Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

FRIEDEN/1090: Querschüsse gegen den Palästinenserstaat (SB)



Aus Sicht der Vereinigten Staaten und der NATO existiert eine relevante Staatengemeinschaft nur insofern, als sie geeignet sein kann, die Interessen der Führungsmächte gutzuheißen und damit legitimatorisch zu unterfüttern. US-Regierungen haben den Vereinten Nationen wiederholt und explizit jedes Recht abgesprochen, sich in die Belange Washingtons einzumischen, wie die USA auch keine internationale Gerichtsbarkeit akzeptieren, der ihre Staatsbürger unterliegen. Die NATO hat auf ihrem letztjährigen Gipfel in Lissabon im Rahmen ihrer neuen Doktrin ausformuliert, auf welche Weise sie nicht nur die Vereinten Nationen, sondern jegliche überstaatlichen Zusammenschlüsse und internationalen Gremien vor ihren geostrategischen Karren zu spannen gedenkt.

Sollten die Palästinenser im September einseitig einen eigenen Staat ausrufen und mit diesem Konstrukt vor die Vereinten Nationen treten, bliebe dies auf den ersten Blick lediglich ein symbolischer Akt und mithin folgenlos. Was immer die UN-Vollversammlung beschließen mag, schert die Führungsmächte nicht, die im Sicherheitsrat das einzig relevante Gremium der Weltpolitik verorten. Dort können und werden die USA mit ihrem Veto jede Resolution zu Lasten Israels verhindern. Dennoch läßt die israelische Regierung nichts unversucht, die Palästinenser von ihrem Vorhaben abzubringen. Über Jahrzehnte gewoben, hat das ideologische Netz bedingungsloser Unterstützung israelischer Regierungspolitik eine unerhörte Festigkeit erlangt. Straff gespannt wie es ist, kann sich jedoch schon ein kleiner Riß im Gewebe zu einer Bruchlinie auswachsen, entlang derer das Maschenwerk unkontrollierbar aufplatzt.

Nachdem der Sondergesandte des US-Präsidenten für den Nahen Osten, George Mitchell, angesichts festgefahrener Verhandlungen im vergangenen Monat das Handtuch geworfen hat, sollen nun die beiden hochrangigen Diplomaten Dennis Ross und David Hale dem palästinensischen Ansinnen in die Parade fahren. Bei ihrem nicht offiziell angekündigten Besuch führen sie Gespräche mit beiden Seiten, um eine Formel zu finden, auf deren Grundlage die Verhandlungen wieder aufgenommen werden können. Erklärtes Ziel dieses durchsichtigen Manövers ist es, die Palästinenser von der unilateralen Ausrufung ihres Staates abzuhalten. [1]

In gleicher Mission bereist die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, dieser Tage die Region. Unter Verweis auf die Umwälzungen in Nordafrika und die Rede Barack Obamas im vergangenen Monat drängt Ashton ebenfalls auf die Fortsetzung des Friedensprozesses im Nahen Osten. In einem Schreiben vom 10. Juni an US-Außenministerin Hillary Clinton, deren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte sie eine bedeutsame Geste des Nahostquartetts noch vor dem Sommer angemahnt. Dies sei nicht die Zeit für unilaterale Manöver, die zu einer Eskalation führen könnten, warnte sie zugleich die Palästinenser. [2]

Unterdessen macht Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinerlei Anstalten, die Verhandlungen mit den Palästinensern wieder aufzunehmen. Er versucht derzeit unermüdlich, mindestens 30 Länder dafür zu gewinnen, in der UN-Vollversammlung der Anerkennung eines Palästinenserstaats eine Absage zu erteilen. In dieser Frage zeigt sich sogar die Europäische Union gespalten: Deutschland lehnt einen einseitig ausgerufenen Staat der Palästinenser ab, Spanien ist dafür und Frankreich will seine Zustimmung nicht ausschließen.

