häufen sich Zweifel am Nutzen von Mikrofinanzen. (1) Dazu beigetragen hat auch die tragische indische Mikrofinanzkrise im Jahr 2010, mit Dutzenden von Selbstmorden unter den überschuldeten KreditnehmerInnen. Vor allem aber ist die Forschungslage zur Wirkung von Mikrofinanzen zusehends enttäuschender. Seit 2009 liegen vermehrt Ergebnisse aus systematischen Überblickstudien und die Untersuchungen zufälliger Vergleichsgruppen (bei denen KreditnehmerInnen mit Nicht-KreditnehmerInnen systematisch verglichen werden) vor. Die meisten Studien liefern keinen Nachweis für höhere Einkommen oder höhere Nettovermögen; und dies obwohl Mikrofinanz-KundInnen in der Regel mehr Geld in Kleinunternehmen oder produktive Vermögenswerte investieren. Einige Studien kommen zwar zum Ergebnis, dass Finanzdienstleistungen helfen, unerwartete Rückschlage besser zu verkraften, können aber nicht zeigen, dass es diesen Haushalten dadurch letztlich bessergeht.

Vor allem was die einstmals stark betonte Frauenemanzipation betrifft, kommen die Studien zu sehr schwachen Ergebnissen. Eindeutig ist lediglich, dass Frauen mehr Geld sparen als Männer, und dass der Zugang zu Spar-Diensten ihnen ermöglicht, das Geld vor Familienmitgliedern und Bekannten zu "schützen". Ob das Emanzipation ist oder letztlich nur eine Feminisierung von Verantwortung, ist unklar.


"Finanzielle Inklusion" statt Mikrofinanzen: same same, but different

Die Ergebnisse, die in der Summe gemischte, aber vor allem gemessen an den großen Versprechungen enttäuschend sind, haben trotz allem keinen Sinneswandel ausgelöst. Im Gegenteil: Mit FI wird das Versprechen der Mikrofinanzen, Armutslinderung durch Finanzwerkzeuge zu schaffen, neu aufgelegt und bestärkt. Es geht noch immer um Kredite, aber auch um digitalen Zahlungsverkehr.

Rhetorisch werden alte, für die Mikrofinanz nicht mehr haltbare, Versprechen neu belebt. So argumentiert die Weltbank-nahe Organisation CGAP (die eine Deutungshoheit im "inklusiven Finanzsektor" beansprucht) auf ihrer Frage-und-Antworten-Seite: Die Evidenz beweise, dass "angemessene" Finanzdienstleistungen Einzelpersonen und Haushalten "helfen können", ihre "wirtschaftliche Lage" zu verbessern. Außerdem seien sich politische EntscheiderInnen einig, dass ein Finanzmarkt, der alle erreicht, die Verfolgung von sozialund entwicklungspolitischen Zielen "effektiver" möglich macht.(2) Diese Formulierungen blenden die Frage nach messbarer Armutslinderung aus, suggerieren aber, dass Finanzen mehr denn je eine klare Schlüsselrolle in der Armutsbekämpfung hätten.

Praktisch gibt das neue Label 'FI' Mikrofinanzinstituten zwar neue Rückendeckung, läutet aber auch einen Wandel im Armutsfinanzmarkt ein, der immer weiter geöffnet wird. Es geht nicht mehr nur um Mikrofinanzen, sondern darum, möglichst alle Armen mit allen Finanzprodukten zu erreichen - im Fachjargon die "volle" oder "totale finanzielle Inklusion". Dabei sind prinzipiell alle zweckdienlichen AkteurInnen erwünscht, vom staatlichen Kreditprogramm bis hin zu kommerziellen Banken, "Payday"-Pfandleihern und globalen FinanzdienstleisterInnen; Hauptsache sie verkaufen Finanzdienste an einkommensschwache Schichten.


Undurchsichtige digitale Allianzen

Der Schlüssel, der alle Armen endlich "bankable" (bankierbar) machen soll, sind digitale Systeme, allen voran "mobile monies" (das Handy als Geldbörse). Das bekannteste solche Modell ist der kenianische Bezahldienst M-PESA, 2007 von Vodafone gegründet, und aus dem britischen Entwicklungsetat anschubfinanziert. Solche Dienste gibt es inzwischen mehr als Länder auf der Welt, doch nur die Wenigsten setzen sich durch; deshalb üben Konzerne zunehmend Druck auf Regierungen aus, ihnen dieses Geschäftsfeld zu erschließen.

