Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HEGEMONIE/1765: Demokratisch ermächtigt zum Krieg für die Staatsräson (SB)




John McCain machte den Anfang und blendete bei der Suche nach Kriegsgründen auf die Staatsräson der USA zurück. Der seit Jahren zum Krieg - frei nach den Beach Boys "Bomb, Bomb, Iran" - blasende Hardliner aus Arizona forderte den US-Kongreß am 2. September auf, der von US-Präsident Barack Obama an die beiden Häuser der US-Volksvertretung delegierten Entscheidung über einen begrenzten Angriff auf Syrien zuzustimmen. Freilich solle es sich dabei um keine halbe Sache handeln, liefe man mit einem zeitlich und operativ begrenzten Angriff doch Gefahr, den von McCain unterstützten syrischen Rebellen nicht zum Sieg zu verhelfen. Als Ausweg aus der unvorteilhaften Lage, daß die US-Bevölkerung mit großer Mehrheit gegen einen weiteren Krieg votiert, daß kein unwiderlegbarer Beweis für die tatsächliche Täterschaft der syrischen Regierung hinsichtlich des angeblich von ihr begangenen Chemiewaffeneinsatzes vorliegt und daß die NATO-Verbündeten die Aussicht, ein weiteres Debakel wie den Afghanistan- und Irakkrieg zu erleben, eher fürchten denn schätzen, wählte McCain das Standardargument des US-amerikanischen Hegemonialanspruchs.

Wenn man der Welt nicht signalisieren wolle, daß Amerika schwach ist und keine Entscheidungskraft mehr hat, dann dürfe diese Gelegenheit, den Anspruch der USA auf globale Führerschaft unter Beweis zu stellen, nicht ungenutzt verstreichen, so McCain sinngemäß. Tags drauf sprang ihm der ranghöchste Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner, zur Seite und forderte die Abgeordneten auf, sich hinter den Präsidenten zu stellen. Auch er führte die Stellung der USA ins Feld, indem er erklärte, nur deren Streitkräfte könnten Baschar al-Assad stoppen. Da auch Politiker mit Tendenz zur nationalistischen Bauchnabelschau wissen, daß Syrien keine reale Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen kann, hob Boehner auf die prinzipielle Notwendigkeit ab, immer wieder die Bereitschaft der USA zum Kriege unter Beweis zu stellen. Überall auf der Welt seien sie von Feinden bedroht, denen auf diese Weise eine Lektion in Sachen unnachgiebiger Angriffsbereitschaft erteilt werden müsse, so die Stoßrichtung des Republikaners.

Diese Politiker mögen nicht die Mehrheit unter den stimmberechtigten Politikerinnen und Politikern in Washington repräsentieren, doch ziehen sie gerade deshalb die größte Trumpfkarte im Kampf um die Definitionshoheit im Kongreß. Sie berufen sich auf den Kern des antidemokratischen Dezisionismus, auf den Willen zur Tat, der alle Argumente und Widerstände aus dem Feld schlägt. Ihr Votum für einen imperialen Machtbeweis verwandelt die Schwäche legalistischer Interventionsbegründungen in den alle staatliche Gewalt letztbegründenden Zweck des Erhalts exekutiver Handlungsgewalt um ihrer selbst willen. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", definierte der NS-Kronjurist Carl Schmitt das Kriterium für eine Herrschaftsausübung, gegen die kein Kraut juristischer oder demokratischer Art gewachsen ist, weil sie keiner Legitimationsinstanz außerhalb der eigenen Machtfülle unterliegt. Ein anderes Wort dafür lautet Faschismus, doch vor dieser Bezichtigung schützt Obamas kluger Schachzug, seine präsidiale Entscheidungsgewalt parlamentarisch legitimieren zu lassen.

Auf dem Spiel steht mithin nicht nur das Schicksal der USA, sondern auch das ihres Präsidenten, der allen Zugeständnissen an die Republikaner zum Trotz von diesen boykottiert wurde, wo es nur ging. Steht allerdings die Möglichkeit im Raum, daß auf den Fernsehschirmen bald wieder "U.S.A at war" flimmert, dann beschleicht die stets an vorderster Front der Kriegsbereitschaft sitzenden Republikaner die Angst, man könne ihnen anlasten, was sie gerne ihren Konkurrenten unter den Demokraten vorwerfen: Zu weich zu sein, um gegen Verbrechen, Terrorismus, Diktatoren und was die Welt sonst an Erzbösem zu bieten hat, zu kämpfen. Nachdem alle kräftig dabei mitgeholfen haben, den in Britannien ausgebildeten Mediziner Baschir Al-Assad in ein Monstrum zu verwandeln, das nicht nur seine Feinde, sondern sogar die eigene Bevölkerung aufs Grausamste traktiert, stehen sie gewissermaßen im Wort, der dankenswerterweise immer aufs Neue das Haupt erhebenden Hydra einen weiteren Kopf abzuschlagen.