In seiner Rede vom 22. Mai hatte US-Präsident Obama Israel und die Palästinenser zu Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen vor 1967 mit einem gewissen Gebietsausgleich aufgerufen. Zwei Tage später wies Netanjahu in einer Rede vor dem US-Kongreß diese Initiative mit der Begründung, die Grenzen vor 1967 seien nicht zu verteidigen, in Bausch und Bogen zurück. Damit brachte der israelische Ministerpräsident eine neue Forderung ins Spiel, die ebenso willkürlich wie fiktiv ist und es seiner Regierung weiterhin gestattet, Friedensgespräche zu unterlaufen. Auch eine Initiative Frankreichs ist an der Weigerung Israels gescheitert, noch im Sommer die Verhandlungen wieder aufzunehmen.

Die Annäherung von Fatah und Hamas mit dem Ziel, eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden und im Herbst Wahlen abzuhalten, stieß bei den Regierungen Israels und der USA auf heftige Ablehnung. Bislang war die gezielt herbeigeführte und geförderte Spaltung der Palästinenser der sicherste Garant für deren Schwäche. Sollte es ihnen auch nur befristet gelingen, die nach wie vor existierenden Kontroversen zurückzustellen und mit einer Stimme zu sprechen, wäre die von israelischer Seite stets vorgehaltene Behauptung, es gebe keinen Partner für Friedensgespräche, Makulatur.

In dieser Situation läßt die um so härtere Haltung der rechtsgerichteten israelischen Regierung, die offenbar mit einer gleichläufigen Drift der israelischen Mehrheitsgesellschaft zu einer Bunkermentalität korrespondiert, Schlimmstes befürchten. Jordaniens König Abdullah II., ein wichtiger Verbündeter der USA in der arabischen Welt und Führer des neben Ägypten einzigen Landes der Region, das Friedensverträge mit Israel geschlossen hat, entwirft eine düstere Zukunftsprognose. In einem ausführlichen Interview mit der Washington Post beklagt er das zunehmend konservative Klima im Nachbarland und bezweifelt die Bereitschaft der israelischen Regierung zu Konzessionen, wie sie unabdingbare Voraussetzung eines Friedensprozesses sind. Er sei so pessimistisch wie seit elf Jahren nicht mehr. [3]

Wenngleich die Umwälzungen des arabischen Frühlings ein einzigartiges Fenster für ein Friedensabkommen geöffnet hätten, ließen die Konfliktparteien diese historische Chance ungenutzt verstreichen, so der 49 Jahre alte Monarch, der seit 1999 an der Spitze des Königreichs mit 6,4 Millionen Einwohnern steht. Israel werde sich über kurz oder lang von Regierungen umgeben sehen, die ihm mit Rücksicht auf die Stimmung im eigenen Land wesentlich feindseliger gegenüberstünden als die entmachteten Regimes der Vergangenheit. Unterdessen wachse unter den enttäuschten Palästinensern eine neue Revolte heran.

Abdullah, der einen Friedensschluß in Nahost zu seinem persönlichen Anliegen gemacht, Gespräche mit zahlreichen Regierungschefs in der Region geführt und sogar ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat, sieht die Aussichten auf eine Verhandlungslösung schwinden und Ausbrüche offener Gewalt heraufziehen. Sollte eine Zweistaatenlösung verhindert werden, bliebe nur die Einstaatenlösung. Dann stelle sich die Frage, ob es sich um eine Demokratie oder ein Apartheidsystem handle. Zahllose Araber, die in ihrem eigenen Land für Demokratie kämpften, fragten heute, wie es um die Demokratie in Israel bestellt sei.

Die Vereinigten Staaten verlieren seines Erachtens die Glaubwürdigkeit unter den Arabern, weil sie Israel ohne Rücksicht auf dessen Politik gegenüber den Nachbarländern rückhaltlos unterstützen. Wenn man Militärhilfe in Milliardenhöhe erhalte, das Waffenarsenal unausgesetzt aufstocken könne und der Nachschub an Munition jederzeit gesichert sei, lerne man niemals die Lektion, daß Krieg etwas Schlechtes ist und am Ende niemand dabei gewinnt, so der jordanische König.

Fußnoten:

[1] http://www.nytimes.com/2011/06/16/world/middleeast/16briefs-MiddleEast.html

[2] http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2011/Jun-16/British-US-officials-visits-aim-to-revive-peace-talks.ashx#axzz1PcW3rMz8

[3] http://www.washingtonpost.com/national/national-security/jordans-king-abdullah-ii-warns-mideast-peace-prospects-are-dim/2011/06/15/AGUNQXWH_story.html

18. Juni 2011