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FRIEDEN/1085: "Wahre Männer marschieren nach Teheran" - Fernziel westlicher Befriedungspolitik (SB)



Die wenig diskutierte Pointe des Libyenkriegs liegt in seiner langfristigen Vorbereitung. Im Dezember 2003 kündigte Muammar al Gaddafi die Einstellung aller Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen inklusive des Atomwaffenprogramms an. Das war der Preis für seine Rehabilitierung als honoriger Führer eines Staates, der über erhebliche Ölreserven verfügt und integraler Bestandteil der "Flüchtlingsabwehr" der EU sein sollte. Am 16. April erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im Interview mit dem Deutschlandfunk kategorisch: "Die Zeit für Gaddafi und sein Regime ist abgelaufen. Er muss die Macht abgeben. Die Außenminister der NATO haben sich eindeutig hinter diese Erklärung gestellt." Auch wenn man 2003 den Regimewechsel in Tripolis nicht dezidiert geplant hatte, so wußte man doch, daß Libyen durch die Einstellung der atomaren Aufrüstung auf ein überschaubares strategisches Restrisiko schrumpfen würde. Was immer sich Gaddafi in Zukunft herausnähme, wäre durch seine Beseitigung zu überwinden.

Das Geschehen erinnert an die von 1991 bis 2003 währende Demontage des irakischen Präsidenten Saddam Hussein als Vertreter jener Generation junger Offiziere, die in den 1960er Jahren einem panarabischen Nationalismus das Wort redeten, ein in seiner antikolonialistischen Statur mit Gaddafi vergleichbarer Despot. Vergleichbar ist auch die jähe Wandlung vom ausführenden Organ hegemonialer Interessen der USA und EU hin zum Ausbund des Bösen. Der hochmoralische Oberton des demokratischen und humanitären Interventionismus erweist sich denn auch in beiden Fällen als durchsichtiger Versuch der NATO-Staaten, über die Dämonisierung des Feindes als Sachwalter hehrer Werte zu erscheinen.

Das begründet auch die Nonproliferationspolitik, die Gaddafi 2003 das ausdrückliche Lob der US-Regierung einbrachte, es sei niemals zu spät, den Verpflichtungen des atomaren Nichtverbreitungsvertrags nachzukommen, als Hausrecht globalhegemonialer Regelungsgewalt atomar aufgerüsteter Staaten, die nicht daran denken, ihren Anteil an diesem Abrüstungsvertrag zu erbringen. Der damals ausdrücklich in Aussicht gestellte Lohn wird nun in Form eines Angriffskrieges ausbezahlt, der die humanitäre Mandatierung des UN-Sicherheitsrats längst hinter sich gelassen hat und als ein imperialistisches Manöver in Erscheinung tritt, wie es im Irak Hunderttausende von Menschen das Leben gekostet und Millionen ins Elend gestürzt hat. Die Frage, ob die Verluste an Menschenleben nicht sehr viel geringer gewesen wären, wenn die zum Zeitpunkt des Kriegseintritts der NATO-Staaten absehbar erfolgreiche Offensive der libyschen Regierung zum Abschluß gebracht worden wäre, wird durch die Unterstellung tabuisiert, daß die Truppen Gaddafis zweifellos ein Massaker an den Aufständischen angerichtet hätten.

Ob dies tatsächlich der Fall gewesen wäre und ob die von der NATO unterstützten Aufständischen tatsächlich eine fortschrittliche Alternative zum herrschenden politischen Regime darstellen sind Fragen, die im Vollzug westlicher Hegemonialinteressen keine Rolle spielen. Die Legitimation dieses Krieges bedarf keiner besonderen Mühe mehr, sie wurde mit breiter Zustimmung der Bevölkerungen der primär kriegführenden EU-Staaten Frankreich und Britannien schon in den ersten Kriegstagen abgeschlossen. Was nun seinen Lauf nimmt, ist die Rückeroberung des Nahen und Mittleren Ostens im Namen von Freiheit und Demokratie auch mit Waffengewalt. Die demokratischen Revolten werden desto wirksamer auf den Leisten einer von EU und USA verfügten Ordnungspolitik geschlagen, je mehr Glaubwürdigkeit deren Regierungen als Sachwalter jener Werte, um denen es den arabischen Protestbewegungen zumindest aus hiesiger Sicht geht, auf sich vereinen können. Antiglobalistische und antiimperialistische Ziele fallen nicht darunter, sie gilt es propagandistisch in Deckung mit jenen Regimes zu bringen, die zu stürzen sind. Libyen ist gewissermaßen der Lackmustest dieser Glaubwürdigkeit insbesondere dann, wenn es gelingt, glaubhaft zu vertreten, daß die ökonomischen Defizite der arabischen Volkswirtschaften nur mit marktwirtschaftlichen Mitteln behoben werden können.

