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FRIEDEN/1041: Kirche gegen Krieg? Bischöfin Käßmann zur herrschenden Ordnung gerufen (SB)



Die der Ratsvorsitzenden der EKD, Bischöfin Margot Käßmann, ob ihrer Kritik am Afghanistankrieg entgegenschwappende Empörung belegt, daß die Eliten in Staat und Gesellschaft von den Amtskirchen nach wie vor erwarten, Kanonen zu segnen und nicht zu demontieren. Zwar kommen christlich legitimierter Militarismus und Imperialismus heute zeitgemäß larviert daher und bedienen sich der üblichen humanitären und stabilitätsfördernden Bemäntelung der "Missionen" der Bundeswehr. Auch wenn das in kirchlichen Basisgruppen durchaus anders gesehen wird, tun sich ihre Oberen gerne mit sorgsam abgewogenen, das Gebot des Friedens mit dem kleineren Übel seiner militärischen Erzwingung scheinbar hochhaltenden Verlautbarungen hervor, die im Endeffekt auf die Gutheißung kriegerischer Mittel der Politik hinauslaufen.

Bischöfin Käßmann hatte zu Weihnachten erklärt: "Auch nach den weitesten Maßstäben der Evangelischen Kirche in Deutschland ist dieser Krieg so nicht zu rechtfertigen, deshalb muss die gewalttätige Auseinandersetzung möglichst rasch beendet werden", um zu Neujahr noch einmal nachzulegen: "Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan" (Welt Online, 03.01.2009).

Damit ist sie über die inzwischen auch unter den Meinungsführern in Staat und Gesellschaft geführte Debatte über einen absehbaren Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan deutlich hinausgegangen. Mit der Autorität einer hochrangigen Sachwalterin ethischer Werte hat sie den Krieg der NATO am Hindukusch und die Beteiligung der Bundesrepublik daran im Klartext zu einem widerrechtlichen Gewaltakt erklärt. Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose identifiziert ihre Stellungnahme denn auch zielsicher mit der "Position der Linkspartei" und lastet ihr an, sich damit "in Gegensatz zur Mehrheit des Bundestages gesetzt" (Welt Online, 03.01.2010) zu haben. Inwiefern die EKD an diese gebunden sein sollte, erklärte Klose nicht, deutlich wird jedoch seine Forderung, daß die vom Staat protegierten Amtskirchen sich gefälligst der Staatsräson zu unterwerfen haben.

Daß die Mehrheit der Bundesbürger gegen diesen Krieg eingestellt ist, sollte der mindeste Anlaß für die Repräsentanten Christi auf Erden sein, ihre Stimme gegen eine menschenfeindliche Politik zu erheben. Wenn Klose die Herde der Gläubigen mit der Behauptung, daß ein Scheitern des Afghanistankriegs "mit Sicherheit zu einer neuen Welle terroristischer Anschläge" führte, in die Defensive treibt, dann gilt es erst recht, einer solchen Angstmache etwa mit der Forderung, die für die militärische Besetzung des Landes ausgegebenen Milliarden doch zur Besserung der elenden Lebensverhältnisse des Gros der Menschen dort einzusetzen, Paroli zu bieten. Die von dem SPD-Politiker propagierte Logik, Gewalt mit größerer Gewalt zu überwinden, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß genau diese Vorgehensweise terroristische Gewalt schürt, ist schließlich die Antithese zu jedem christlichen Bekenntnis.

Die vom außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, erhobene Bezichtigung, Käßmann verhindere mit ihrer "radikalpazifistischen Position" die Durchsetzung von Menschenrechten in Afghanistan und nehme den afghanischen Frauen den Schutz der NATO, ist angesichts der Tatsache, daß die in Afghanistan seit Anwesenheit westlicher Besatzungstruppen verhungerten, verletzten und umgebrachten Frauen und Kinder auf das Konto einer Kriegführung gehen, die die Rolle der Frauen bei der Überlebenssicherung ihrer Familien nicht im mindesten würdigt, nicht weniger infam. Daß sich "die Bischöfin auf eine Stufe mit Oskar Lafontaine stellt, erschreckt mich sehr" (Welt Online, 03.01.2010), barmt dieses Mitglied einer christlichen Partei, dem man nur zahlreiche Schocks dieser Art wünschen kann, um festzustellen, daß Politiker wie Lafontaine im Zweifelsfall die besseren Christen sind. Unvergessen bleibt schließlich, daß der Karrierepolitiker Mißfelder einmal gefordert hat, armen und alten Menschen aus Kostengründen medizinische Leistungen vorzuenthalten, die ihre Lebensqualität verbessern. Diesem Herold sozialdarwinistischer Auslese abzunehmen, daß er irgendein Interesse am Schicksal afghanischer Frauen hätte, das nicht seiner ganz persönlichen Vorteilsnahme geschuldet ist, gelingt wahrscheinlich nur den rhetorischen Scharfschützen jener Blätter, die in der Bischöfin eine neue Feindin gefunden zu scheinen haben.

Margot Käßmann hat mit ihrer Stellungnahme das einzige getan, was einer herrschaftsichernden Institution wie der EKD ein wenig von der Glaubwürdigkeit jener urchristlichen Gemeinschaften zurückgeben könnte, denen tätige Solidarität mit unterdrückten Menschen in Opposition zu den weltlichen Mächten, die sie verfolgten, selbstverständlich war. In Zeiten verschärfter gesellschaftlicher Polarisierung werden die Amtskirchen zusehends damit konfrontiert, entweder die Kraft ihrer Glaubensideale durch tätiges Eintreten für die Armen und Schwachen unter Beweis zu stellen oder sich als Legitimationsproduzenten in den Dienst von ökonomischer Ausbeutung und antidemokratischer Unterdrückung zu stellen. Es wäre an der Zeit, nicht immer nur die dissidente Rolle der Kirchen in der DDR zu glorifizieren, sondern das Verhältnis zwischen Christentum und Staatsmacht im kapitalistischen Weltsystem anhand der Maßgabe neutestamentarischer Gebote einer kritischen Bewertung zu unterziehen.

3. Januar 2010