Unter dem Dach einer G20-Initiative wurde die Allianz für Finanzielle Inklusion (AFI), ein Dialogforum für politische EntscheiderInnen und Behörden aus 90 Ländern, geschaffen. Mit Geldern von der Bill und Melinda Gates-Stiftung gegründet und 2011 mit einer G20-Erklärung zur strategischen Wichtigkeit der FI gestärkt, hat die AFI inzwischen auch Mastercard, Visa and Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) und weitere Unternehmen aufgenommen. 2012 wurde zudem die Better than Cash Alliance (BTCA) gegründet, als Lobbygruppe, um staatliche Zahlungen an BürgerInnen zu digitalisieren, damit die Inklusion der "unbanked" ("Nichtbankierten") angetrieben wird. Dem UN-System angegliedert, präsentiert sich die BTCA als "globale öffentlich-private Partnerschaft" aus Stiftungen, Finanzdienstleistern und Entwicklungsorganisationen.

Sowohl AFI als auch BTCA werden von der Gates-Stiftung und vom Omidyar-Netzwerk (ON) finanziert; ON ist nach ihrem Schöpfer Pierre Omidyar, dem eBay- und Paypal-Gründer, benannt und versteht sich als "philanthropische Investmentfirma". Die Forscherinnen Daniela Gabor und Sally Brooks charakterisieren das gesamte Amalgam aus Grotal und Regierungen als schwer durchschaubaren aber wirkungsvollen "Komplex" aus Finanzmarkt- Spender- und Entwicklungsinteressen. (3)


Eine regressive Entwicklungsgenda

3 Elemente einer regressiven (statt armutslindernden) Entwicklungsagenda zeichnen sich ab. Erstens ist eindeutig regressiv, dass die Armen stets höhere Gebühren für bargeldlose Transfers zahlen. Zudem tragen aber auch in der Regel Regierungen oder "gemeinnützige" Stiftungen meist die Kosten für den Aufbau bargeldloser Systeme, wohingegen FinanzdienstleisterInnen jährlich bis zu 35 Milliarden Dollar an Transaktionsgebühren erwarten können, wenn der Zahlungsverkehr im Globalen Süden digitalisiert wird (wie ein Bericht für Visa 2016 schätzte); für sie winkt eine regelrechte Monopolstellung im Alltag der Marktwirtschaft. Zweitens generieren Millionen alltägliche Transaktionen geldwerte Daten. In Ländern mit schwachem Datenschutz sind sie eine Goldgrube, sowohl zum Verkauf, als auch um KundInnen genauer zu analysieren und differenzierender zu bepreisen. Drittens sollen digitale Zahlungssysteme durch hohe Transparenz den Durchbruch bei der Korruptionsbekämpfung bringen. Das hängt aber vom politischen Willen ab und dürfte in der Praxis eher kleine Schmiergelder als systemische Korruption angehen. Staaten könnten auch den informellen Sektor illegalisieren oder besteuern, und zudem die EmpfängerInnen von Sozialtransfers genauer überwachen wollen. Der Handelsblatt-Journalist Norbert Häring warnt sogar vor dem "Weg in die totale Kontrolle".

Bemerkenswert ist, wie unhinterfragt sich diese Agenda seit der Weltfinanzkrise durchgesetzt hat: Als Entwicklungshilfe garniert werden unverhüllt neue Marktchancen für die mächtigsten AkteurInnen der Finanzindustrie gesucht.

Natürlich sollten inklusive, digitale Finanzdienstleistungen nicht gestoppt werden; sie müssen aber sorgfältig reguliert und in sinnvolle Bahnen gelenkt werden, um neue Monopole und Überwachungsformen zu verhindern, Überschuldung zu vermeiden und einen möglichst großen Nutzen für alle zu erreichen. Staatliche Entwicklungstöpfe dem regressiven "Kreuzzug gegen das Bargeld" zuzuführen, wäre ein Missbrauch.(4)


Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Master-Studiengangsleiter am Institute of Development Studies in Brighton, Großbritannien. Für seine Doktorarbeit zu Mikrofinanzen wurden ihm die Otto-Hahn-Medaille und der Deutsche Studienpreis verliehen.


Anmerkungen:

(1) Siehe Beiträge im Band: Gerhard Klas/ Philip Mader (Hg., 2014): Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik. Frankfurt am Main.

(2) What is the Impact of Financial Inclusion Efforts?
http://www.cgap.org/about/faq.

(3) Sally Brooks/Daniela Gabor (2017): The digital revolution in financial inclusion: international development in the fintech era. New Political Economy, 22/4.

(4) Philip Mader (2016): Card Crusaders, Cash Infidels and the Holy Grails of Digital Financial Inclusion. BEHEMOTH, A Journal on Civilisation, 9/2.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 27-28
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2017

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