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HEGEMONIE/1743: Autokratisches Krisenmanagement bedroht alle EU-Gesellschaften (SB)



Von "Rettung" und "Hilfe" kann keine Rede sein. Griechenland verhungert am langen Arm einer Verschuldung, die durch die internationalen Gläubiger fortgeschrieben wird, weil ein Schuldenschnitt das gesamte System der kreditgestützten Verwertungsdynamik kollabieren ließe. So wird die Aussicht darauf, daß weitere Kredite, also das sogenannte Hilfspaket, bei laufendem Schuldendienst ein Wachstum erzeugen könnten, das mit bester Bonität quittiert wird, unter den Experten mehrheitlich negativ beurteilt. Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 hat die Verschuldung des Landes trotz des sogenannten Rettungspakets vom April 2010 und erheblicher Ausgabenkürzungen ständig zugenommen, und daran wird auch das zweite Rettungspaket nichts ändern. Man kauft Zeit, um Schlimmeres zu vermeiden, und damit ist nicht die galoppierende Verschlechterung der Lebensbedingungen der griechischen Bevölkerung und letztlich aller Menschen in der Eurozone gemeint. Gefürchtet wird ein Bankensterben, das durch die staatliche Refinanzierung nicht mehr zu verhindern wäre, da sich der Staat bereits verausgabt hat, ohne das Problem zu lösen.

Eine Volkswirtschaft, deren Währung am Produktivitätsniveau der wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten orientiert ist, entkommt den dadurch gebildeten Preisen für alle Güter des menschlichen und industriellen Bedarfs nicht ohne Abwertung, doch die ist in der Stabilitäts- und Währungsunion nicht vorgesehen. Der Versuch, statt dessen die öffentlichen Ausgaben und alle Arbeitseinkommen zu senken, führt tiefer in die Verschuldung hinein. Die Verfechter der These, die griechische Bevölkerung habe über ihre Verhältnisse gelebt, anstatt sich ein Beispiel an den deutschen Lohnabhängigen zu nehmen, bei stagnierenden Einkommen hochwertige Güter zu erzeugen, die das nationale Gesamtprodukt über den Export erhöhen, machen die Rechnung ohne den Wirt. Die Mehrung des eigenen Reichtums zu Lasten der Abnehmer von Waren, die aufgrund der höheren Produktivität der Lieferanten Schulden anhäufen und desto weniger in der Lage sind, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Unternehmen und Industrien aufzubauen, entspricht der grundlegenden Logik einer Weltwirtschaft, in der die Erträge des einen die Schulden des anderen ausmachen.

Was immer in Griechenland mit Hilfe staatlicher Investitionen an Wachstum erzeugt wird, nährt vorzugsweise ausländisches Investivkapital, das die erwirtschafteten Überschüsse wiederum zu eigenen Gunsten am Finanzmarkt oder in anderen Volkswirtschaften reinvestiert. Was dabei an Löhnen für griechische Arbeiter und Steuern für den griechischen Staatshaushalt abfällt, ist der kleinere Teil des zur Wertbildung durch Mehrwertabschöpfung eingesetzten Kapitals, wird es doch eigens durch großzügige Standortbedingungen, also niedrige Arbeitskosten und Abgaben, ins Land gelockt. Je höher die Verschuldung des Staates und der Wirtschaft ist, desto mehr fließt von allen Erträgen an die Gläubiger zurück, die im Falle Griechenlands mehrheitlich im EU-europäischen Ausland sitzen. Deren Einlagen zu retten und damit das Bankensystem zu erhalten, mit dem sich Kapitalmacht weltweit projizieren läßt, ist die Voraussetzung dafür, daß das Projekt, dem Dollar mit dem Euro als zweite internationale Reservewährung Konkurrenz zu machen, nicht scheitert.

Wie die kaum in Frage gestellte Bonität eines hoch verschuldeten Staates wie die USA belegt, spielen bei der Entscheidung, wo das stets auf Suche nach neuen Verwertungsmöglichkeiten befindliche Kapital angelegt wird, mehr Faktoren eine Rolle als die Wettbewerbsfähigkeit, an deren Steigerung die griechische Volkswirtschaft den Regierungen der Eurozone gemäß genesen soll. Die staatliche Handlungsfähigkeit garantieren zu können steht ganz oben auf der Liste der Kriterien, nach denen die Ausfallrisiken vergebener Kredite bewertet werden. Ein globaler Hegemon wie die USA, der Investitionsschutz und Ressourcensicherung militärisch garantiert, seinen Innovationsvorsprung in Schlüsseltechnologien mit internationalen Abkommen durchsetzt, in dessen Währung das Gros des Welthandels abgerechnet wird und an dessen Finanzmarkt folgenschwere Entscheidungen getroffen werden, genießt schlicht deshalb fast unendlichen Kredit, weil die Interessen der Kreditgeber mit seiner finanz-, wirtschafts- und ordnungspolitischen Definitionsmacht weitgehend in eins fallen.

Die globalhegemonialen Ambitionen der EU allen ökonomischen Widrigkeiten zum Trotz dennoch durchzusetzen, hat die Transformation des intergouvernementalen Miteinanders gleichberechtigter Staaten zu einem autokratischen Zentralismus fast zwingend zur Folge. Indem die Verschuldung Griechenlands in schwerwiegende Souveränitätsverluste umgemünzt wird und sogar Forderungen laut werden, einmal akzeptierte Dekrete der Troika auch über die Wahl einer neuen Regierung hinaus garantieren zu müssen, greift die supranationale Exekutive nach neuen Formen der Ermächtigung. Je größer der Kontrollverlust, den die Krise des weltweit an seine Verwertungsgrenzen stoßenden Kapitals freisetzt, desto bereitwilliger stimmen die Funktionseliten der hierarchischen Organisation von Staat und Gesellschaft zu. Die Subordination der südlichen und östlichen Peripherie der EU unter die westeuropäischen Zentren ökonomischer Produktivität schützt diese nicht davor, selbst antidemokratischen Formen der administrativen Verfügungsgewalt unterworfen zu werden, ist doch das soziale Element in einer Gesellschaftsordnung, deren Reproduktion immer weniger auf gut bezahlte Lohnarbeit angewiesen ist, die große Unbekannte in jedem Zukunftsentwurf.

22. Februar 2012