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FRIEDEN/1005: Ahmadinejad in Genf ... Eklat bestellt und ausgeliefert (SB)



Besser hätte es für die Boykotteure der Genfer Antirassismuskonferenz nicht kommen können. Indem der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad tat, was von ihm erwartet wurde, lieferte er die Rechtfertigung für das Fernbleiben der USA, Australiens, Kanadas und diverser Mitgliedstaaten der EU aus, als ob sie bestellt gewesen wäre. Der Eklat war perfekt dazu geeignet, die Definitionsmacht zum Thema des Rassismus dort zu belassen, wo sie nach Ansicht der Regierungen der westlichen Welt hingehört. Durch das Vermächtnis einer Jahrhunderte währenden Politik der Eroberung mit den Reaktionen der vereinnahmten Kolonialsubjekte bestens vertraut konnte die Regie der Skandalisierung das beabsichtigte Ergebnis erzielen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat alle Neutralität aufgegeben und die Empörung der Boykotteure zu seiner eigenen gemacht, wohl wissend, daß die Zukunft der Weltorganisation von jener internationalen Gemeinschaft abhängt, die zwar nur ein Sechstel der Weltbevölkerung repräsentiert, ihre Interessen jedoch mit der ganzen Macht finanzieller und militärischer Schlagkraft durchsetzt.

Daß dieses Gewaltverhältnis seit jeher Anlaß zum Aufbegehren eines großen Teils der Weltbevölkerung ist, sollte eigentlich Gegenstand der Debatten und Verhandlungen auf der Antirassismuskonferenz sein. Indem der iranische Präsident seinen Vorwurf, beim UN-Sicherheitsrat handle es sich um einen Klub privilegierter Staaten, die im eigenen Interesse über das Schicksal anderer Nationen befänden, unter anderem daran festmachte, daß das Gremium traditionell zur Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik neigt, hat er sich ein besonders eklatantes Beispiel für die Konsequenzen dieser Machtkonzentration in den Händen der fünf Vetomächte vorgenommen.

Zweifellos kann man Ahmadinejad schlechte Noten hinsichtlich seines Stils geben und verlangen, anstelle der offenen und übertriebenen Verurteilung Israels "als grausamstes, repressives rassistisches Regime" mit versöhnlicheren Tönen zum Gelingen der Konferenz beizutragen. Ihn in die Schranken zu weisen wäre Sache der Redner, die nach ihm auftreten. Ihnen bliebe überlassen, mit stichhaltigen Argumenten und überzeugenden Belegen ihre Sicht der Dinge darzustellen. Das wäre in jedem Fall möglich, ob sie nun während der Rede Ahmadinejads unter Protest den Saal verlassen hätten oder sitzengeblieben wären.

Dazu soll es zumindest im Fall der USA, Israels, der Bundesrepublik und Italiens sowie weiterer EU-Staaten nicht kommen. Dort scheut man das Problem, dem keinesfalls nur auf Israel beschränkten Affront des iranischen Präsidenten auf gleicher Ebene entgegenzutreten. Es fällt allerdings nicht ganz leicht, seine Kritik an der Kriegführung der USA, der durch sie erzeugten Verluste und Probleme sowie der nichtvorhandenen Mandatierung der Eroberung Afghanistans und des Iraks durch die anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf eine Weise zu rechtfertigen, bei der nicht die Chance bestände, daß der iranische Präsident Punkte machte. Auch seine Kritik am Weltwirtschaftssystem und der paternalistischen Rolle, die die Industriestaaten darin einnehmen, hätte einer kaum zu leistenden Widerlegung bedurft, die nun entfallen kann.

Statt dessen begnügt man sich damit, den iranischen Präsidenten anhand der Verteidigung der israelischen Regierungspolitik und der zionistischen Doktrin als haßerfüllten Charakter bloßzustellen. Damit wird man zwar dem vorherrschenden Meinungstenor in der westlichen Welt gerecht, bleibt jedoch den Opfern von kolonialistischer Ausbeutung und imperialistischer Kriegführung die Rechtfertigung der eigenen Politik schuldig. Der Vorwurf des UN-Generalsekretärs, Ahmadinejad habe die Welt mit seiner Rede gespalten, trifft nur insofern zu, als daß er eine bereits vorhandene Spaltung zum Erheben einer sehr parteilichen Anklage benutzt hat. Dem entsprechen die damit angegriffenen Regierungen, indem sie nicht nur die Attacke gegen die israelische Regierung zurückweisen, sondern den gesamten Inhalt der Rede brüsk verwerfen.

Wahre Größe hätten die faktisch die Macht im UN-Sicherheitsrat okkupierenden Vetomächte sowie deren Verbündete bewiesen, wenn sie den iranischen Präsidenten zur Mäßigung aufgerufen hätten, um dann inhaltlich auf seine Vorwürfe einzugehen, sie zu widerlegen oder zum Anlaß weiterführender Überlegungen zu nehmen. Dabei hätte auch die Möglichkeit bestanden, auf menschenfeindliche Praktiken einzugehen, mit denen in der Islamischen Republik Herrschaftsicherung betrieben wird.

Daß die USA und EU nicht zu einem solchen Entgegenkommen bereit sind, deckt sich mit der Politik, die sie in den vergangenen Jahren gegenüber dem Iran betrieben haben. Der sogenannte Atomstreit ist ein Paradebeispiel für geostrategisch motivierte Machtpolitik, soll dem Iran doch untersagt werden, was ihm vertraglich zusteht und was in den Staaten, die an der Nutzung der Urananreicherung Anstoß nehmen, selbst praktiziert wird. Die notwendige Kritik an den repressiven Praktiken der Regierung in Teheran krankt nicht minder daran, daß die Folterpraktiken der CIA, die britischen Antiterrorgesetze oder die Terrorliste der EU, um nur einige Beispiele zu nennen, kaum als Vorbild für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelten können. Schließlich verhilft die Unterstützung folternder Regimes durch die Kritiker Ahmadinejads nicht zu jener moralischen Glaubwürdigkeit, mit der im Brustton der Empörung zur Isolation des Irans aufgerufen wird.

Der iranische Präsident hat zweifellos polarisiert und gegen die diplomatische Etikette verstoßen. Sein Land hat allerdings im Unterschied zu vielen Staaten, deren Regierungen und Medien ihn nun erst recht zur Ausgeburt des Bösen erklären, seit Hunderten von Jahren keinen Angriffskrieg gegen seine Nachbarn geführt, es war viel mehr selbst Spielball imperialistischer Interessen. Ahmadinejad hat keinen Konflikt vom Zaun gebrochen, sondern ein Gewaltverhältnis auf provokante Weise angesprochen, das die davon profitierenden Mächte notorisch beschönigen und verharmlosen. Was in Genf auf rhetorische und symbolische Weise ausgetragen wird, sollte auch auf dieser Ebene weiterentwickelt werden. Wer sich dem rundheraus verweigert, der hat offensichtlich Interesse daran, die konstitutiven Widerspruchslagen einseitig zu realisieren, um auf andere Weise als mit bloßen Worten zu Ergebnissen zu gelangen.

21. April 2009