Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

FRIEDEN/1108: Mit Meutenjournalismus Sandburgen verteidigen ... Grass wird Dissident (SB)




Als ob man in Günter Grass einen Steinbruch zum Abbau populistischer Sottisen gefunden hätte, wird gegen den Literaten - nicht zuletzt mit dem Vorwurf, er bediene sich populistischer Mittel - vom Leder gezogen, was die Tinte hergibt. Sein Gedicht "Was gesagt werden muss" als künstlerisches Machwerk von niedrigster Qualität niederzumachen gehört zu den Pflichtübungen, die im Nebenbei erledigt werden, um sich den Autoren nach der Devise, man habe schon immer um seine politische Unzuverlässigkeit gewußt, auf naßforsche Weise zur Brust zu nehmen. Damit Journalisten und Politiker endlich einmal ihr, wenn die Konfrontation mit den Sachwaltern imperialistischer Kriegführung und kapitalistischer Herrschaft vonnöten wäre, durch jähe Abwesenheit glänzendes Mütchen kühlen können, wird über den Alarmruf des Literaten lamentiert, als sei er offiziell zum Abschuß freigegeben worden.

Er habe die Verhältnisse auf den Kopf gestellt, so die Grundlinie der gegen ihn gerichteten Vorwürfe, habe doch die israelische Regierung niemals mit einem Atomschlag gedroht. Das muß sie auch nicht. Wer über geschätzte 250 Atomsprengköpfe nebst mehrerer Trägersysteme verfügt, die in Form der aus Deutschland gelieferten U-Boote sogar die Zweitschlagkapazität sicherstellen, der besitzt schlichtweg das Potential zu einem vernichtenden Erstschlag. Während dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad anhand eines seines Kontextes entrissenen und inhaltlich verfälschten Zitates seit Jahren die Absicht angelastet wird, Israel vernichten zu wollen, und dies zum Anlaß schwerwiegender, die Bevölkerung des Landes in Mitleidenschaft ziehender Sanktionen sowie unverhohlener Kriegsdrohungen genommen wird, obwohl der Iran nicht einmal über die Mittel zu einem solchen Aggressionskrieg verfügt, wird der israelischen Regierung quasi selbstredend zugutegehalten, völkerrechtswidrige Kriegsdrohungen aussprechen und dies als eine Art präventiver Selbstverteidigung maskieren zu dürfen. Spiegel-Online, eine der Apologie Teherans gänzlich unverdächtige Publikation, hat im übrigen bestätigt, daß Planspiele für einen Erstschlag gegen den Iran stattgefunden haben [1].

Doch warum Zeit und Druckerschwärze damit vergeuden, das diesen Konflikt kennzeichnende Gewaltverhältnis zwischen einem weitgehend isolierten Land und den NATO-Staaten plus Israel auf die Frage hin zu überprüfen, welche Drohung eigentlich mit welcher militärstrategischen Machbarkeit und politischen Konsequenz gedeckt ist? Es ist doch viel auflagenträchtiger, einen einst angesehenen Schriftsteller als künstlerisch wie ideologisch verkrachte Existenz durchs Dorf zu treiben, damit alle sehen können, daß es auch in der freiesten aller Gesellschaften Mittel und Wege gibt, Dissidenten nach Strich und Faden mundtot zu machen. Schade nur, daß die israelische Regierung ihrerseits Farbe bekennt und mit dem Einreiseverbot für Günter Grass einen dunklen Fleck auf ihr demokratisches Ansehen fallen läßt. Daß dieses längst durch die strukturelle Benachteiligung der palästinensischen Bürger Israels, durch eine ethnisch-religiöse Staatsdoktrin, durch antidemokratische Gesetze gegen Oppositionelle und die jahrzehntelange Aufrechterhaltung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik überschattet ist, sei hier nur am Rande bemerkt.

