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HEGEMONIE/1613: Dilemma opportunistischer Außenpolitik - EU im Spannungsfeld zwischen Iran und USA (SB)



Der Ärger deutscher Außenpolitiker wie Elmar Brok, der neben seiner Funktion als Abgeordneter der CDU im EU-Parlament insbesondere als Lobbyist des Bertelsmann-Konzerns bekannt ist, und des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Eckart von Klaeden, über die Teilnahme der schwedischen Ratspräsidentschaft an der Vereidigungszeremonie Mahmud Ahmadinejads zum iranischen Präsidenten ist verständlich. Da dieser Politiker zum Sinnbild all dessen erklärt wurde, was im Iran nach Ansicht der iranischen Oppositionsbewegung und westlicher Regierungen falsch läuft, schwächt jede Handreichung in seine Richtung die Schlagkraft des erfolgreich in Stellung gebrachten Stigmas des politisch Erzbösen. Indem er ohne Beweis für die angebliche Wahlfälschung, die ihm eine zweite Amtszeit beschert haben soll, und ohne Wissen um die komplizierten Verstrebungen im Machtgefüge des Landes zum Willkürherrscher aufgebaut wurde, verfügen die EU und USA über ein Feindbild, daß sich für ihre Zwecke hervorragend verwenden läßt.

Dabei ist nicht nur an dem sogenannten Atomstreit zu denken, in dem dem Iran das ihm vertraglich zustehende Recht auf zivile Nutzung der Urananreicherung aberkannt werden soll. Auch die Bedeutung des Landes als regionale Mittelmacht, die sich den hegemonialen Interessen des Westens in dieser globalstrategisch zentralen und ressourcenreichen Region in den Weg stellt, die Blockade westlicher Kapitalinvestitionen in eine mit 71 Millionen Menschen und erheblichen Einkünften aus dem Öl- und Gasexport wirtschaftlich hochinteressante Volkswirtschaft durch Gesetze, die dem Staat Vorrechte bei der Verwertung der eigenen Produktivität garantieren, der starke Einfluß Teherans auf die Regierung im Irak, der seinerseits ein immer wichtigeres Ziel für westliche Investoren wird, die Allianz mit der libanesischen Hisbollah und die Unterstützung, die die iranische Regierung den Palästinensern in ihrem Kampf gegen die israelische Besatzungspolitik gewährt, sind den Regierungen in den USA und der EU ein Dorn im Auge.

In Stockholm hat der Sprecher des Außenministeriums, Anders Jorle, die Frage, wieso die schwedische EU-Ratspräsidentschaft ihren Botschafter Magnus Wernstedt an der Vereidigungszeremonie Ahmedinejads teilnehmen hat lassen, damit beantwortet, daß es wichtig sei, "dass die EU-Ratspräsidentschaft einen diplomatischen Kommunikationskanal zur iranischen Regierung hält", um "gute wie schlechte Botschaften" (ap, 05.08.2009) kommunizieren zu können. Jorle betonte, daß dies keineswegs bedeute, "dass die EU-Ratspräsidentschaft die Menschenrechtsverletzungen im Iran akzeptiert", vermied aber, sich zu dem Vorwurf zu äußern, daß der Wahl Ahamadinejads dadurch nachträglich Legitimität zugesprochen werde.

Da es bislang jedes handfesten Beweises entbehrt, mit dem sich der Vorwurf der Wahlfälschung verifizieren ließe, und es andererseits plausible Argumente dafür gibt, daß Ahmedinejad tatsächlich von der Mehrheit der Iraner wiedergewählt wurde, befindet sich die schwedische Regierung nicht in der Not, dies zu tun. Sie pflegt mit dieser Entscheidung einen nüchternen und rationalen Umgang mit einem emotional und propagandistisch hochaufgeladenen Thema, in dem sich das Interesse einiger EU-Regierungen spiegelt, den eigenen Einfluß in Teheran nicht vollständig zur Disposition der Hardliner in Washington und Tel Aviv zu stellen. Zwar hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy es US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel gleichgetan, indem er ankündigte, Ahmedinejad nicht zu seiner Wiederwahl gratulieren zu wollen, im Unterschied zu Obama und Merkel hat er allerdings den französischen Botschafter beauftragt, an der Zeremonie teilzunehmen. Selbst die Bundesrepublik hat einen "Beobachter" geschickt und damit signalisiert, daß man den Kontakt mit der Regierung dieses wichtigen Handelspartners nicht ganz abreißen lassen will.

Wie schon bisher besteht das Dilemma der Europäer im Verhältnis zum Iran darin, in diesem Konflikt den strategischen Interessen Washingtons zuarbeiten und dabei die eigenen Interessen vernachlässigen zu müssen. Während US-Unternehmen Geschäfte mit iranischen Partnern aufgrund des von ihrer Regierung gegen das Land verhängten Wirtschaftsembargos bestenfalls über Strohmänner abwickeln können, sind europäische und dabei namentlich französische und deutsche Firmen dort sehr präsent. Eine vollständige Boykottierung des Irans brächte den durch die Wirtschaftskrise gebeutelten Exportindustrien der EU zusätzliche Probleme ein, so daß man bei aller Verurteilung der Teheraner Führung keineswegs so weit gehen möchte, wie in Washington verlangt alle Handelsbeziehungen zum Iran zu suspendieren. Gleichzeitig wittert man in der EU die Gefahr, daß die eigene Beteiligung an einem Regimewechsel in Teheran am Ende nur zu einer Bevorteilung der US-amerikanischen Konkurrenz führen könnte.

