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FRIEDEN/1095: Atomausstieg - Japans Ministerpräsident um Befriedung bemüht (SB)



Rund vier Monate nach der Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi spricht sich der japanische Ministerpräsident Naoto Kan für den etappenweisen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie aus. Einen genauen Zeitplan nennt er nicht, man kann davon ausgehen, daß das Ende der Atomenergie, so sich nachfolgende Regierungen diesem Ziel ebenfalls verpflichten, auf viele Jahre bis Jahrzehnte hinaus angepeilt wird.

Obgleich Japan das einzige Land ist, auf das im Rahmen einer Kriegshandlung eine bzw. zwei Kernwaffen abgeworfen und dadurch viele Menschen direkt umgebracht oder radioaktiv verstrahlt wurden, haben seine Regierungen stets zwischen der militärischen (böse) und zivilen Atomenergie (gut) unterschieden. So wurden im Verlauf der Jahrzehnte, in denen Japan das amerikanische Industrialisierungsmodell verfolgte, 54 Meiler installiert, die rund 30 Prozent des elektrischen Energiebedarfs abdeckten. Der Anteil sollte bis zum Jahr 2030 auf 50 Prozent steigen, doch das schwere Erdbeben vom 11. März und der anschließende Tsunami legten schonungslos die hohe Anfälligkeit der Atomtechnologie gegenüber solchen "unerwarteten" Einflüssen und die verheerenden Folgen für Mensch, Tier und Umwelt offen.

Das Argument von Akw-Befürwortern wie dem Guardian-Schreiberling George Monbiot, daß eben diese Naturkatastrophe die Sicherheit der Atomtechnologie bewiesen habe, da neuere Akw-Modelle in Japan nicht havariert seien, greift insofern nicht, als daß es auch bei diesen zu beträchtlichen Störungen und kritischen Situationen kam, die sich im Falle von Mehrfacheinflüssen sehr wohl zu einem GAU hätten entwickeln können. Einst dienten der Atomlobby die westlichen Akws als Begründung, warum ein Vorfall wie 1986 im ukrainischen Akw Tschernobyl hier niemals passieren könne. Nun, nachdem der dreifache GAU in einem westlichen Akw ein Umdenken bewirkt haben müßte, sollen es auf einmal nur noch die neueren Jahrgänge sein, die nicht havarieren können. Das ist unglaubwürdig.

Kan reagiert mit seiner Äußerung in erster Linie auf die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit seinem Katastrophenmanagement, das primär nicht der Sicherheit der Bevölkerung, sondern der Sicherheit der vorherrschenden Ordnung und damit der geordneten Vorherrschaft des Establishments verpflichtet ist, sowie auf die prinzipielle Ablehnung der Atomtechnologie. Die Einwohner Japans realisieren erst allmählich, daß das Maximum der Strahlenverseuchung noch gar nicht erreicht ist und ganze Landstriche für Jahrzehnte unbewohnbar bleiben könnten. Die Kernschmelze hat sich vermutlich bei drei Reaktoren in den Untergrund "gefressen", die radioaktiven Partikel dringen gegenwärtig in den Boden vor, kontaminieren unaufhaltsam Grundwasser und Meer und werden via Windtransport auch andere Landesteile verstrahlen.

Die Ankündigung Kans des Atomausstiegs zu einem so späten Zeitpunkt nach dem Mehrfach-GAU hat aber noch einen anderen Grund als den, nur dem Wählerwillen zu folgen: Die Ausbreitung der Radioaktivität läßt sich so wenig eindämmen wie die Berichterstattung darüber. Das gefährdet den sogenannten gesellschaftlichen Zusammenhalt - eine Chiffre für den Zwangscharakter jenes Ordnungsrahmen, in dem Menschen fremdbestimmte Arbeit verrichten und einer dicht gewebten administrativen Verfügungsgewalt unterworfen sind. In Kriegs- wie in Friedenszeiten war die Atomenergie schon immer ein Energieträger der vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte.

13. Juli 2011