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HEGEMONIE/1645: Griechenlands Bevölkerung soll für die Krise bezahlen (SB)



EU-Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia hat angekündigt, die Umsetzung des Schuldenabbaus Griechenlands streng zu überwachen. Dies ist ein erster Schritt im Rahmen budgetpolitischer Disziplinierungsmaßnahmen, auf die weitere folgen können. Wenn die Regierung in Athen den von ihr vorgelegten Plan, das Haushaltsdefizit von knapp 13 Prozent bis 2012 auf maximal 3 Prozent BIP zurückzufahren, nicht erfolgreich vorantreibt, drohen empfindliche Sanktionen.

Die EU-Kommission scheint nicht viel Vertrauen in die Zusicherung des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou zu setzen, daß er der Bevölkerung die dafür erforderlichen drastischen Sparmaßnahmen aufzwingen wird. Er will die Beamtengehälter einfrieren, die Steuern insbesondere bei Treibstoffen erhöhen und das Renteneintrittsalter heraufsetzen.

Schon diese Maßnahmen, zu denen sich weitere Sozialkürzungen gesellen dürften, sind gegenüber einer Bevölkerung, die immer wieder streitbar für ihre Interessen eingetreten ist, nur mit Gewalt durchzusetzen. Obwohl die EU-Kommission weiß, daß die beabsichtigte Schuldensenkung eine Austeritätspolitik voraussetzt, die zu massiven sozialen Verwerfungen führt, fordert sie die griechische Regierung zu weiteren Lohnkürzungen und einen Neueinstellungsstopp im öffentlichen Dienst auf. Sollten aus dem alle drei Monate bei der EU-Kommission abzuliefernden Fortschrittsbericht, der die Umsetzung der Sparmaßnahmen belegen soll, sowie dem monatlich im Internet zu veröffentlichenden Haushaltsbericht nicht hervorgehen, daß die Sparziele erreicht werden, dann drohen Sanktionen in Form von Geldbußen in Höhe von 0,2 bis 0,5 Prozent des BIP oder der Sperrung von EU-Fördergeldern.

Diese sollen laut Finanzminister Georgios Papaconstantinou in den kommenden drei Jahren 16 Milliarden Euro betragen und sind für die angestrebte Rückkehr zu positiven Wachstumsraten fest eingeplant. Sanktionen, die in das Fleisch schneiden, dessen Wachstum die Grundlage der ökonomischen Sanierung sein soll, sind ausschließlich kontraproduktiv. Wozu kann Brüssel die Regierung eines EU-Mitglieds nötigen, die die Ziele eines Dezifizitsverfahrens schlicht aus nicht vorhandener Substanz heraus verfehlt? Der Bevölkerung die erforderlichen Haushaltsmittel aus den Rippen zu schneiden führte zweifellos zu Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Letztendlich wird die betroffene Administration zu ultimativen Entscheidungen gedrängt. Da der EU-Vertrag den Mitgliedern der Eurozone verbietet, sich gegenseitig durch Kredite aus Haushaltsproblemen herauszuhelfen, blieben der Pasok-Regierung bei einer harten Linie der EU nur noch die Möglichkeiten, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit zu beantragen, Staatsbankrott zu erklären oder aus der Eurozone auszutreten.

Die von der Eurozone am meisten profitierende Bundesrepublik wie auch andere westeuropäische Mitglieder der Eurozone können an dieser Entwicklung kein Interesse haben, schadet jede der drei Optionen doch der eigenen Geschäftsgrundlage, die wesentlich auf dem Export in die Eurozone basiert. Während ein IWF-Kredit kaum in Frage käme, weil Griechenland damit vom Regen in die Traufe einer Zwangsverwaltung geriete, deren spezifische Bedingungen zudem gegen den Vertrag von Maastricht verstießen, könnte der Staatsbankrott auf andere überschuldete Euro-Staaten übergreifen und die gesamte Währungsunion bedrohen. Zudem wären die Auswirkungen auf den Finanzsektor erheblich und würde die unbewältigt gebliebene Wirtschaftskrise erneut eskalieren lassen. Es ist mithin noch nicht ausgemacht, ob man sich nicht doch, ähnlich wie bei den unorthodoxen Methoden der Bankenrettung, für eine vertragswidrige Sanierung des Landes entschließt.

Ein Austritt aus der Eurozone und die Rückkehr zur Drachme wäre für Griechenland vielleicht die beste Möglichkeit, seine Probleme auf lange Sicht zu bewältigen. So hat der Chefökonom der UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz, Heiner Flassbeck, wiederholt darauf hingewiesen, daß das nicht kompensierte Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Nationen der Eurozone maßgeblich für die negative ökonomische Entwicklung Griechenlands und anderer Staaten der südlichen und östlichen EU-Peripherie sind. Da die Bundesrepublik ihren Exportvorteil durch reale Lohnsenkungen ausgebaut habe, litten andere Länder, die die Kosten der Lohnarbeit nicht auf ein entsprechend niedriges Niveau gedrückt hätten, nun an einem Leistungsbilanzdefizit, das ein weit größeres Problem als das Haushaltsdefizit darstelle, um das es bei den aktuellen Maßnahmen der EU-Kommission geht.

