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FRIEDEN/1016: Verhandlungsofferte der Hamas wird ignoriert (SB)



Anläßlich der ersten Fatah-Generalkonferenz seit 20 Jahren hat der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk (05.08.2009) erklärt, daß diese Palästinenserpartei der einzige Partner Israels für einen Frieden in Nahost sei. Ansonsten gebe es nur "extremistische Gruppierungen und es gibt die Hamas-Bewegung und wir wissen, was die bedeutet und was die vorhat". Geht man einmal davon aus, daß Primor das ernsthafte Anliegen verfolgt, eine Friedenslösung zu unterstützen, die den Ansprüchen der Palästinenser gerecht wird, dann ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Regierungspartei Hamas als nicht in Frage kommender Verhandlungspartner ausgegrenzt wird, nur dadurch zu erklären, daß der unterstellte Konsens über den verwerflichen Charakter ihrer Politik nicht auf Wissen, sondern auf Ignoranz beruht.

Die von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas geleitete Fatah hat sich dem von Primor ausgesprochenen Primat der Entscheidungsgewalt Washingtons, von der die Fatah ebenso wie Israel "vollkommen abhängig" seien, zwar weitreichend gebeugt, dafür aber so gut wie kein Entgegenkommen seitens Israels erfahren. Die dadurch erodierte Zustimmung der palästinensischen Bevölkerung zur Politik ihres Präsidenten und der von ihm eingesetzten Regierung wird durch die Aufrüstung seiner repressiven Mittel kompensiert, was seine Glaubwürdigkeit unter diesen weiter schwächt. So tun sich die unter Aufsicht des US-Generals Keith Dayton ausgebildeten und eingesetzten palästinensischen Sicherheitkräfte nicht nur darin hervor, Mitglieder der Hamas im Westjordanland zu drangsalieren und zu töten, sondern sie werden auch gegen bewaffnete Kräfte der Fatah eingesetzt, die nicht im Sinne der zwischen Abbas, Dayton und der israelischen Regierung getroffenen Vereinbarungen handeln.

Während die opportunistische Linie Abbas' gegenüber Israel zu Zerwürfnissen innerhalb der Fatah führt, hat der politische Führer der Hamas, Khaled Meshal, schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit signalisiert, daß mit seiner Organisation durchaus zu reden wäre. Laut einem von Ali Abunimah verfaßten Bericht des US-Magazins Counterpunch (14. Juli 2009) erklärte er in einer Rede am 25. Juni, die als Reaktion der Hamas auf die Kairoer Rede des US-Präsidenten Barack Obama ausgewiesen war, daß die Palästinenser bereit wären, die auf dessen Worte hoffentlich folgenden Taten durch ihr Entgegenkommen zu quittieren.

Meshal erhob die Forderung, die Blockade Gazas wie die israelischen Sperrmaßnahmen im Westjordanland aufzuheben, um die innere Einigung der Palästinenser frei von äußerem Druck zu ermöglichen, und profilierte sich damit als Sachwalter der Interessen aller Palästinenser. Nur "der Wille und die Bemühung, die Besatzung zu beenden und die Unterdrückung unseres Volkes aufzuheben, um ihm die Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung und die Erfüllung seiner nationalen Rechte zu ermöglichen", könne die Palästinenser, Araber und Muslime von der Ernsthaftigkeit des amerikanischen und internationalen Anliegens überzeugen. Demgegenüber verwahrte sich Meshal gegen die Gründung eines palästinensischer Staates, den die israelische Führung als "deformierte Entität, als großes Gefängnis" plane. Der Hamas-Chef verwarf auch die Forderung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Israel als "jüdischen Staat" anzuerkennen, weil dieser Schritt das Rückkehrrecht der palästinensischer Flüchtlinge negiere.

