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HEGEMONIE/1712: Blut geleckt ... Westerwelle demontieren für eine aggressivere Außenpolitik (SB)



Der Führungswechsel in der FDP kostet Guido Westerwelle nicht nur sein Amt als Parteivorsitzender. Nun soll er auch als Außenminister fallen, wie der stellvertretende Fraktionschef Martin Lindner verlangt. Er will auf dem Bundesparteitag der Liberalen eine schriftliche Abstimmung über den Verbleib Westerwelles im Auswärtigen Amt durchsetzen, angeblich um den Ärger in den eigenen Reihen schnell zu beenden. Dessen designierter Nachfolger, der künftige Vizekanzler Philipp Rösler, distanziert sich ebenso von Westerwelle wie der altvordere FDP-Politiker Gerhart Baum. Er erklärte im Deutschlandfunk, "immer noch nicht (zu) verstehen, dass Westerwelle Außenminister bleibt, denn der Vertrauensverlust, den die Partei in massiver Weise erlitten hat, bezieht sich auch auf ihn als Außenminister" [1].

Der Versuch, Westerwelle auch in dieser Position loszuwerden, geht über bloße Parteiräson hinaus. So kritisierte Baum im Handelsblatt, der Außenminister stehe für die "fatale Enthaltung im Sicherheitsrat zu Libyen, die uns von unseren westlichen Bündnispartnern entfernt hat" [2]. Dies habe die Partei kritiklos mitgetragen, rügt Baum und verlangt eine Revision dieser Position auf dem Parteitag. So lange Westerwelle bei Erwerbslosen "spätrömische Dekadenz" ausmachte und Steuersenkungen für die "Leistungsträger" verlangte, war ihm der Jubel des Parteivolks wie der Parteielite sicher. Doch auf einem Bein kann die neoliberale Gesellschaftsordnung nicht stehen, sie bedarf eines "muskulösen Liberalismus", wie der britische Premierminister David Cameron auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einem Atemzug mit der Forderung nach mehr "nationaler Identität" und der Absage an den Multikulturalismus erklärte [3]. Wer den Klassenkampf von oben im eigenen Land verschärft, wird unglaubwürdig, wenn er die westliche Suprematie nicht mit imperialistischen Kriegen voranbringt.

"Mehr Netto vom Brutto" für die deutschen Kapitaleliten zu erwirtschaften heißt, das deutsche Exportmodell auszubauen, und zwar nicht mit Hilfe stagnierender Löhne. Um die globalen Verwertungsverhältnisse im eigenen Sinn zu beeinflussen soll mit dem Ausbau der EU zu einer imperialen Großmacht weit in die Welt hinausgegriffen werden. Wenn also Cameron, Sarkozy und Obama die Ärmel hochkrempeln, um gegenüber einem nordafrikanischen Ressourcenlieferanten die Muskeln spielen zu lassen, dann darf sich die Bundesregierung nicht zweimal bitten lassen. Die etwaige Strategie, sich über ein weniger aggressives Auftreten andere Zugangswege zum Nahen und Mittleren Osten zu eröffnen, verstärkt den Arger über den "deutschen Sonderweg" nur noch mehr. Der Ratio einer Wirtschaftsmacht, den eigenen Vorteil mit ökonomischen Mitteln zu mehren, soll insbesondere dann keine Gültigkeit zukommen, wenn die Verbündeten desto bereitwilliger Krieg führen, als ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach gewaltsamer Beglaubigung in Frage gestellter Solvenz verlangen. Zahlungsfähig sind überschuldete Staaten der westlichen Welt vor allem deshalb, weil sie ihre Handlungsfähigkeit als Gewaltakteur unter Beweis stellen und signalisieren, daß ihr Niedergang im Zweifelsfall mit Waffengewalt gestoppt würde.

Gute Ratschläge dieser Bauart sind derweil aus den USA zu vernehmen. Die New York Times, die spätestens seit dem Tod Osama bin Laden keine Parteien mehr kennt, sondern die Exekution totaler Staatsräson als Universalrezept zur Wahrung nationaler Größe feiert, empfiehlt der Bundesregierung, endlich Führungsstärke zu zeigen. In Judy Dempseys am 9. Mai abgeschickten "Brief aus Europa" wird Westerwelles Enthaltung bei der Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrats einmal mehr als schwerer Fehler, unter anderem anhand einer Aussage des CDU-Europabgeordneten und Bertelsmann-Lobbyisten Elmar Brok, gegeißelt und eine äußerst negative Prognose über seine weitere Zukunft als deutscher Außenminister ausgestellt. Ihm sekundiert EU-Expertin und Direktorin des Open Society Institutes in Brüssel, Heather Grabbe: Nun, da "Europa mit den Erhebungen im Mittleren Osten, einem andauernden Krieg in Afghanistan und unbewältigten Aufgaben auf dem Balkan konfrontiert ist, kann sich Deutschland einen schwachen Außenminister kaum leisten". Da die Bundesrepublik "häufig als moralisches Gewissen in der europäischen Außenpolitik gehandelt hat, muß Deutschlands Außenminister mit gutem Beispiel vorangehen und die außenpolitischen Probleme, mit denen ganz Europa konfrontiert ist, ansprechen." Wie dies auszusehen hätte, ist der platten Dichotomie zu entnehmen, daß "schwache" Politiker ihr Land aus Kriegen heraushielten, während "starke" sich keine Gelegenheit entgehen ließen, politischen Erfolg mit mörderischer Gewalt zu erzielen.

