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FRIEDEN/1089: Quo vadis Linkspartei? - Abschied von emanzipatorischen Positionen (SB)



War Die Linke angetreten, emanzipatorischen Positionen, wie sie von keiner bürgerlichen Partei vertreten werden, eine politische Heimat zu geben, so läßt die jüngste Entwicklung einen dezidierten Abschied von diesem Vorhaben befürchten. Erweckte schon die sogenannte Kommunismus-Debatte den Eindruck, daß die Linkspartei nicht so sehr von ihren Gegnern genötigt, als vielmehr von einer karrieristischen Elite in den eigenen Reihen auf Reformkurs eingeschworen wurde, so gilt das nicht minder für die Antwort auf den gegen Die Linke erhobenen Antisemitismusvorwurf, die die Bundestagsfraktion der Partei am 8. Juni gab[1]. Die ursprünglich in der Frankfurter Rundschau erhobene Bezichtigung wäre in ihrer Haltlosigkeit durchaus geeignet gewesen, das Sperrfeuer böswilliger Anwürfe zugunsten einer sachlichen Aufklärung zu durchbrechen und damit auf eine Weise Stellung zu beziehen, die der Linkspartei ein klares Profil und eine unabhängige Stimme verliehen hätte. Offenbar überwältigt jedoch der Drang, sich mit der Karotte der erhofften Salonfähigkeit zu begnügen, den Mut, der Peitsche des Konformitätsdrucks mit entschiedener Streitbarkeit entgegenzutreten. Die damit aufgemachte Rechnung, den Bedeutungsverlust der Partei umzukehren und endlich die Meriten angeblicher Regierungsfähigkeit ernten zu können, bringt unter dem Strich das Ergebnis einer politischen Beliebigkeit hervor, die die Partei zu einem bedeutungslosen Appendix willfähriger Mehrheitsbeschaffung verkommen läßt.

Das von der Bundestagsfraktion durchgeboxte Grundsatzpapier befestigt drei zentrale Positionen im Verhältnis zu Israel. Weder will man an Initiativen partizipieren, die sich für eine Einstaatenlösung für Palästina und Israel starkmachen, noch sich an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte beteiligen. Zudem werde sich Die Linke nicht an der diesjährigen Fahrt einer Gaza-Flottille beteiligen. Da voraussichtlich am 19. Juni ein Schiff von Hamburg aus mit Hilfsgütern für den von Israel abgeschotteten Gazastreifen aufbrechen wird, auf dem erneut Bundestagsabgeordnete mitreisen wollen, kommt der Fraktionsbeschluß einem Verdikt gleich, mit dem eine restriktive und dogmatische Parteiräson Gestalt annimmt. Bestand die Stärke der Linken bislang in einer innerparteilichen Tolerierung voneinander abweichender Auffassungen, die sie zu einer Adresse vielfältiger oppositioneller bis dissidenter Interessen machte, so werden mit diesem im Wortlaut imperativen Dekret doktrinäre Grenzen eingezogen, deren Übertretung den innerparteilichen Lagerkampf bis zu Auszugsankündigungen respektive Ausschlußforderungen eskalieren lassen kann.

Die durch die israelische Blockade hervorgerufene Notlage der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen ist von offiziellen Gesandten der Vereinten Nationen, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sowie zahlreichen Nichtregierungsorganisationen zweifelsfrei dokumentiert und bei zahlreichen Gelegenheiten kritisiert worden, ohne daß die Regierung Israels der Forderung nach Aufhebung dieser Zwangsmaßnahme nachgekommen wäre. Den Palästinensern in ihrer Notlage beizustehen, ist ein Gebot der Menschlichkeit, ganz zu schweigen von einer politischen Positionierung, die sich die Unterstützung der Unterdrückten und Drangsalierten auf die Fahne geschrieben hat. Ausdrücklich davon Abstand zu nehmen, der Verelendung und Entwürdigung der Menschen im Gazastreifen etwas entgegenzusetzen, kommt damit einer folgenschweren Richtungsentscheidung gleich, die es der Linken noch unmöglicher macht, in einem internationalen Konflikt Partei für die schwächere, von den NATO-Staaten stigmatisierte Seite zu ergreifen.

