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FRIEDEN/1124: Seelenheil und Realpolitik im Ratschluß der EKD (SB)




"Deutschland muß führen, damit Europa nicht schwächer wird", beschließt der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe einen Beitrag [1] zur sogenannten Sicherheitskonferenz in München, in dem er einen Rundumschlag gegen die defätistische Haltung führt, nicht alles zu geben, was einer europäischen Führungsmacht auf militärischem Gebiet gut zu Gesicht stünde. Deutschland muß Krieg führen, lautet der summarische Klartext seiner Ausführungen, die mit haltlosen Behauptungen über die Verschlechterung der Lage in Afghanistan, Libyen, Mali und der Zentralafrikanische Republik für den Fall aufwarten, daß es dort nicht zu Interventionen einzelner NATO-Staaten gekommen wäre. Ein Blick auf die Notlage der Bevölkerung in diesen Ländern reicht, um zu wissen, daß dort zweifellos viel Hilfe benötigt wird, um es gar nicht erst zu im Kern sozial bestimmten Konflikten kommen zu lassen. Die inneren Zerwürfnisse dieser Länder durch militärische Parteinahme von außen zu vergrößern hingegen liegt im Interesse von Staaten, die auf diese Weise ihren strategischen Einfluß mehren und Geländegewinne in der globalen Konkurrenz erzielen können.

Das Wissen um das Mißverhältnis zwischen unterstellter Notwendigkeit kriegerischer Interventionen und konkreter materieller Förderung im Sinne eines nicht fremdnützigen Aufbaus wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen treibt auch evangelische Christen um. Als die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Margot Käßmann, mit den Worten "Nichts ist gut in Afghanistan" kategorische Kritik an der deutschen Kriegführung übte [2], war ihr Rücktritt unvermeidlich geworden. Dieser erfolgte angeblich wegen einer persönlichen Verfehlung, doch war die couragierte Frau für ein Amt, in dem sie Millionen Bundesbürger erreichte, untragbar geworden [3]. Nun meldet sich ihr Nachfolger Nikolaus Schneider anläßlich der Präsentation der EKD-Denkschrift "Selig sind die Friedfertigen" zu Wort und empfiehlt, bei künftigen Kriegen nicht auf den Ratschluß seiner Kirche zu verzichten.

Als politische Empfehlung hat er im Interview mit dem Deutschlandfunk [4] den Vorschlag im Gepäck, daß der Bundestag nicht nur militärische Mandate beschließt, sondern "von vornherein auch die zivilen Komponenten mit mandatiert" und den "Aufbau einer zivilen Struktur innerhalb der Gesellschaft durch Nichtregierungsorganisationen und auch Regierungsorganisationen" in dem jeweiligen von der Bundeswehr und anderen NATO-Streitkräften heimgesuchten Land sicherstellt. Damit rennt er bei den Experten der strategischen Planung offene Türen ein, ist doch die Zivilmilitärische Zusammenarbeit integraler Bestandteil der Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie zuletzt Entwicklungsminister Gerd Müller mit der Ankündigung bestätigte, in afrikanischen Krisenregionen mehr Ausbilder der Bundeswehr als auch mehr Entwicklungshelfer einzusetzen.

Die bereits in Afghanistan erprobte Strategie, humanitäre Organisationen in die militärische Besatzungspolitik einzubinden, sorgt zuverlässig dafür, daß diese von den Gegnern ausländischer Invasoren als operative Elemente der Aggressoren ausgemacht und dementsprechend bekämpft werden. Schneiders Begründung dafür, die theologische Rechtfertigung militärischer Auslandseinsätze nicht rundheraus auszuschließen, sondern am Beispiel der Bundeswehr in Afghanistan darzustellen, daß es sich um eine zwar nicht Frieden schaffende, die Voraussetzungen für einen Frieden jedoch verbessernde und damit im Interesse der Bevölkerung stehende Maßnahme handelt, könnte die Bedeutung der EKD für die Flankierung des deutschen Imperialismus nicht besser herausstreichen.

So könne man mit Jesus, "der ganz konsequent auf Gewaltausübung verzichtet hat", einen militärischen Einsatz zwar nicht rechtfertigen, doch müsse man sich klarmachen, "dass wir in einer Welt leben, die noch nicht das Reich Gottes ist", denn noch gebe es "das Böse als einen realen Machtfaktor". Auch der historische Jesus von Nazareth ist der römischen Fremdherrschaft nicht im Reich Gottes mit antikolonialistischem Widerstand entgegengetreten, sondern auf der ganz menschlichen Ebene des direkten Kontakts. Jesus bedingungslosen Pazifismus zu unterstellen, um ihn in eine utopische Zukunft zu entsorgen, damit auch Christen ganz ungestört von seinem Beispiel kolonialistische Kriege führen können, ist die einfache Lösung des klerikalen Problems, die Infragestellung der gesellschaftlichen Grundlagen kirchlicher Herrschaft gegen den Religionsstifter zu kehren, auf den sie sich berufen.