Martin Knapp von der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen erinnerte im Deutschlandfunk (03.02.2010) daran, daß Griechenland nach dem Beitritt zur EU 1981 einen industriellen Niedergang erlitten habe. Viele Unternehmen, die sich dort niedergelassen hätten, weil die vordem hohen Zollmauern ihnen keine andere Möglichkeit gelassen hätten, dort tätig zu werden, verließen das Land. In den 1990er Jahren hätte die wirtschaftliche Öffnung des Balkans zur Abwanderung einheimischer Industrien etwa der Textilproduktion in Länder mit niedrigeren Lohnniveaus geführt. Auch das habe zum starken Übergewicht der Importe nach Griechenland beigetragen, so Knapp, der sich allerdings für den harten Sparkurs der Regierung Papandreou ausspricht.

Die wirtschaftlichen Probleme des Landes sind nicht nur hausgemacht, wie neoliberale Ökonomen behaupten, die den Regierungen in Athen anlasten, durch zu hohe Sozialleistungen und Lohnentwicklungen über ihre Verhältnisse gelebt zu haben. Sie sind ein wesentliches Ergebnis der unter dem Vorzeichen einer neoliberalen Arbeits- und Handelspolitik erfolgten europäischen Integration und wurden durch die gemeinsame Währung, die es den Mitgliedern der Eurozone unmöglich macht, gegen merkantile Offensiven abzuwerten, verschärft. Indem diese Entwicklung nun in ein System der Zwangsverwaltung führt, mit dem die haushaltspolitischen Entscheidungen der Athener Regierung durch Brüssel verfügt werden, soll die griechische Bevölkerung mit materiellen Einbußen für die Solidität des Euro einstehen. Sie wird zur Kasse gebeten für eine sozialfeindliche Politik der Profitmaximierung, die im System der Europäischen Union strukturell angelegt und durch den Reformvertrag zementiert wurde.

Auch in Brüssel weiß man, daß der eingeschlagene Sparkurs zu sozialen Verwerfungen führen wird, die sich in regelrechten Revolten entladen könnten. Sollte man diesen harten Kurs durchziehen, dann erklärte man Griechenland zum Experimentierfeld für ein Krisenmanagement, das die Sicherung des ökonomischen Bestands mit massiver Repression gewährleistet. Die von Heiner Flassbeck vorgeschlagene Möglichkeit, sich nicht mehr von den Rating-Agenturen abhängig zu machen, deren negative Einstufung griechische Anleihen extrem teuer macht und seinen Wettbewerbsnachteil vergrößert, sondern dem Land mit einer EU-Anleihe aus den gröbsten Schwierigkeiten herauszuhelfen (Deutschlandradio, 30.01.2010), verstößt allerdings gegen das neoliberale Credo der EU-Kommission, laut dem die mißliche Lage des Landes selbstverschuldet sei und man derartigen Entwicklungen durch finanzielle Nothilfemaßnahmen keinen Vorschub leisten dürfe. Am Beispiel des griechischen Staates zu wiederholen, was man den krisengeschüttelten Banken ohne weiteres zugestanden hat, bleibt daher umstritten.

Diesen Entscheidungsprozeß könnte die Athener Regierung mit dem Nachdenken über einen Austritt aus der Eurozone beschleunigen. Wenn dies nicht ohnehin im Sinn der anderen Euro-Staaten wäre, die sich auf diese Weise eines den Euro schwächenden Mitglieds entledigen könnten, dann sollte die EU-Kommission der griechischen Bevölkerung weniger harte Bedingungen für das Defizitverfahren auferlegen, um Griechenland von diesem Schritt abzuhalten. Dessen Ziel, die Staatsschulden bis 2012 wieder unter die offizielle 3-Prozent-Marke zu drücken, orientiert sich an einer Währungsstabilität, die auch von anderen EWU-Staaten nicht eingehalten wird und die in einer Weltwirtschaftskrise, die an die Substanz der bürgerlichen Daseinsvorsorge greift, alles andere als sinnvoll ist.

Wieder einmal geht es um die Frage, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen die Europäer leben wollen. Der Plan, die EU zu einem hochproduktiven wettbewerbseffizienten Wirtschaftsraum zu entwickeln, der die globale Konkurrenz erfolgreich dominiert, erweist sich, wie seine Kritiker stets prognostiziert haben, als Strategie, nicht nur andere Bevölkerungen, sondern auch die eigenen Bürger nach Kräften auszubeuten. Er ist im Rahmen der Lissabon-Strategie glorreich gescheitert und soll dennoch, den Blick, als gäbe es keine Weltwirtschaftskrise, starr auf Wachstumsziele gerichtet, weiter verfolgt werden. Die dafür reklamierte Alternativlosigkeit ergibt sich nicht aus einer wie von selbst über die Welt gekommenen kapitalistischen Globalisierung, sondern ist Produkt eines politisch gewollten Strukturwandels. Die inneren Widersprüche des Kapitalismus sollen zum Preis anwachsender Katastrophen in die Länge gestreckt werden, wie die krisengestählte Lernresistenz der europäischen Regierungen und Funktionseliten zeigt. Das Beispiel eines Landes, das zugunsten der Integrität des EU-Kapitalismus Teile seiner Souveränität abgeben muß, weil seine Bevölkerung noch zu viele Forderungen stellt, die nicht mit dem Brüssler Spardiktat vereinbar sind, bietet Anlaß, gegen die von menschlichen Verlusten völlig unbeeindruckte Fortschreibung dieser Verhältnisse aufzustehen.

3. Februar 2010