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FRIEDEN/1099: Nahostquartett will Anerkennung Palästinas als UN-Mitglied verhindern (SB)



Was in politischen Konflikten ansonsten eine gute Idee ist, erweist sich angesichts des palästinensischen Vorstoßes bei den Vereinten Nationen als durchsichtiges Ausweichmanöver. Die vom Nahostquartett unabhängig vom UN-Sicherheitsrat auf die Bahn gebrachte Verhandlungsinitiative knüpft an entsprechende vorherige Versuche an, ohne die lang überfällige Bringschuld Israels auch nur hinsichtlich des Ausbaus der Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten beim Namen zu nennen. Dies wird unter Verweis auf einen späteren Gebietsaustausch unterlassen, so daß sich an der permanenten Verschlechterung der palästinensischen Ausgangslage nichts ändert. Von einer Verhandlung auf Augenhöhe kann weiterhin keine Rede sein, werden Palästinenser und Israelis doch ungeachtet der völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels, der Benachteiligung der Palästinenser als Opfer einer illegalen Okkupation und eines daraus resultierenden Gewaltverhältnisses jenseits aller nur scheinbaren Parität als vermeintliche Partner in einem Prozeß des gegenseitigen Gebens und Nehmens behandelt.

Wenn der israelische Außenminister Avigdor Lieberman "die Aufnahme von Verhandlungen ohne Vorbedingungen" begrüßt, nachdem er Verhandlungen zuvor generell eine Absage erteilte, dann versucht er mit diesem Defensivmanöver, dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dieser moniert am Verhandlungsfahrplan des Nahostquartetts, daß der israelische Siedlungsausbau nicht gestoppt werden und es auch zu keinem Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 kommen soll, was ihm als Blockadehaltung angelastet wird. Indem das Nahostquartett Israel keinerlei Zugeständnisse abverlangt, schafft es eine für die Palästinenser inakzeptable Situation, die sich in nichts von den vielen vergeblichen Versuchen unterscheidet, in diesem Konflikt eine Einigung zu erzielen. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle brachte diese Entwicklung gegenüber Welt am Sonntag denn auch auf den Punkt ihres realpolitischen Nutzens: "Selbst wenn nur Zeit gewonnen würde, wäre das nicht wenig", denn dieser Dialog verringere die Gefahr einer Eskalation.

Aufschieben, um es zu keiner unvorhergesehenen Entwicklung kommen zu lassen, lautet die Rezeptur der das Nahostquartett bestimmenden Akteure USA, EU, Rußland und Vereinte Nationen. Lange hat man nichts mehr von dieser 2002 gegründeten Institution gehört, doch justament zu dem Augenblick, an dem eine Öffnung des Konflikts zugunsten der Palästinenser möglich wäre, reißt sie die Initiative an sich. Wer mit dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair als Sonderbeauftragtem die Arena des Nahostkonflikts betritt, ist alles andere als ein neutraler Vermittler, wie dessen Rolle in den Kriegen der letzten zwölf Jahre belegt. Dies ist insbesondere für die Vereinten Nationen peinlich, tritt die Weltorganisation doch in diesem Kreis als parteilicher Akteur auf.

Dies belegt ein Bericht des früheren peruanischen Außenministers und UN-Gesandten Alvaro de Soto über seine Arbeit beim Nahostquartett. Nachdem er sich im Mai 2007 gegenüber UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bitter über die Korrumpierung dieser Institution zugunsten israelischer und US-amerikanischer Interessen beschwert hatte, gelangte sein vertraulicher Bericht an die Tageszeitung The Guardian, die ihn veröffentlichte.