Es ist keinewegs in Abrede zu stellen, daß Assad ein autoritärer Herrscher ist, der seine Gegner mit Hilfe eines furchteinflößenden Gewaltapparats unterdrückt. Dennoch wirft die Bezichtigung seiner Person, die selbst UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach "Bestrafung" rufen läßt, obwohl selbige in der UN-Charta gar nicht vorgesehen ist, die Frage nach den Maßstäben international verwerflichen Handelns auf. Dabei schneiden US-Regierungen mindestens so schlecht wie ihre Gegner ab, denkt man nur daran, daß die chemische Vergiftung Vietnams mit dem Entlaubungsmittel Agent Orange 400.000 Menschen das Leben zur Hölle gemacht oder ganz gekostet sowie 500.000 Neugeborene mit körperlichen Verstümmelungen aller Art gezeichnet hat. Im Krieg gegen den Iran haben die USA dem Irak nicht nur Chemiewaffen geliefert, sondern der Regierung Saddam Husseins auch detaillierte Angaben zu ihrem wirksamen Einsatz gegeben. Heute werden beim Targeted Killing keinesfalls nur Einzelpersonen umgebracht. Es kommt immer wieder vor, daß die Signature Strikes, also auf bloßer Mutmaßung basierende Raketenangriffe, ganze Familien auslöschen, daß die ferngesteuerte Hinrichtungsmaschinerie Begräbnisse angeblicher Terrorverdächtiger attackiert oder in einer zweiten Welle diejenigen Menschen umbringt, die den Opfern eines Raketenangriffes zur Hilfe eilen.

So ist Obama durch die Autorisierung dieser Praxis selbst gegen eigene Staatsbürger, durch die Beibehaltung der Administrativhaft in Guantanamo, durch die strikte Verfolgung von Whistleblowern und die Etablierung eines monströsen Überwachungsstaates weit entfernt davon, seinem Leumund als ausgebildeter Verfassungsrechtler gerecht zu werden. Der Rückgriff auf die Legislative in Sachen Syrien ist mithin nicht nur förderlich für sein angeschlagenes Ansehen, es ist auch kein plötzlich auftretendes Zeichen der Schwäche, wie einige Kommentatoren meinen. Dieser Schritt ist das politisch wirkungsvollste, was er in Anbetracht der Probleme, die sich ihm auf nationaler wie internationaler Ebene stellen, tun kann. Er verschafft ihm im Falle einer positiven Entscheidung durch den Kongreß mehr politische Unterstützung und versieht die US-Kriegführung mit einer konstitutionellen Legitimation auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates.

Lastete man seinem Vorgänger George W. Bush noch eine verfassungsrechtlich fragwürdige Auslegung der Unitary Executive Theory zu autoritärer Präsidialgewalt an, so schafft es Obama im herrschaftsstrategisch besten Fall, normative Maßstäbe für die Vollmachten US-amerikanischer Regierungen zu etablieren, die dem schönen Schein demokratischer Legitimation genügen, ohne weniger völker- und menschenrechtswidrig zu sein als die Kriegführung seines Vorgängers. Schließlich ist es keine Kleinigkeit, als Administration immer wieder geltendes Recht auszuhebeln und darauf bauen zu müssen, daß der politische Konsens tragfähig genug ist, um dafür nicht gestürzt zu werden. Was bei geringfügigen sozialen Zugeständnissen am Widerstand der Republikaner wie auch sozialchauvinistischer Demokraten scheitert, kann überall dort, wo die Staatsräson auf dem Spiel steht, zugunsten Obamas eingesetzt werden. Daß der demonstrative Vollzug US-amerikanischer Handlungsfähigkeit keine Grenzen kennt, und seien sie im Vorfeld der Entscheidung zum Krieg noch so sehr beschworen worden, liegt in der Logik sich selbst zum Mittel und Zweck setzender Herrschaft.

5. September 2013