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FRIEDEN/0980: Der größere Nutzen der "sinnvollen Gewalt" Israels (SB)



Die angeblich intensiven Bemühungen internationaler Akteure um eine Beendigung des Krieges in Nahost stehen in harschem Kontrast zur Wirkungslosigkeit dieser Initiativen. Ob UN-Sicherheitsrat oder EU-Troika, ob Arabische Liga oder US-Regierung, alle wollen den Frieden, nur will man nicht wirklich etwas dafür tun. Daß Israel dieses große Aufgebot hochrangiger Friedensbefürworter einfach im Regen stehen lassen kann, ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen, wirkt wie ein unbegreifbarer Widerspruch, der mit jedem Tag, an dem das Massaker an der Bevölkerung des Gazastreifens blutigere Resultate zeitigt, absurder erscheint.

Bei diesem vordergründigen Eindruck wird nicht in Betracht gezogen, daß die Kriegführung Israels über das vorgebliche Ziel einer Ausschaltung palästinensischer Raketenangriffe, das ebenfalls bekundete Ziel des Sturzes der Hamas und das plausible Ziel einer Erhöhung des Gewaltdrucks auf die Bewohner des Gazastreifen mit dem schlußendlichen Effekt ihrer Vertreibung hinaus von produktivem Nutzen für diejenigen Regierungen ist, die Israels gewähren lassen. Die häufig gezogene Parallele zum Zweiten Libanonkrieg, sprich der flächendeckenden willkürlichen Bombardierung des kleinen Nachbarn Israels, erinnert daran, daß die vermeintlichen Friedensstifter durchaus gewillt sind, einen weiten Weg von der bekundeten Absicht bis zu ihrem praktischen Resultat zu gehen, wenn währenddessen bestimmte Ziele erreicht werden können.

Der Zerstörung des Libanon hat die Welt tatenlos zugesehen und im Anschluß eine UN-Resolution verfaßt, die den Aggressor unbeschadet läßt, während sie die libanesische Hisbollah trotz ihrer im Land weithin anerkannten Rolle als Miliz zur Landesverteidigung ins Unrecht setzt. Die Geschichte wiederholt sich im Falle des Gazastreifens, der unter zahlreichen Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht mit Krieg überzogen wird, weil die Hamas sich der einseitigen Aggression gegen Israel schuldig gemacht haben und darüber hinaus eine terroristische Organisation - und nicht etwa eine demokratisch gewählte Regierung - sein soll. Die offenkundige Einseitigkeit dieser Lesart wird im Angesicht der großen Leiden der palästinensischen Bevölkerung ein ums andere Mal kolportiert, als habe man direkt bei Joseph Goebbels nachgelesen, dessen Erfolgsrezept bekanntlich darin bestand, gerade bei durchsichtigen Lügen niemals einen Fußbreit preiszugeben, sondern an ihnen unbeirrt festzuhalten.

Die Durchsetzbarkeit propagandistischer Mittel und die Erprobung medientechnischer Diskurssteuerung ist ein Nutzeffekt dieses Krieges, der nicht geringzuschätzen ist. Zwar erfährt man einiges über die Leiden der Palästinenser, da es sich angesichts der Berichterstattung arabischer Medien und der Verfügbarkeit alternativer Nachrichtenquellen im Internet ohnehin nicht vermeiden läßt, doch stets im Kontext einer Abwägung und Beschwichtigung, mit der die Menschen daran gewöhnt werden, daß das Abverlangen eines großen Blutzolls konkreten politischen Zielen dient. So fällt in den Mainstreammedien bezeichnenderweise nie das Wort von der "sinnlosen Gewalt" der israelischen Kriegsmaschine. Dieses ist allen Formen der Gewaltanwendung vorbehalten, deren Urhebern man jegliches, sei es legitim oder illegitim, rationale Motiv abspricht. Was unter dem Titel des "Terrorismus", den die israelische Führung niemals vergißt, auf die Hamas anzuwenden, subsumiert wird, gilt als irrational und entzieht seinen Urhebern letztlich, wie im Terrorkrieg der USA mit der Schaffung der Ausschlußkategorie des "illegalen feindlichen Kombattanten" exemplifiziert, den Anspruch darauf, zur menschlichen Spezies zu gehören. Folgerichtig handelt es sich bei dem, was den Palästinensern angetan wird, um "sinnvolle Gewalt".

