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FRIEDEN/1063: "Antiisraelische" EU-Parlamentarier wollten Gaza besuchen (SB)



Bitter beklagte sich der Vorsitzende im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments, Gabriele Albertini, über die angeblich "antiisraelische" Einstellung einer Mehrheit der EU-Parlamentarier, die diese Woche den Gazastreifen besuchen wollten. Unter den 25 Mitgliedern der Delegation befänden sich weniger als "die Finger einer Hand, die man als proisraelisch oder auch nur neutral" bezeichnen könnte, so Albertini in einer E-Mail vom 13. Mai [1]. Es sehe so aus, daß "anstelle einer Friedensmission eine antiisraelische Propagandamission vorbereitet" werde, behauptete das Mitglied der italienischen Regierungspartei Forza Italia und trat zusammen mit zwei weiteren Abgeordneten von der Reise zurück.

Diesem Schritt vorausgegangen war die Entscheidung der israelischen Regierung, den EU-Parlamentariern keinen Zugang nach Gaza zu erlauben und geplante Treffen mit palästinensischen Diplomaten sowie NGOs in Ostjerusalem zu untersagen. Daraufhin hatten die Abgeordneten mehrheitlich dafür votiert, sich an die ägyptische Regierung zu wenden, um über die von ihr kontrollierte Grenze nach Gaza einzureisen. Damit laufe, so Albertini, die Delegation Gefahr, den Friedensprozeß zu unterminieren. Die israelische Botschaft bei der EU sekundierte mit dem Vorwurf, daß die EU-Parlamentarier ihr Besuchsprogramm auf "Geprächspartner konzentrieren, die nur die eine Seite des Konflikts repräsentieren".

Der von Albertini und der israelischen Regierung erhobene Vorwurf der Einseitigkeit dokumentiert einen Anspruch auf Ausgeglichenheit möglicher Verhandlungen, bei dem es sich um ein rhetorisches Manöver zur Zementierung einer Dominanz handelt, die keine europäische Regierung oder EU-Institution jemals in Frage gestellt hat. Im Unterschied zur israelischen Regierung haben die Palästinenser Gazas weder Sitz noch Stimme in irgendeiner Institution, in der sie ihre Sicht der Dinge artikulieren und Einfluß auf den politischen Prozeß nehmen könnten. Die diesen Konflikt nicht nur mit ihrer Definitionshoheit, sondern administrativer und militärischer Gewalt beherrschende Seite Israels als in den entscheidenden Zentren politischer Willensbildung überrepräsentiert zu bezeichnen wäre eine Untertreibung angesichts der Tatsache, daß die Gaza regierende Hamas entgegen des Wählerwillens der Palästinenser seit vier Jahren boykottiert und kriminalisiert wird.

Wenn eine Gruppe von Parlamentariern der EU mit politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Gaza Kontakt aufnehmen will, um sich ein eigenes Bild von der Lage in dem hermetisch abgeschotteten Gebiet zu machen und Möglichkeiten der Konfliktlösung zu eruieren, dann repräsentieren sie einen nicht geringen Teil der Bürger der EU. Eine solche Kontaktaufnahme zu untersagen belegt das konstitutive Gewaltverhältnis, unter dem die Palästinenser im allgemeinen und die Bewohner Gazas im besonderen zu leiden haben. Untersuchte man die Unterstellung der Einseitigkeit vor dem Hintergrund aller Faktoren, die das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern bestimmen, dann gelangte man schnell zu der Antwort, daß die ganz praktische politische Parteilichkeit ganz und gar zugunsten der israelischen Regierung ausfällt.

Ginge es tatsächlich um die Einleitung eines Friedensprozesses, dann müßte zuerst die demagogische Ausgrenzung der Hamas auf den Prüfstand gestellt werden. Schließlich hat keine EU-Regierung ein Problem damit, den israelischen Außenminister Avigdor Lieberman zu empfangen, obwohl dieser nicht gerade dafür bekannt ist, das Existenzrecht der Palästinenser oder auch nur ihre prinzipielle Gleichbehandlung als Menschen anzuerkennen. Ein Annäherungsprozeß in einem von neokolonialistischen Interessen auf der Seite der Stärkeren und massiver Entrechtung wie großer materieller Not auf der Seite der Schwächeren bestimmten Konflikt ist kein Schönheitswettbewerb und kann nicht nach Maßgabe ideologischer Reinheitsgebote geführt werden, deren Bedeutung für konkrete Verhandlungen durch den aus über 40 Jahren Besatzungspolitik resultierenden Stand gegenseitiger Gewaltanwendung weit überholt wurde. Die Überzeichnung der islamistischen Partei zur Ausgeburt des Bösen koppelt an einen rassistischen Diskurs an, mit dem auf der Seiter der Palästinenser straflos vollzogen wird, was sich Israelis zu Recht verbieten würden.

Ohnehin sind auch die angeblich "antiisraelischen" EU-Abgeordneten keine idealistischen Friedensapostel, sondern betreiben Konfliktmanagement im Interesse europäischer Großraumpolitik, die durch den Nahostkonflikt empfindlich gestört wird. Daß die israelische Regierung europäischen Volksvertretern untersagt, in ein von ihr isoliertes Gebiet einzureisen, an dessen finanzieller Bemittelung die EU direkt beteiligt ist, dient mithin nicht nur der Verhinderung negativer PR. Sie bekräftigt damit auch einen hoheitlichen Anspruch, dessen völkerrechtswidriger Charakter nur deshalb von der EU akzeptiert wird, weil eine Parteinahme für die Palästinenser keineswegs im Interesse ihrer Regierungen liegt. Es ist kein Zufall, daß die schikanöse Behandlung der EU-Delegation lediglich eine Fußnote im internationalen Politikbetrieb wert ist, während etwa Versuche der jugoslawischen Regierung in den neunziger Jahren, den Zugang zur serbischen Provinz Kosovo zu kontrollieren, zu lautstarken Reaktionen der EU führten und letztlich einem Kriegsgrund gleichkamen.

25. Mai 2010