Während man in der EU nicht den Eindruck erwecken möchte, mit dieser iranischen Regierung einen normalen Umgang zu pflegen, baut man darauf, daß die gegenseitige Abhängigkeit genügend Bindekraft bietet, um einen pragmatischen Verkehr aufrechterhalten zu können. Der Wahrung der Menschenrechte und der Unterstützung der iranischen Oppositionsbewegung kommt in diesem Kontext ein ausschließlich symbolischer Stellenwert zu, hat man doch keinerlei Probleme damit, die schwerwiegende Unterdrückung der Bürgerrechte in Ägypten oder die Diskriminierung von Frauen in Saudi-Arabien als Ausdruck der landesspezifischen Kultur von der eigenen Kritik auszunehmen. An der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel ist man sogar aktiv beteiligt, ohne daß die Menschenrechtskommissare der EU Einwand erhöben.

Das größte Problem für die EU-Diplomatie besteht darin, kaum einschätzen zu können, ob sich Ahmedinejad für die Dauer seiner Amtszeit behaupten kann oder ob er gestürzt wird. Der heftige Machtkampf, der zwischen ihm und dem orthodoxen Klerus ausgebrochen ist, eröffnet bei der Frage, wer ihn beerben könnte, wenig erfreuliche Aussichten. So sind die Chancen auf einen Regimewechsel im erwünschten Sinne, der Ahmedinejads Herausforderer Mir Hossein Moussavi an die Spitze spülte und dessen wichtigsten Unterstützer Ali Hashemi Rafsanjani noch mehr Macht zuschanzte, als er ohnehin schon besitzt, durch den Riß in der iranischen Führung nicht gewachsen. Eher ist anzunehmen, daß die orthodoxen Eliten ihre momentane Schwäche dadurch kompensieren, daß sie mit noch größerer Repression auf alle Versuche reagieren, einen von der Straße ausgehenden Umsturz durchzusetzen, könnte dieser doch nicht nur Ahmedinejad, sondern mit ihm auch den obersten Rechtsgelehrten Ali Khamenei und das gesamte System der islamischen Theokratie hinwegfegen.

Der Machtkampf in Teheran belegt zudem, daß die politischen Verhältnisse im Iran weit komplexer sind, als die Anprangerung Ahmedinejads als brutaler Diktator und Hitlers Wiedergänger suggeriert. Was diesen für westliche Politiker wie hochrangige Kleriker gleichermaßen unverdaulich macht, ist sein Festhalten an den Idealen einer schiitischen Revolution, die zwar nicht sozialrevolutionärer Art ist, die den Staat aber auch nicht in die Hände einer Oligarchie legen will, als deren prototypischer Vertreter Rafsanjani gelten kann. Ahmedinejad scheint in seinem religiösen Bekenntnis innerhalb des schiitischen Islam eine so radikale Position einzunehmen, daß er für pragmatische machtpolitische Kompromisse nur bedingt verwendungsfähig ist. Das wiederum scheint einen Gutteil seiner Attraktivität bei dem Gros der armen Bevölkerung auszumachen, deren Überleben vom Erhalt sozialpolitischer Zugeständnisse abhängt, die die iranische Regierung finanziell nur bestreiten kann, indem sie den Öl- und Gasexport unter ihrer Kontrolle behält.

Die weitere Isolation des Irans verschärft die mit den Angriffsdrohungen Israels gewachsene Gefahr eines in seiner Dimension kaum zu ermessenden Krieges in der Region. Alle Brücken zur Teheraner Führung abzubrechen befördert die Interessen all jener Kräfte, die in der Radikallösung eines angeblich präventiven Angriffs auf das Land die beste Möglichkeit sehen, ihre Interessen durchzusetzen. Ein solcher Krieg würde die Situation im Nahen und Mittleren Osten auf Jahre hinaus so polarisieren, daß EU wie USA ihren Einfluß mit noch größerem Aufwand militärisch absichern müßten. Ist dieser Krieg einmal ausgebrochen, dann wird sich zeigen, daß die Dämonisierung Ahmedinejads durch die Journalisten und Politiker imperialistisch agierender Staaten, von deren Bilanz vergossenen Blutes, gefolterter Gefangener und ökonomischer Verelendung mit großem demagogischen Aufwand abgelenkt wird, stets dem Ziel zuarbeitete, diesen Waffengang vorzubereiten und zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der schwedischen Ratspräsidentschaft, welche Motive ihr auch immer zugrundeliegen mögen, allemal zu begrüßen.

5. August 2009