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HEGEMONIE/1761: Nach Orbáns NS-Vergleich - Wettlauf der Selbstgerechten (SB)




Es gibt sicherlich keinen Grund, Ungarns Premier Viktor Orbán auf irgendeine Weise zu verteidigen, steht sein Name doch für eine staatsautoritäre Politik, die sich nur graduell vom offen nationalchauvinistischen, antisemitischen und antiziganistischen Tenor des Rechtsauslegers Jobbik unterscheidet. Die mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Fidesz-Partei hat unter Orbán Grundrechte der Medien und der Justiz eingeschränkt, unter ihrer Herrschaft wird gegen Juden gehetzt, Roma werden rassistisch verfolgt, und das nach dem Vorbild Deutschlands durchgesetzte Workfare-Regime agiert mit besonders repressiven Formen des Arbeitszwanges. Orbán ist nicht nur ein Populist, er bahnt einer neofaschistischen Entwicklung den Weg, die in dieser Offenheit von den führenden EU-Regierungen nicht akzeptiert werden kann.

Ungarns Regierung hält der EU aber auch den Spiegel einer autoritären Entwicklung vor, die die Bevölkerungen derjenigen Staaten besonders stark zu spüren bekommen, die sich dem Krisenmanagement der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF unterworfen haben. So wurde die soziale Ausgrenzung angeblich unproduktiver Menschen hierzulande mit der Agenda 2010 vorexerziert, um erklärtermaßen als Exportmodell für ganz Europa zu dienen. Das insbesondere von Deutschland für überschuldete Staaten eingeforderte Austeritätsregime stürzt Millionen Menschen in die soziale Katastrophe, und das feindselige Anprangern migrantischer Minderheiten wie aus Südosteuropa stammender Roma ist bei Bundesinnenminister Friedrich populistischer Normalfall.

Der von der ungarischen Regierung propagierte Nationalismus hallt im Umgangston deutscher Journalisten und Politiker wider, denkt man nur an die Verachtung, die angeblich faule Südländer zu spüren bekommen, wenn hierzulande behauptet wird, der überdurchschnittliche Wohlstand sei allein dem eigenen Arbeitsfleiß und anderen angeblich nationalspezifischen Tugenden geschuldet. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, weshalb man angestrengt versucht, Ungarn als das ganz andere EU-Land erscheinen zu lassen. Als die Bundeskanzlerin ankündigte, alles zu tun, "um Ungarn auf den richtigen Weg zu bringen", auch wenn man nicht "gleich die Kavallerie schicken" [1] wolle, hat sie unverhohlen mit eben jener gedroht. Wer erklärt, man setze die eigenen Forderungen nicht gleich mit Zwangsmitteln durch, der sagt im Klartext, daß er dies, falls es nötig sein sollte, allemal tun könne.

Wenn ein kleiner EU-Mitgliedstaat der Bundesrepublik auf diese Weise drohte, könnte das nur als ironischer Kommentar zur Vergeblichkeit eines solchen Versuchs verstanden werden. Merkel hat das reale Gewaltverhältnis zwischen den Staaten in Anspruch genommen, um Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Das hat Orbán dazu veranlaßt, mit einer angeblich skandalösen Replik auf ein historisches Ereignis zu verweisen, bei dem die Deutschen "schon einmal eine Kavallerie geschickt" haben, "und zwar in Form von Panzern" [1].

Wenn nun Bundesregierung, Opposition und Medien, in selbstgerechter Entrüstung ob der Ungerechtigkeit dieses Vergleichs so vereint, wie es nur im Mark ihres Nationalstolzes betroffene Bürger sein können, empört reagieren, dann wird nicht nur unsouverän damit umgegangen, daß Merkel ihrem ungarischen Kollegen eine Steilvorlage geboten hat. Man verbietet sich indigniert, daran erinnert zu werden, daß es allen Grund dafür gibt, in diesem Europa nicht aus einer Position der Stärke heraus polemisch und paternalistisch mit anderen Bevölkerungen umzugehen. Da längst Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen die ungarische Regierung eröffnet wurden, hat die Bundeskanzlerin ohne Not durch die Blume gesagt, daß sie auch anders könne.

Bundesregierung wie Opposition lassen die Muskeln spielen, weil die politischen Funktionseliten längst an der Restauration nationaler Größe arbeiten, als europäischer Hegemon innerhalb der EU und als global agierende Macht mit Verstärkung durch die EU. Wer diese Politik in Anbetracht dessen, was deutsche Soldaten in Osteuropa angerichtet haben, mit einer militaristischen Metapher koloriert, die ihre Wurzeln in der europäischen wie US-amerikanischen Kolonialgeschichte hat, muß sich nicht wundern, wenn das braun abfärbt. Nun die verletzte Unschuld zu mimen, hat nur einen Sinn - aus dem Eklat Kapital zu schlagen, um mit noch größerer Selbstgerechtigkeit Machtpolitik betreiben zu können.

Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutsche-reaktionen-auf-nazi-vergleich-von-ungarns-premier-orban-a-900831.html

20. Mai 2013