So klagt Rüdiger Schaper, Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegel, im Deutschlandradio Kultur, die Reaktion der israelischen Regierung sei insofern furchtbar, als sie "überall die Dummköpfe und Hardliner und Vollidioten bestärkt" [1]. Gefragt nach einem Kommentar seiner Zeitung von Stephan-Andreas Casdorff, der Grass gerne in "die einzige Demokratie in der gesamten Region" eingeladen hätte, ärgert Schaper sich über diese Steilvorlage für all jene, die nun der verallgemeinernden Schlußfolgerung frönten, daß Israelis keine Kritik aushielten. Die mit dem Eklat um Grass entstandene Situation, daß Deutsche auf begründete Kritik mit polemischen Ausfällen reagieren, wäre eines Seitenblicks nicht zuletzt auf die eigene Person wert gewesen.

Doch dem sei der notorische Übeltäter Grass vor. Immerhin wird dem alten Mann noch nicht völlige Beratungsresistenz angelastet, könnte er bei einer Einladung nach Israel doch wirklich etwas lernen, nämlich, so Schaper, zum Beispiel, daß das, was er in seinem Text verbreitet, "vielleicht zu 99 Prozent Schwachsinn ist". Doch der leitende Kulturredakteur dieses Hauptstadtblattes scheint, ganz irritiert durch diesen Schlag ins Kontor der Glaubwürdigkeit bislang widerspruchslos hingenommener Kolportagen, Gefahr zu laufen, sich vollends in seiner kognitiven Selbstreferenz zu verirren. Er fordert alle auf, endlich "zur Realität" zurückzukommen, "sofern man die überhaupt noch sehen kann". Sekundiert von einer Moderatorin, die behauptet, das Gedicht sei entstanden "auf sachlich wenig informierter Grundlage, um es einmal ganz neutral zu definieren", klagt Schaper über das "reine Ressentiment", das Grass mobilisiert habe, und verbannt alles, was inhaltlich diskussionswürdig an seinem Text wäre, ins Reich bloßer "Stimmungen" [2].

Dieses unter den zahllosen Beispielen für den verletztenden Charakter des Umgangs mit einem einst gefeierten Autoren eher durchschnittliche Beispiel belegt, wie reprojektiv argumentiert wird, wenn man Grass anlastet, auf populistische Erregung und emotionale Mobilisierung zu setzen. Tatsächlich hat er in seiner literarischen Stellungnahme nur an einer Stelle zum Mittel der Polemik gegriffen, und die besteht in der Herabwürdigung der iranischen Bevölkerung zum willenlosen Objekt sinistrer Politiker. Was "das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk" [3] zu alledem meint, scheint jenseits des hermetischen Zirkelschlusses der kolonialistischen Suprematie, mit der in dieser Region ganze Bevölkerungen ausgehungert und mit Krieg überzogen werden, zu liegen.

Man kann nur hoffen, daß die SPD es ernst meint damit, sich der Wahlkampfhilfe ihres ewigen Parteigängers Günter Grass künftig zu enthalten. Wer braucht schon eine Partei, die willkommen heißt, wer den rot-grünen Imperialismus unterstützt, und in die Wüste schickt, wer gegen einen drohenden, durch die Rolle Deutschlands bei der Sanktionierung des Irans begünstigten Krieg Stellung bezieht? An Bellizisten herrscht kein Mangel in Berlin, und wer kein Problem mit einem Sozialrassisten wie Thilo Sarrazin in den eigenen Reihen hat, der sucht seine Klientel ohnehin lieber am rechten denn linken Rand. Der vielgeschmähte, zur unerwünschten Person nicht nur von der israelischen Regierung, sondern auch den Genossen der Bosse erklärte Nobelpreisträger sollte sich selbst einen Gefallen tun und diesen Akt gelebter demokratischer Opposition und sprichwörtlicher Altersweisheit dadurch auskosten, daß er der kleinen Minderheit in diesem Land Auftrieb gibt, die seit jeher gegen die Herrschaft des Kapitals und die Ermächtigung zum Kriege aufsteht.

Fußoten:

[1]‍ ‍http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,825780,00.html

[2]‍ ‍http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2012/04/10/drk_20120410_1008_b16e576c.mp3

[3]‍ ‍http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809

10.‍ ‍April 2012