Diesem Defizit Westerwelles, das auch durch sein Vorpreschen beim Verhängen einer EU-Resolution gegen Syrien nicht wiedergutzumachen zu sein scheint, wird die Initiative Angela Merkels, während ihrer ersten Amtszeit als Bundeskanzlerin den aufgrund der deutschen Zurückhaltung im Irakkrieg aufgebrochenen Riß zwischen Washington und Berlin zu kitten, lobend entgegengehalten. Zwar sei Merkel zu sehr mit der Bewältigung der Eurokrise und der Frage der zivilen Nutzung der Atomenergie beschäftigt, um sich außenpolitisch einzumischen, entschuldigt die NYT-Autorin die bislang nicht erfolgte Korrektur der Entscheidung Westerwelles, die Bundesrepublik aus dem Libyenkrieg herauszuhalten. Doch was nicht ist, kann ja noch werden, suggeriert die Überschrift des Artikels "A Fine Time for Germany to Speak Up" [4].

Die Demontage Westerwelles erfolgt offensichtlich im transatlantischen Schulterschluß, was ein profundes Interesse belegt, einen Außenminister an seine Stelle treten zu lassen, der kriegerischen Aggressionen ein sportlicheres Selbstverständnis abgewinnt als der sinkende Stern der FDP. Von seinem Nachfolger Rösler etwas anderes zu erwarten, als daß er die neoliberale Hausmarke mit entsprechender Aggressivität gegen Autokraten und Despoten in den Ländern des Südens insbesondere dann, wenn sie mit "unserem" Öl nach ihrem Belieben verfahren und sogar manchen Habenichts und Hungerleider alimentieren, zum Einsatz brächte wäre abwegig: "Nirgends kann man den amerikanischen Traum besser leben als in Deutschland (...). Dass das ein großartiges Land ist, das spüre ich jeden Tag, auch jedes Mal, wenn ich zum Reichstag fahre und die große schwarz-rot-goldene Fahne da oben sehe" [5]. Das patriotische Bekenntnis des künftigen FDP-Chefs bezieht alle ein, die zu den Siegern gehören, um sich nicht vorwerfen zu lassen, der wohlwollende Imperialismus der EU sei etwa von nationalistischem Eigendünkel getragen.

All das ist so wenig unterhaltsam wie das seit Tagen die Schlagzeilen beherrschende Postengeschachere in der FDP. Das dabei aufscheinende Sittengemälde ist von einer weit abstoßenderen Dekadenz, als sie Menschen, denen kleinste Wohltaten Kopfzerbrechen ob ihrer Finanzierbarkeit bereiten, überhaupt zu produzieren in der Lage wären. Die Partei auf Kriegskurs zu trimmen, weil die neue Souveränität einiger arabischer Staaten die Hegemonialansprüche der EU und USA in Frage stellt, zeugt von einem Liberalismus, der bei der Befreiung des Kapitals von jeglicher sozialer Verantwortung letzte Hemmungen verloren hat. Freiheit und Demokratie nach Lesart der NATO in Libyen zu verbreiten bedeutet nichts anderes, als dem durch das Aufbegehren der Bevölkerungen erwachten arabischen Selbstbewußtsein einen Dämpfer zu verpassen, indem die ehemaligen Kolonialmächte erneut die Zügel an sich reißen. Es liegt auf der Hand, daß die solchermaßen von außen forcierte Neuordnung der Region Gefahr läuft, einen Flächenbrand zu erzeugen. Daß der zu Beginn seiner Amtszeit gern als außenpolitischer "Leichtmatrose" belächelte Westerwelle nun ob seiner zu geringen Kriegsbereitschaft weggemobbt wird, um von Karrieristen seines Schlages beerbt zu werden, die zudem die an ihm vollstreckte Lektion gelernt haben und der neokonservativen Kriegsmeute bereitwillig zu Diensten sind, wird den Blutzoll für diesen Befreiungsakt nicht eben billiger machen.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1455224/

[2] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/fdp-parteitag-wird-zum-scherbengericht-fuer-westerwelle/4160026.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1583.html

[4] http://www.nytimes.com/2011/05/10/world/europe/10iht-letter10.html?_r=1

[5] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13365215/Fraktionsvize-fordert-Abstimmung-ueber-Westerwelle.html

11. Mai 2011