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FRIEDEN/1116: Völkerrechtliche Ansprüche zum "Hindernis" erklärt (SB)




Die skeptischen Stimmen insbesondere aus Washington, aber auch aus anderen Hauptstädten der NATO-Staaten, die in der Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat ein "Hindernis" für eine Einigung mit der Besatzungsmacht Israel sehen, zeigen sich prinzipiell nicht einverstanden damit, daß in der UN-Generalversammlung Entscheidungen getroffen werden, die ihren globalen Hegemonialanspruch in Frage stellen. Bleibt man im UN-Sicherheitsrat - bei allen Differenzen, die es zwischen den Vetomächten gibt - gerne unter sich, weil sich über weltpolitische Belange in diesem überschaubaren Kreis im Wortsinne exklusiv befinden läßt, so besitzt die Vollversammlung aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen doch ungleich größere Legitimität. Diese zugunsten der realen Handlungsgewalt, die sich maßgeblich in den Händen der vom ökonomischen und militärischen Gewicht her größten Staaten befindet, zu zerstören wird spätestens seit dem Jugoslawienkrieg 1999 versucht.

Als Ergebnis dieses völkerrechtswidrigen Überfalls kam es 2008 zur Abtrennung serbischen Territoriums durch die gleichen NATO-Staaten, die mit dem Überfall auf die Bundesrepublik Jugoslawien das Gewaltverbot der UN-Charta auf den Müllhaufen der Geschichte warfen. Die von ihnen selbst zur Legitimierung des Einmarsches der NATO in die serbische Provinz Kosovo verabschiedete Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates hatte noch die territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien garantiert. Sie war ebenso Spielmaterial (*Spielzeug) im strategischen Entwurf zur Streichung Jugoslawiens von der Landkarte der Welt wie die UN-Charta selbst, an deren Verabschiedung dieser sozialistische Staat beteiligt war. Seitdem wurde die Praxis, die Vereinten Nationen überall dort in Anspruch zu nehmen, wo es den eigenen Zielen dient, und immer dann zu übergehen, wo dies nicht der Fall ist, nicht nur zur selbstverständlichen Politik der NATO-Staaten. Sie setzt auch die Gründe in die Welt, auf die sich die Sachwalter der Transformation des internationalen Völkerrechts zur voluntaristischen Selbstermächtigung im Rahmen der Responsibility-To-Protect-Doktrin berufen, was nichts anderes bedeutet, als daß sich der Täter zum Richter in eigener Sache aufschwingt.

Das "Hindernis", das das in seiner Staatlichkeit nun international konstitutierte Palästina angeblich für einen Frieden mit Israel darstellt, besteht in dem Bestreben seiner Bevölkerung, aus staatsrechtlicher Fiktion territoriale Realität werden zu lassen. Im Oslo-Friedensprozeß mit der Aussicht auf Eigenstaatlichkeit hingehalten, während die räumliche Voraussetzung zur Erfüllung dieses Versprechens durch den israelischen Siedlerkolonialismus Schritt für Schritt zerstört wurde, haben die Palästinenser jetzt eine Aufwertung erfahren, die ihnen aber nicht nur mehr Handlungsmöglichkeiten verschafft. Sie bürdet ihnen auch die Last auf, daß das Interesse Israels, den Status quo der Besatzung als permanentes Provisorium zu belassen, das den Horizont der Eigenstaatlichkeit niemals erreicht, weil er von vornherein als Fata Morgana angelegt wurde, mit verstärkter Intensität durchgesetzt wird.

Die Anerkennung Palästinas wird also wenig ändern, wie schon die Strategie der israelischen Regierung zeigt, nur dann in Verhandlungen mit der palästinensischen Seite zu treten, wenn diese keine Vorbedingungen stellt. Im Klartext bedeutet dies, die grundsätzliche, seit 1967 verweigerte Bringschuld Israels nicht einzufordern, sondern das real vollzogene Gewaltverhältnis zwischen Besatzern und Besetzten fortzuschreiben. Sollte es unter dieser Bedingung zu einer sogenannten Friedenslösung kommen, dann bestände diese bestenfalls in einem scheinsouveränen palästinensischen Hoheitsgebiet, das den Sicherheitsinteressen Israels in allen Belangen etwa durch den Verzicht auf die Lufthoheit und eine eigenständige Grenzsicherung Genüge täte. Eher wahrscheinlich ist, daß das durch israelische Siedlungen und Verkehrswege zerstückelte Westjordanland und der davon gänzlich abgetrennte Gazastreifen zu einer Staatsbildung im konventionellen Sinne kaum mehr geeignet wären.

Bleibt die Einstaatenlösung, die daran scheitert, daß sich die Mehrheit der israelischen Bevölkerung nicht auf sie einlassen will, weil sie in einem Palästina aller Bevölkerungen zur Minderheit zu werden drohte. In einem demokratischen Gemeinwesen, in dem alle Menschen, die auf dem ehemaligen Mandatsgebiet Palästina leben, ohne Ansehen von ethnischer Herkunft und religiösem Bekenntnis lebten, wäre der konstitutionelle Anspruch auf den jüdischen Charakter Israels erloschen. Was anderen Staaten, deren Regierungen auf ethnischen oder religiösen Präferenzen bestehen, als undemokratische Rückständigkeit angelastet wird, ist für die US-Regierung, die gegen die Anerkennung eines Beobachterstaats Palästina stimmte, unverhandelbar.

So verständlich der Jubel der Palästinenser über die Entscheidung der UN-Generalversammlung ist, so sehr ist zu befürchten, daß die an Israel gerichtete Anforderung, sich über die Beibehaltung des Status quo hinaus in die eine oder andere Richtung zu bewegen, zu Lasten der palästinensischen Bevölkerung gehen wird. Solange die führenden NATO-Staaten das Nahostproblem als eines der Palästinenser und nicht der Israelis behandeln, solange besteht die Gefahr, daß die regionale Neuordnung, die derzeit in Syrien vollzogen wird und damit längst nicht erledigt ist, dazu benutzt wird, eine gewaltsame Lösung auch dieses Problems im Nebenherein anzustreben. Der Schutz, den sich die Palästinenser von ihrer staatsrechtlichen Aufwertung versprechen, ist, wie die systematische Aushöhlung des internationalen Völkerrechts durch die NATO-Staaten zeigt, im Ernstfall nicht das Papier wert, auf dem dieser Anspruch erhoben wird.

30. November 2012