Den Frieden der Paläste mit dem Frieden der Hütten gleichzusetzen ist seit jeher das probate Mittel christlicher Prediger, vom Frieden zu künden und den Krieg zu meinen. Es wird gleichgesetzt, was durch unvereinbare soziale Gegensätze nicht miteinander zu vereinbaren ist, um am Ende die Harmonie der Klassenherrschaft mit Gebet und Abendmahl zu heiligen. Die Büchse des sozialen Widerstands hermetisch zu verschließen, in dem das Böse als letzte Antwort auf alle Fragen keine zweite Meinung neben sich gelten läßt, ist ein allerdings leicht durchschaubarer Taschenspielertrick. So zieht der Ratsvorsitzende der EKD den militärischen Kampf gegen Hitlerdeutschland zur Rechtfertigung kriegerischer Interventionen der Bundesrepublik in anderen Ländern heran.

Gewaltsam gegen einen Aggressor vorzugehen, der mit expliziten Vernichtungsabsichten über das eigene Land herfällt, und dies mit der angeblich an den Hindukusch ausgelagerten Verteidigung Deutschlands gleichzusetzen, diffamiert den dagegen gerichteten Widerstand als illegitimes Aufbegehren gegen den christlich geprägten Werteuniversalismus der NATO-Staaten. Diesen Kodex durch die prinzipielle Anerkennung seiner interventionistischen Logik absolut zu setzen und seine exekutiven Organe dem postulierten Bösen, das es zu bekämpfen gilt, gemäß zu Sachwaltern des Guten zu erheben, steht ganz in der Tradition eines Martin Luther, der sich im Zweifelsfall auf die Seite der Fürsten schlug und die sozialrevolutionären Bauern verdammte. Dies als unverhohlene Empfehlung mißzuverstehen, keinesfalls ohne den geistlichen Beistand der EKD in den nächsten Krieg zu ziehen, dürfte den Adressaten der evangelischen Friedensinitiative in Staat und Gesellschaft schwerfallen.

Die moralischen Bauchschmerzen der Gläubigen zu lindern, wenn wieder einmal ein deutscher Offizier Befehl zum Luftangriff auf unbeteiligte Zivilisten gibt, die Kampfkraft unter Zweifeln ob des eigenen Tuns leidenden Soldatinnen und Soldaten mit militärgeistlichem Beistand wiederherzustellen und nicht zuletzt humanitäre Schützenhilfe bei der Befriedung fremder Bevölkerungen für die hegemonialen Interessen Deutschlands zu leisten, stellen das nicht eigens durch den Bundestag zu bestätigende, weil quasi gottgegebene Mandat der EKD dar. Derart eingebunden in die Frieden und Wohlstand hierzulande sichernde Interessenpolitik deutscher Regierungen fehlt jeder Anlaß, diesen gegenüber klare Worte zu finden, wenn sie, wie etwa im Irakkrieg, die blutige Aggression eines verbündeten Staates logistisch und geheimdienstlich unterstützen. Die letztinstanzliche Berufung auf einen Gott, der Gut und Böse in die Welt gebracht hat, verschafft auch dem Bomberpiloten und Drohnenoperateur bei der Verrichtung seines mörderischen Handwerks ein reines Gewissen.

Der Auftrag der EKD: Bei der Sicherung deutscher Interessen in aller Welt auch mit militärischen Mitteln durch die Befriedung der deutschen Bevölkerung Ruhe an der Heimatfront herzustellen. "Selig sind die Friedfertigen" - weil sie die Zuständigkeit für den sozialen Krieg in aller Welt im Trachten nach dem eigenen Seelenheil an die machtpolitische Regulation des Mangels delegieren. Das Gegenmittel gegen den Mißbrauch des sogenannten Gewissens als Garanten sozialdarwinistischer Überlebenslogik: in Kontakt mit den sorgsam ferngehaltenen Widersprüchen treten, die herrschaftsichernde Funktion klerikaler Jenseitshoffnung durchschauen, sich nicht länger der institutionalisierten Definitionshoheit unterwerfen, mit der die angebliche Stellvertreterpolitik religiöser Autoritäten begründet wird, und solidarischen Widerstand in erster und zweiter Person leisten.


Fußnoten:

[1] https://www.securityconference.de/news/article/deutschland-muss-fuehren-damit-europa-nicht-schwaecher-wird/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/frie1041.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/frie1051.html

[4] http://www.deutschlandfunk.de/evangelische-kirche-es-gibt-das-boese-als-realen-machtfaktor.694.de.html?dram:article_id=275701

27. Januar 2014