Die Boykottaufrufe gegen israelische Produkte bedienen sich einer Strategie, wie sie bereits in anderen Fällen staatlichen Handelns, das nach allgemeinem Verständnis in Widerspruch zu Grundsätzen des Völker- und Menschenrechts steht, angewendet wurde. Insbesondere von israelischen Firmen vermarktete Erzeugnisse aus den Palästinensergebieten, deren dauerhafte Besetzung in UN-Resolutionen verurteilt worden ist, können Anlaß sein, sich für eine entsprechende Kampagne auszusprechen. Indem die Fraktion der Linken diese Aktionsform der gesamten Partei auszutreiben gedenkt, erteilt sie außerparlamentarischen Initiativen, die sich ihrer bedienen, de facto eine Absage. Die vielfach beschworene Nähe der Partei zu sozialen Bewegung und linken Initiativen war dem Reformflügel stets ein Ärgernis, wurde Die Linke dadurch doch radikaleren AktivistInnen geöffnet. Indem sie diesen die kalte Schulter zeigt, beraubt sich Die Linke mithin nicht nur der Option, vergleichbaren Boykottaufrufen den Zuschlag zu geben, sondern koppelt sich sehenden Auges von der eigenen Basis ab, die damit zu einem Störfaktor im politischen Geschäft degradiert wird.

Die Einstaatenlösung im Nahostkonflikt rundweg auszuschließen, läuft auf die Akzeptanz eines undemokratischen Staates hinaus, der Teilen seiner Bevölkerung eine gleichberechtigte Koexistenz verweigert. Wenn eine Mehrheit oder Minderheit der Gesellschaft die eigene Glaubensüberzeugung oder ethnische Herkunft für höherwertig erklärt und anderen Staatsbürgern die Gleichheit vor dem Gesetz verweigert, muß man zwangsläufig von Apartheid oder Rassismus sprechen. Dies in einem angeblichen Sonderfall zu billigen, heißt zwangsläufig von fundamentalen Positionen emanzipatorischer Politik Abstand zu nehmen. Ganz offensichtlich ist die Linkspartei in Gefahr, daß jeder Antisemitismusvorwurf sie veranlassen könnte, unter Preisgabe ihrer Überzeugung opportunistisch ins eigene Ruder zu greifen.

Die Frage, wohin sich die Linke bewegt, ist damit vorerst auf eine Weise beantwortet, die in sie gesetzten Hoffnungen antikapitalistischer und internationalistischer Art einen schweren Dämpfer verpaßt. Den offensichtlich vorhandenen Diskussionsbedarf mit einem eilig geschmiedeten Machtwort für obsolet zu erklären, zeugt von der Bereitschaft, die Vielfalt der Positionen zu veröden, um kritische Überzeugungen auszugrenzen und in der Konsequenz zu sanktionieren. Wo produktiver politischer Streit allen Beteiligten Anlaß gibt, nicht nur den anderen, sondern stets auch sich selbst zu prüfen, hält Unterwerfung unter die Doktrin der Herrschenden Einzug. Dabei ist der Kampf um die Freiheit und Selbstbestimmung der PalästinenserInnen kein Sonderfall im allgemeinen Eintreten für universale demokratische Werte, sondern ganz im Gegenteil ein Lackmustest für die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, mit der ihre Verwirklichung betrieben wird. Dies nicht nur aus ideologischen, sondern konkreten machtpolitischen Gründen zu negieren heißt, sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die im weltweiten sozialen Konflikt stets auf der Seite der Gewinner stehen wollen.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/parl/d-linke/ppfra068.html

9. Juni 2011