Darin bezichtigte der damals am Ende seiner Amtszeit als UN-Beauftragter für den Nahostfriedensprozeß stehende de Soto Moons Vorgänger Kofie Annan, in Kooperation mit Washington seinen Versuch unterminiert zu haben, den regulären politischen Verkehr mit der Hamas-Regierung aufrechtzuerhalten. Auf Druck der US-Regierung sei "Unparteilichkeit zu Unterwerfung zusammengestaucht" worden, was "verheerende Konsequenzen" für die Palästinenser gehabt habe und das "direkte Gegenteil" dessen wäre, was die internationale Gemeinschaft erreichen wollte, so de Soto in seinem Bericht. Israels Politik sei "perverserweise darauf zugeschnitten, die militanten Palästinenser zu fortgesetzter Aktion zu ermutigen", während die US-Vertreter die Neigung erkennen ließen, "sich bei jedem Hinweis auf israelisches Mißvergnügen wegzuducken und den Interessen proisraelischer Kreise schamlos zuzuarbeiten."

De Soto bestätigte darüberhinaus, daß die US-Regierung systematisch auf eine Konfrontation zwischen Fatah und Hamas hingearbeitet habe. So habe Präsident Abbas das unmittelbar nach der Parlamentswahl im Januar 2006 erfolgte Angebot der Hamas, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, aufgrund massiven Drucks seitens der US-Regierung abgelehnt. Zudem gehe die Strategie der Belagerung und Aushungerung des Gazastreifens, mit dem die Regierungstätigkeit der Hamas diskreditiert wurde, nicht nur auf Israel und die USA zurück, sondern sei von den Beratern des palästinensischen Präsidenten mitinitiiert worden. Der peruanische Diplomat nahm die Hamas nicht von seiner Kritik aus, indem er ihr Nähe zum Iran, das Insistieren auf ihre berüchtigte Charta und Gewalt gegen israelische Zivilisten vorwarf.

Als britischer Premierminister bekundete Tony Blair in einer Rede auf der Jahreshauptversammlung der Lobbygruppe Labour Friends of Israel (LFI) im September 2006, wie stolz er sei, ein unverbrüchlicher Freund Israels zu sein. Diese Rede hielt Blair nur wenige Wochen nach dem Ende des jüngsten Libanonkriegs, in dem die israelische Luftwaffe schwere Schäden im Nachbarland anrichtete, ohne daß es dafür einen anderen Grund gab als den einer Kollektivbestrafung der libanesischen Bevölkerung. Da man die schiitischen Hisbollah-Milizen nicht treffen konnte, mußten die Libanesen die Rechnung für eine Konfrontation bezahlen, die im israelischen Einmarsch in ihr Land 1982 wurzelt. Blair war maßgeblich daran beteiligt, daß in diesem Krieg ein bedingungsloser Waffenstillstand verhindert wurde, um Israel die Möglichkeit zu geben, sein Kriegsziel, die Vertreibung der Hisbollah aus dem Süden des Libanon, zu erreichen.

In seiner Eigenschaft als Friedensemissär beklagte sich Blair in Israel im August 2010 bitter darüber, wie ungerecht die angebliche palästinensische Kampagne zur Delegitimierung Israels sei [1]. Vergleichbare Stellungnahmen zur Ungerechtigkeit des Blutzolls, den die Palästinenser beim Überfall auf Gaza leisten mußten, waren aus seinem Mund nicht zu vernehmen. Nun greift das Nahostquartett tief in die Kiste als untauglich abgelegter Friedenspläne, anstatt sich entschieden für die Anerkennung Palästinas als Mitglied der Vereinten Nationen einzusetzen. Letzteres wird angesichts der Unabhängigkeitsbestrebungen, die die Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens auf ihre Fahnen geschrieben haben, als weitere Behinderung des Hegemonialstrebens insbesondere der USA und EU in der Region betrachtet. Ist das Momentum der Initiative, Palästina in die Vereinten Nationen aufzunehmen, erst einmal verebbt, dann werden es die Palästinenser um so schwerer haben, ihr Interesse in politisch aussichtsreiche Bahnen zu lenken. Insofern arbeitet das Nahostquartett nach Kräften daran, daß die Ohnmacht der palästinensischen Bevölkerung den dann verbleibenden Weg einer gewaltsamen Eskalation nimmt.

Fußnote:

[1] http://www.antidef.org.au/tony-blair-on-delegitimization-of-israel/w1/i1012041/

26. September 2011