Die immer wieder aufkommende Bewertung der israelischen Kriegführung als absehbar erfolglose, da die gegen Israel gerichtete Stimmung in der arabischen Welt nur noch anheizende Strategie ist das affirmative Kondensat einer Medienstrategie, die Kritik simuliert, um jeden Begriff von wirksamer Kritik zu zerstören. Anstatt sich für die Schwächeren stark zu machen, wird die Ratio der Kriegführung in Frage gestellt und damit unterstellt. Die in diesem Zusammenhang erwogene Möglichkeit, es könne der israelischen Regierung darum gehen, die im Zweiten Libanonkrieg beschädigte Abschreckungsfähigkeit ihrer Streitkräfte wiederherzustellen, heißt fast zu treffen und deshalb besonders weit danebenzuschießen, sprich durch naheliegende Erwägungen die Distanz zum Kern des Problems unüberbrückbar zu machen.

Im Gazastreifen widmen sich die israelischen Streitkräfte der militärischen Aufstandsbekämpfung, die sie und die israelischen Geheimdienste zu von aller Welt konsultierten Experten für Counterinsurgency gemacht haben. Indem sie Waffen, die für den Krieg zwischen hochgerüsteten Armeen konstruiert wurden, gegen fast wehrlose Menschen richtet, die, in einem kleinen Gebiet eingeschlossen, ihrer zerstörerischen Wirkung nicht ausweichen können, setzen sie neue Maßstäbe akzeptabler Gewaltanwendung. Alles Lamentieren über die "Unverhältnismäßigkeit" der von den israelischen Streitkräften eingesetzten Mittel dient dem Zweck, die Verhältnismäßigkeit "sinnvoller Gewalt" zu bestimmen und die Rechtmäßigkeit zivilisatorischer Kriegführung am Postulat verwerflicher terroristischer Barbarei aufzurichten. Solange das Grundverhältnis zwischen Palästinensern und Israelis nicht unter Einbeziehung aller Faktoren der Besatzungspolitik, des Landraubs, der Entrechtung, der Aushungerung, der Freiheitsberaubung und so weiter auf den Punkt seiner von Israel ausgehenden Aggression gebracht wird, spielt die Forderung nach der Verhältnismäßigkeit des Waffeneinsatzes seiner prinzipiellen Akzeptabilität und der Ausweitung der Norm "sinnvoller Gewalt" in die Hände.

Und dafür gibt es Gründe, die angeblich unbeteiligte Regierungen in der EU und den USA allemal interessieren. Der Krieg gegen Bevölkerungen, die innerhalb der Grenzen eines Staates oder Protektorates Mangelregulativen bis an den Tod ausgesetzt werden, um im Extremfall des Gazastreifens wie in einem Großlager auf Gedeih und Verderb von äußeren Kräften abhängig zu sein, hat sich als zentrales ordnungspolitisches Mittel imperialistischer Staaten erwiesen. Dieses Instrument je nach Anforderung zu verfeinern oder zu vergröbern und mit neuen Techniken zu konfigurieren ist ein Ziel, das in vielen strategischen Konzepten und Entwürfen zur urbanen Kriegführung und Aufstandsbekämpfung, zur zivil-militärischen Zusammenarbeit und zur Terrorismusbekämpfung wiederzufinden ist.

In einer von immer tieferen sozialen Gräben durchzogenen Welt, die auf erhebliche Ressourcenkrisen zusteuert und in der mit umfassenden Armuts- und Hungeraufständen zu rechnen ist, stellt die Beherrschbarkeit von Bevölkerungen eine elementare gouvernementale Aufgabe dar. Die Kriege in Jugoslawien und Irak, in Afghanistan und Palästina sind auch als Experimentierfelder und Labors für eine Zukunft, in der die massenhafte Verelendung vor den bislang reichen Metropolengesellschaften nicht halt machen wird, zu verstehen. Indem Israel das Vorrecht zuerkannt wird, mit einer nach Maßstäben, die im Falle anderer Staaten den Ruf nach militärischer Intervention laut werden ließen, extremen Grausamkeit gegen die Palästinenser vorzugehen, wird auch das eigene Schwert für den sozialen Weltkrieg geschärft. In der großen Gleichgültigkeit, mit der der vor aller Augen ausgeführten Zerstörung eines Volks zugesehen wird, steckt bereits der Keim des Wissens darum, daß einer solchen Kriegführung nicht umsonst von allen großen politischen Akteuren ohne ernstzunehmende Einwände stattgegeben wird.

6. Januar 2009