Als Minimalforderung der Palästinenser definierte Meshal die "Gründung eines palästinensischen Staates mit Hauptstadt Jerusalem und vollständiger Souveränität innerhalb der Grenzen des 4. Juni 1967 nach dem Rückzug der Besatzungstruppen und dem Abbau aller Siedlungen und der Verwirklichung des Rückkehrrechts". Um dieses Ziel zu erreichen, bekräftigte der Hamas-Chef "unser Festhalten am Widerstand als strategische Option, um das Heimatland zu befreien und unsere Rechte wiederherzustellen". Unter Verweis auf den Widerstand europäischer Bevölkerungen gegen die Besetzung ihrer Länder durch Nazideutschland, des Widerstands der in Nordamerika lebenden Siedler gegen die britische Herrschaft und der antikolonialistischen Kämpfe der Vietnamesen und Südafrikaner erklärte Meshal, daß gewaltfreier Widerstand zwar zum Kampf um Bürgerrechte tauge, daß aber eine mit Waffengewalt durchgesetzte Okkupation auch den dagegen gerichteten bewaffneten Widerstand legitimiere. Dieser Widerstand sei "Mittel und nicht Zweck", so Meshal, der zu mehr palästinensischer, arabischer und internationaler Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser gegen die Abschließung Gazas, gegen die Apartheidsmauer und Siedlungen wie gegen die Zerstörung palästinensischer Häuser in Jerusalem aufrief. Im übrigen forderte der Hamas-Chef Obama dazu auf, General Dayton aus dem Westjordanland abzuziehen, um den Prozeß der inneren Einigung nicht weiter zu behindern.

Wenige Wochen darauf erklärte Meshal in einem Interview mit dem Wall Street Journal (01.08.2009), daß seine Organisation bereit wäre, in Zusammenarbeit mit den USA eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts zu erreichen. Er wiederholte die am 25. Juni dargelegten Positionen, unter denen dies erfolgen solle, und signalisierte insgesamt die weitgehende Bereitschaft, in Verhandlungen einzutreten. Das bedeutet im Klartext, daß die von ihm zu Minimalpositionen erklärten Forderungen nicht so unverhandelbar sein könnten wie unterstellt.

Auf diese Offerte hatte die US-Regierung nichts anderes zu entgegnen, als daß sie erst dann direkte Gespräche mit der Hamas führte, wenn sie zuvor dem Terrorismus abschwöre und Israel anerkenne. Ersteres entspricht dem Versuch, die Palästinenser des einzigen Gewichts, daß sie in ihrer Ohnmacht überhaupt in Verhandlungen einzubringen haben, vor Beginn derselben zu nehmen. Letzteres stellt eine nicht minder schwerwiegende Vorleistung dar, wird dieser Anspruch doch nicht dadurch erfüllbar gemacht, daß er reziprok erhoben würde. Indem den Palästinensern abverlangt wird, ein Ergebnis möglicher Verhandlungen, das ihnen selbst vorenthalten wird, gegenüber Israel im Vorweg zu leisten, sollen sie ebenfalls in eine benachteiligte Position manövriert werden.

Der Sprecher Netanjahus verwarf Meshals Aussagen rundheraus als "kosmetisches Spiel mit der Sprache, um den Eindruck zu erwecken, es gäbe eine mögliche Änderung seiner Politik". Tatsächlich jedoch bleibe Meshal "in einer extremistischen Theologie verwurzelt, die Frieden und Versöhnung fundamental entgegensteht". Abgesehen davon, daß dieses Urteil ohne Abstriche auf die Aussagen Netanjahus anzuwenden wäre, zeigen diese Reaktionen, daß weder in Washington noch in Tel Aviv die Bereitschaft besteht, sich auf einen ergebnisoffenen Friedensprozeß einzulassen. Wenn man die Bedingungen einer Einigung nicht weitgehend diktieren, sprich den Palästinensern eine staatliche Existenz ohne vollständige Souveränität und ohne territoriale Integrität aufoktroyieren kann, unterstellt man schlicht, die Palästinenser verweigerten sich. So erweisen sich Obamas Worte als zweckdienliche Friedensrhetorik, mit der er sich gegenüber anderen arabischen Regierungen freihalten kann, ohne zu liefern.

Was immer zwischen Palästinensern und Israelis abgemacht wird, soll den politischen und geostrategischen Leitlinien Washingtons entsprechen. Aus diesem Grund kann die Hamas auch für liberale israelische Diplomaten wie Primor kein Verhandlungspartner sein. Man will unter allen Umständen vermeiden, daß die materielle Schwäche der Palästinenser in diplomatische Stärke verwandelt wird, so daß am Ende eines Verhandlungsprozesses auf Augenhöhe tatsächlich eine palästinensische Eigenstaatlichkeit stände, die Israel einen neuen und zumindest staats- und völkerrechtlich gleichwertigen Nachbarn bescherte.

5. August 2009