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HEGEMONIE/1657: "Vertrauen in die Märkte" - EU-Diktat der Unterwerfung (SB)



Der in deutschen Boulevardzeitungen ausgebrochen Jubel über den Wandel der Bundesrepublik vom Zahl- zum Zuchtmeister hallt noch nach, da zeigt sich angesichts der jüngsten Anleihe Griechenlands, wie irregeleitet dieser Triumphalismus ist. Die auf sieben Jahre aufgenommenen 5 Milliarden Euro sind mit einem Risikoaufschlag versehen, der mehr als doppelt so hoch ist wie der Zinssatz, den die Bundesrepublik für Anleihen aufbringen muß. Der Notfallplan, mit dem die Euroländer sich darauf festlegten, einen Staatsbankrott Griechenlands zu verhindern, hat die Renditeforderung für griechische Staatschulden nur kurzfristig gedämpft, bevor sie wieder zulegte. Laut Financial Times Deutschland (29.03.2010) setzen die internationalen Währungspekulanten trotz leichter Stärkung des Euro gegenüber dem Dollar langfristig auf einen weiter sinkenden Euro. Kurz gesagt, die Eurogruppe hat den Finanzmarkt nicht wirklich davon überzeugt, daß die Krise Griechenlands und des Euro damit beendet ist.

Was laut Bankenvertretern vor allem auf die politischen Schwierigkeiten beim Krisenmanagement zurückzuführen sei, läßt sich auch mit dem restriktiven Charakter des Notfallplans erklären. Er sieht direkte Finanzhilfe nur bei unmittelbar drohendem Staatsbankrott vor, und das unter Marktbedingungen. So heißt es im Beschluß der Eurogruppe zur Finanzkrise Griechenlands vom 25. März:

"Dieser Mechanismus, der die Finanzierung durch den Internationalen Währungsfonds ergänzt, muss als Ultima Ratio betrachtet werden, was insbesondere bedeutet, dass die Finanzierung an den Märkten ungenügend ist. Jede Auszahlung der bilateralen Kredite würde einstimmig von den Eurostaaten beschlossen werden, an strikte Bedingungen und an eine Bewertung durch die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank geknüpft sein. Wir erwarten, dass sich Eurostaaten auf der Grundlage ihres jeweiligen EZB-Kapitalschlüssels beteiligen. Das Ziel des Mechanismus wird nicht sein, Finanzierung zu durchschnittlichen Zinsen in der Eurozone zu beschaffen, sondern durch risikoorientierte Kosten Anreize für die raschestmögliche Rückkehr zur Finanzierung durch die Märkte zu schaffen."
(FTD, 26.03.2010)

Dieses vermeintliche Zugeständnis an in Not geratene Euroländer läßt diese im Klartext am ausgestreckten Arm verhungern. Wie das Beispiel Griechenlands zeigt, das bis Ende Mai noch 10,5 Milliarden Euro zusätzlich zu der jetzt plazierten Anleihe von 5 Milliarden Euro zur Refinanzierung aufbringen muß, werden dabei Risikoaufschläge fällig, die das angestrebte Ziel einer Konsolidierung des Staatshaushalts in weite Ferne rücken lassen. Der erhebliche Schuldendienst frißt die durch die massive Austeritätspolitik erwirtschafteten Gelder sogleich wieder auf, so daß der Schuldendruck kaum nachlassen wird. Gleichzeitig zehrt die Verknappungspolitik den Binnenmarkt aus und bewirkt so eine Depression der Wirtschaft, die dem Ziel höherer Steuereinnahmen entgegenwirkt.

Dies wiederum wird auchdie Wirtschaft der Bundesrepublik in Mitleidenschaft ziehen, so daß sich die kleinbürgerliche Moral, laut der die fleißigen Deutschen den faulen Griechen keinen Cent mehr geben sollen, weil sie sonst niemals die vermeintlichen Tugenden deutscher Arbeitsmoral erlernen, als dem eigenen Interesse kontraproduktive Rechthaberei erweisen wird. Der beabsichtigte Zweck der nationalchauvinistischen Vergewisserung wird jedoch allemal erreicht - auch der Hartz IV-Empfänger glaubt nun, daß seine Misere durch levantinische Mißwirtschaft und nicht den Klassenkampf von oben bedingt ist.

Gelingt die Aufnahme neuer Kredite am Kapitalmarkt nicht, dann wird die Eurogruppe zwar Geld zur Refinanzierung bereitstellen, dies jedoch zu den der mangelnden Risikobereitschaft privatwirtschaftlicher Kreditgeber entsprechend ungünstigen Konditionen. Der Schuldner gelangt vom Regen in die Traufe, so daß es im Falle Griechenlands naheliegender erscheinen könnte, sich sogleich an den Internationalen Währungsfonds zu wenden. Erschwerend hinzu kommt die Möglichkeit, daß ein Staat der Eurozone sein Veto einlegt. Dieser Vorbehalt dürfte das Interesse der Bundesregierung reflektieren, den Schuldendruck als politisches Instrument zur Mehrung des eigenen Einflusses einzusetzen. Die von Merkel beabsichtigte Änderung des Lissabon-Vertrags zur Verschärfung der Sanktionen gegen Schuldnerstaaten bis hin zum Ausschluß aus der Eurozone basiert auf der Gewißheit, daß die Bundesrepublik selbst niemals Objekt derartiger Maßnahmen werden wird. Die neue deutsche Härte, die die Bundeskanzlerin an den Tag legt, ist um so mehr auf Rückendeckung durch die USA angewiesen, wie die von ihr durchgesetzte Einbeziehung des IWF in die Krisenbewältigung belegt.

