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HEGEMONIE/1741: Intervention light - Britischer Anlauf zur Befriedung Somalias (SB)



Am 23. Februar findet in London eine große Konferenz zur Zukunft Somalias statt. Eingeladen sind Repräsentanten von rund 40 Regierungen und verschiedenen Institutionen, um unter der Ägide der ehemaligen Kolonialmacht über die Zukunft der Republik Somalia zu beraten. Im August läuft die Zeit der Übergangsregierung ab, bis dahin soll zumindest die Aussicht auf einen tragfähigen Staat bestehen.

Doch was ist Somalia? Es gilt als Beispiel für einen gescheiterten Staat, wie er im Buche steht. Was in jenen Büchern meist verschweigen wird: Auch Somalia als einst "funktionierender" Staat müßte man als gescheitert bezeichnen - es sei denn, man würde ein repressives Regime als gelungenen Ausdruck von Staatlichkeit betrachten.

Spätestens mit Beginn der Kolonialzeit war das Gebiet, das in der heutigen Aufteilung in Nationen Somalia genannt wird, starken Fremdeinflüssen ausgesetzt. 1960 wurde das Land, zusammengebacken aus den ehemaligen Kolonien Großbritanniens und Italiens, in die vermeintliche Eigenständigkeit entlassen. Anfangs noch der Sowjetunion zuneigend, später den USA, wurde Somalia schließlich zum Schauplatz eines offenen wie auch verdeckten Stellvertreterkriegs zwischen diesen beiden Weltmächten. Der Krieg 1977 gegen Äthiopien endete mit einer militärischen Niederlage und territorialen Verlusten. 1991 wurde Präsident Siad Barre gestürzt, seitdem verfügt das Land über keine Zentralregierung mehr, die das gesamte Staatsgebiet kontrollierte.

Seit zwei Jahrzehnten herrscht in Somalia Bürgerkrieg mit wechselnden Konstellationen. 1992 hatten die USA versucht, unter dem Deckmantel der UN-Hungerhilfe den Clanführer Mohamed Farah Aidid zu fangen, was mißlang, aber das Verhältnis der Einheimischen nicht nur zu den USA, sondern auch zu den UN-Helfern nachhaltig beschädigte. Die nächsten Jahren beherrschten Warlords das Feld. Parallel dazu erstarkten fundamentalistische religiöse Kräfte, die bis dahin nur über einen geringen Einfluß am Horn von Afrika verfügten. 2006 versorgte der US-Geheimdienst CIA örtliche Warlords mit Geld und Waffen, damit sie gegen die wachsenden Zuspruch erfahrende Union der islamischen Gerichte vorrücken. Der Schuß ging jedoch nach hinten los. Blitzartig vertrieben die Unionskämpfer die Bande aus Halsabschneidern und Wegelagerern und eroberten fast das gesamte Land; ausgenommen die Provinzen Somaliland und Puntland. Fast ein halbes Jahr herrschte Ruhe - wenngleich sie etwas Gespenstisches hatte, da nun das islamische Recht der Scharia angewendet wurde. Doch die Straßen waren sicher, sämtliche Straßensperren in Mogadischu beseitigt, das Piratentum weitgehend eingedämmt. Erstmals seit dem Sturz Barres wurde der internationale Seehafen von Mogadischu wieder für UN-Hilfstransporte geöffnet.

Der nächste Schachzug seitens der USA und ihres Partners Großbritannien: Äthiopien soll den Job, den die Warlords vermasselt hatten, erledigen. Am zweiten Weihnachtstag 2006 rückte die äthiopische Armee in Somalia ein. Von den USA mit Spionagedaten versorgt und von Elitesoldaten Großbritanniens begleitet vertrieben die Äthiopier zunächst einmal die Unionskämpfer, die die offene Feldschlacht vermieden, und verhalfen einer im kenianischen Exil gebildeten "Übergangsregierung", in der auch Warlords Fuß gefaßt hatten, an die Macht. Die beschränkte sich allerdings auf nur wenige Straßenzüge innerhalb Mogadischus.

Heute herrscht in Somalia eine kaum zu durchschauende Gemengelage heimischer wie von außen an das Land herangetragener Interessen. Trotz internationaler Militärpräsenz in Form einer Invasionsarmee Kenias, äthiopischer Truppen und - im Rahmen der AU-Mission AMISOM - von Soldaten Ugandas, Burundis und Dschibutis ist es bislang nicht gelungen, die Kämpfer der islamistischen Bewegung al-Shabab zu besiegen. Das läßt die Vermutung zu, daß diese über einigen Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Der Kampf gegen die Islamisten richtet sich somit gegen einen erheblichen Teil der somalischen Bevölkerung.

Die britische Regierung setzt nun die westlichen Interventionsversuche mit der in London angesetzten Konferenz fort. Dazu wurden auch Mitglieder der Somalischen Übergangsregierung, der beiden abtrünnigen Provinzen Somaliland, Puntland und des sich zu einem autonomen Gebiet erklärten Galmudug sowie der Ahlu Sunnah wal Jamaah (ASWJ) eingeladen. Die Anhänger letztgenannter Bewegung pflegen einen moderaten sufischen Glauben, lehnen eine fundamentalistische Interpretation des Korans ab und bekämpfen al-Shabab. Das macht sie zu Partnern westlicher Einflußversuche. Offensichtlich will die britische Regierung die Kräfte bündeln, um Somalia ein ihr genehmes Staatsmodell aufzudrücken.

Zu der Konferenz wurden anscheinend weder die Piraten, die das Horn von Afrika mit ihren Überfällen zu einer gefährlichen Schiffahrtsroute machen, noch die Islamisten al-Shababs gebeten. Vielleicht hätten sie auch abgesagt. Wie auch immer, jedenfalls werden sie in den Mitteilungen des britischen Außenministeriums nicht erwähnt - was böse Vorahnungen aufkommen läßt. Eine ähnliche Situation entstand, als im kenianischen Exil die erste Übergangsregierung Somalias gebildet wurde. Prompt fand sie nicht die allgemeine Anerkennung der Bevölkerung und wurde bekämpft.

Somalia wird niemals zur Ruhe kommen, solange ausländische Interessen an maßgeblicher Stelle im Spiel sind und versuchen, Einfluß auf die Regierung, auf Oppositionsgruppen oder den Klerus zu nehmen. Das gilt auch für die britischen Bemühungen, die schon bei der selektiven Auswahl der Teilnehmenden der Befriedung des Lands eine bestimmte Richtung geben wollen.

9. Februar 2012