Am Horizont der Rekolonialisierung der Region unter dem Vorzeichen eines wohlwollenden Imperialismus der westlichen Wertegemeinschaft steht der Regimewechsel im Iran. Die neokonservativen Schreibtischtäter, die die schnelle Eroberung des Irak 2003 mit der naßforschen Ansage kommentierten, daß wahre Männer nach Teheran marschierten, wittern Morgenluft. John McCain, der die Bombardierung des Iran schon vor Jahren als kabarettistische Wahlkampfeinlage vorwegnahm, hat die libyschen Rebellen zu "meinen Helden" erklärt. Um einen weiteren dieser Hitler-Wiedergänger, den iranischen Präsident Mahmud Ahmadinejad, zu stürzen, kann das Farbenspektrum revolutionärer Erhebungen nicht bunt genug sein.

Mit der naheliegenden Annahme, daß iranische Hardliner nun das Beispiel Gaddafis zum Anlaß nehmen werden, die ihnen angelastete Atomrüstung endlich Wirklichkeit werden zu lassen, läßt sich die Zuspitzung dieses Konflikts hervorragend bewerkstelligen. Nicht umsonst hat US-Präsident Barack Obama mit der Behauptung, an der Niederschlagung der Revolte in Syrien sei der Iran beteiligt, eine Linie von Damaskus nach Teheran gezogen. Auch die Erhebung in Bahrain wurde in Washington, ungeachtet des von der US-Regierung gutgeheißenen Einsatzes ausländischer Truppen Saudi-Arabiens und des Golfkooperationsrates, als subversive Strategie des Iran diffamiert. In diesen Unterstellungen artikuliert sich auch der Ärger darüber, daß die Zerschlagung der regionalen Machtstellung des Irak vor allem den iranischen Einfluß auf die Golfregion gestärkt hat.

So begreift die Regierung Obama die Transformation dieser zum strategischen Kerngebiet ihrer Hegemonialpolitik zählenden Region als Gelegenheit, die Defizite der Vergangenheit zu beheben und mit neuem Legitimationsschub in die Offensive zu kommen. Die Befriedung der arabischen Gesellschaften durch die Aufkündigung des Bündnisses mit Despoten, deren jahrzehntelange Vasallenherrschaft im Dienste westlicher Interessen sich nicht nur hegemonialstrategisch überlebt hat, sondern ideologisch in das Gegenteil akuter Interventionsvorwände umschlägt, soll durch die Besetzung des dadurch entstehenden Machtvakuums mit Vertretern einer neuen, auf die Höhe der liberalen Modernisierung gebrachten Kompradorenbourgeoisie erfolgen.

Indem sich die USA im besonderen und die NATO im allgemeinen an die Spitze der Bewegung setzen, wird der Iran auf doppelte Weise zum legitimen Ziel westlicher Befriedungspolitik. Zum einen erscheint der autokratische Charakter der Islamischen Republik nun um so mehr als Atavismus im arabischen Raum überwundener despotischer Staatlichkeit, zum andern stärkt der Angriff auf Libyen auf ganz rationale Weise den Verdacht, daß die Machthaber in Teheran nun erst recht atomar aufrüsteten. Diktatorische Regimes als ausführende Organe imperialistischer Politik einzusetzen und sie bei Bedarf zu demontieren, um das reale Aufbegehren der kujonierten Bevölkerungen ein weiteres Mal in den Griff eigener Machtinteressen zu nehmen, kann allerdings nur aus einer Position der Stärke heraus gelingen. Diese machiavellistische Strategie als zentrale Herausforderung zu begreifen und den Kampf um Befreiung auf internationalistische Weise zu führen, bleibt daher auch in Zukunft die Schwelle, unterhalb derer revolutionäre Subjektivität nicht zu vollenden ist.

24. April 2011