Auch in dieser Hinsicht ist der Vergleich Angela Merkels mit der "eisernen Lady" Margaret Thatcher nicht ganz unzutreffend - die von der britischen Premierministerin propagierte Verkürzung der sozialen Frage auf die neokonservative Anthropologie des homo oeconomicus findet in der DDR-sozialisierten Bundeskanzlerin seine Fortsetzung in einem nationalchauvinistischen Leistungsethos, der die Probleme der kapitalistischen Vergesellschaftung schlicht leugnet. Damit liegt sie nicht nur ideologisch auf Linie der US-Eliten, sondern bietet sich als Erfüllungsgehilfin einer imperialen Weltordnung an, in der der sozialökonomische Abstand zwischen Zentrum und Peripherie eher größer denn kleiner wird. Nicht die Einmischung Washingtons in europäische Angelegenheiten ist zu fürchten, sondern die unzureichende Durchsetzungskraft des europäischen Mangelregimes, wie auch BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf mit seinem Loblied auf den IWF erkennen läßt. Seine Einbindung werde die Glaubwürdigkeit eines möglichen Hilfspakets steigern: "Der IWF verfügt im Gegensatz zu den EU-Institutionen über die geeigneten Instrumente und die nötige Durchsetzungsfähigkeit, um Reformen notfalls auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates durchzusetzen" (www.europaeische-bewegung.de, 26.03.2010).

So wird der Schuldner zu einem Bittsteller degradiert, dem man praktisch jedes Zugeständnis abpressen kann. Da ein solcher Niedergang in jedem Fall, ob der IWF oder die Eurostaaten oder beide für den Bail-Out geradestehen, mit erheblichen sozialen Härten einhergeht, hätte die Bevölkerung eines in Not geratenen EU-Mitgliedstaats allen Grund, sich querzustellen und jede Zusammenarbeit mit welchen Gläubigern auch immer zu verweigern. "Wie bezahlen nicht für eure Krise!" ist die angemessene Antwort auf eine sozialfeindliche Politik, die im Falle Griechenlands auf einer Kollaboration zwischen der westeuropäischen Kapitalmacht und der einheimischen Oligarchie basiert, die ihre Wurzeln in den antikommunistischen Bestrebungen des Kalten Kriegs hat.

Der Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft 1981 war auch als Maßnahme gegen die starke Verankerung sozialistischer Politik in der Bevölkerung des Landes gedacht. Diese hatte nach der von den USA gestützten Obristendiktatur wenig Sympathien für die Mitgliedschaft des Landes in der NATO und die Integration in ein Europa, das wirtschaftlich von der Bundesrepublik, also dem Nachfolgestaat der ehemaligen Besatzungsmacht, dominiert wurde. Die finanziellen Vergünstigungen, die Griechenland durch die EG gewährt wurden, flossen vor allem in die Taschen der einheimischen Eliten, die das europäische Projekt mit dementsprechender Entschiedenheit durchsetzten. Wenn sich deutsche Politiker und Journalisten heute darüber beklagen, daß "die Griechen" sich vom Nettozahler Bundesrepublik aushalten lassen, dann vergessen sie allzuleicht, daß dies zum Preis für die Überwindung des Systemgegners und damit auch für den Anschluß der DDR an die BRD dazugehörte.

Wenn es nun im von der Eurogruppe formulierte Notfallplan heißt, daß dieser "Griechenland ermöglichen sollte, das volle Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen", wenn weiterhin davon gesprochen wird, daß die "Konsolidierungsmaßnahmen Griechenlands (...) ein wichtiger Beitrag" wären, "um die gesunde Haushaltsführung und das Vertrauen der Märkte zu stärken", dann wird damit einmal mehr bestätigt, daß die Politik der EU ganz und gar am Primat der Kapitalmacht ausgerichtet ist. Der Euphemismus der "Märkte" besagt nichts weiter, als daß die politische Entscheidung getroffen wurde, Kapitalinteressen vor die der davon betroffenen Bevölkerungen zu stellen. Wenn eine "gesunde Haushaltsführung" praktisch bedeutet, vielen Menschen eine verminderte Lebensqualität und Lebensdauer zu bescheren, dann beschreibt der ökonomische Biologismus nichts anderes als eine sozialeugenische Wirklichkeit, in der es um das leibliche und sonstige Wohl der Herren geht. Indem das Regulativ des Marktes verabsolutiert wird, wird der Wunsch der Menschen nach einem Leben ohne Not und Zwang relativiert.

Eigentümerinteressen eine Machtposition zuzugestehen, der sich das Gros der Menschen unterzuordnen hat, ist kein Ergebnis eines naturwüchsigen Prozesses, so sehr man sich auch Mühe gibt, diesen Eindruck mit Hilfe terminologischer Offenlassungen und Totalisierungen zu erwecken. Was ermächtigt eine Instanz wie die der "Märkte" dazu, daß die Menschen um ihr "Vertrauen" buhlen müssen? Was ist vertrauenswert an Investoren und Spekulanten, die nichts als ihr Eigeninteresse im Sinn haben und bereit sind, zu diesem Zweck ganze Volkswirtschaften zu ruinieren? Es ist ein Ergebnis politischer Entscheidungen, wenn einer Minderheit der Menschen zugestanden wird, der Mehrheit ihre Bedingungen aufzuoktroyieren. Diese Erkenntnis und ihre Nutzung für die Formierung einer Gegenposition sollte der geringste Ertrag dessen sein, das aus dem Krisenmanagement der Bundesregierung hervorgeht.

29. März 2010